Es ist erstaunlich: In konservativen Zeitungen sind häufiger zweifelnde Stimmen zu hören. Blätter, die unentwegt der angeblichen Modernisierung der Schule das Wort redeten, indem sie gemeinsam mit herrschender Politik und Wirtschaftsverbänden »Leistung« verlangten, »Wettbewerbsfähigkeit« anmahnten, angebliche »Kuschelpädagogik« verurteilten, Standards und Kontrolle verlangten und der Illusion anhingen, Lernerfolg, Lebens- und Geschäftstüchtigkeit ließen sich messen, lassen nun sanfte Töne anklingen.
Plötzlich liest man in einem Leitartikel des Abendblatts vom 28.1.2013, dass mit den Bachelor- und Masterstudiengängen ein umfassendes Bildungsideal zerstört werde. Und es wird die Frage gestellt: »Was hat die Gesellschaft eigentlich davon, wenn Kinder erst zielorientiert durch die Schulzeit hetzen, um dann ebenso sehr auf das Ergebnis bedacht, in kürzeren, verschulten Studiengängen die Hochschulen zu durchlaufen und mit 22 Jahren als fertige Akademiker auf den Arbeitsmarkt zu drängen – auf diesem Weg aber kaum Lebenserfahrung sammeln und ihre Persönlichkeit ausbilden konnten? Wie verändert es unsere Gesellschaft? Und wollen wir das?«
Da staunt der lesende Zeitgenosse nicht schlecht. Sind das nicht Fragen, die die Kritiker der so genannten Reformen seit 20 Jahren stellen und für die sie mit Missachtung und Hohn bestraft wurden – und werden?
Und dann die Klage, dass Schüler und Studenten einem Regime der Zweckorientierung unterworfen seien. Enge Korsetts werden beklagt und – ach ja – eine Sehnsucht nach Muße und sozialer Kompetenz sickert durch die Zeilen.
Und ähnlich klingt es in einem Essay, der am 29. Januar in der in der Welt erschien
In einer Klage über die Überbewertung der Intelligenz für späteren Erfolg – dafür sei nämlich Frustrationstoleranz vonnöten – wird darauf verwiesen, dass Armut und Gewalterfahrung das Gehirn veränderten, aber auch, dass Heilung möglich sei.
»Liebe und Fürsorge durch Eltern oder Erzieher kann den Stress der Armut lindern. Charakter kann erlernt werden. Ob allein durch die Erfahrung der Frustration, wie Winterhoff zu suggerieren scheint, ist allerdings fraglich. Das mag bei »verzogenen« Bürgerkindern helfen. Bei der überwältigenden Mehrheit der Problemkinder aus dem Prekariat oder aus Zuwandererfamilien, mit denen die Schulen zu tun haben, ist Frustration ja das tägliche Brot. Was sie lernen müssen, ist vielmehr, dass Frustrationen jetzt mit späteren Belohnungen kompensiert werden.«
Wir wollen großzügig sein und das nicht kritisieren, stimmt doch die Richtung. Ein paar frühe Belohnungen zwischendurch – vor dem Später also – würden die Durchhaltefähigkeit beflügeln, wie schon die frühe Verhaltensmodifikation wusste.
Dürfen jetzt wieder die Fachleute ran, wo doch nun in den Köpfen und in den Familien der Leistungsträger und Eliten Alarm ist, und die eigenen Kinder am Stress zu scheitern drohen und der Traum der Zurichtung auf Siegertypen ausgeträumt scheint? Die „Bildungsreformen“ scheitern an ihren eigenen Widersprüchen, weil sie die Pädagogik auf Ökonomie und Konkurrenz polen wollten und die Pädagogik rationalisieren wollten. (Man lese den vorangehenden Beitrag mit dem Text „Bildungsreformen und Propaganda„, von Jochen Krautz)