Erziehung als Mittel der Verdinglichung

Ein vielversprechendes Buch ist vor Kurzem auf den Markt gekommen. Manche Zeile klingt drastisch.

Für den gewünschten Output wurde die herzustellende Ware im Fortgang des bio-logischen Wachstums vermessen, gesellschaftlich kontrolliert und, wenn nötig, aus-sortiert und im schlimmsten Falle zur Mangel- oder Fehlerware abgestempelt, aus dem Handel genommen und »verramscht«. Sein gesellschaftlicher Marktwert taxiert sich nach bestandener Qualitätsprüfung. Diese erfolgt, den Gesetzen des neoliberalen Marktes folgend, in standardisierter und objektivierter Form. Ziel der Herstellung ist das »normale Kind«.

Das passt so gar nicht zum Sound der Bildungspolitik und dazu, was viele sich wünschen zu sein, wenn sie erzieherisch oder beratend aktiv sein wollen. Die Gedanken der Autorin könnten aber geeignet sein, uns die Augen zu öffnen. Man könnte einen Zusammenhang herstellen: Je mehr vermessen, kategorisiert – also diskriminiert – wird, um so heftiger und rauschhafter wird die Rede von der Inklusivität geführt. Sabine Seichter hat das Buch »Das ›normale‹ Kind« geschrieben. Hier gibt es eine Leseprobe.

Angsterzeugung als Herrschaftsmittel

»Demokratie geht nämlich nicht nur mit einem Versprechen einer gesellschaftlichen Selbstbestimmung einher, sondern auch mit einem Versprechen einer größtmöglichen Freiheit von gesellschaftlicher Angst. Demokratie bedeutet also den Verzicht auf eine der wirksamsten Herrschaftstechniken überhaupt: der systematischen Erzeugung gesellschaftlicher Angst.«

In einem ausführlichen und interessanten Interview stellt der Psychologe Rainer Mausfeld einen Zusammenhang zwischen Neoliberalismus, Angst (-erzeugung), Demokratie und Macht her. Das wirft Fragen und Anreize zum Nachdenken auf, zum Beispiel: Welche Rolle spielt Schule in diesem Prozess, welche Rolle übernimmt Schulpsychologie und -beratung dabei?

»Neue Autorität« soll sich erklären

Am 25.1.2019 machte die taz-Hamburg mit der Schlagzeile auf: »Psycho-Druck gegen Klassenkasper« . Die Autorin der taz bezog sich auf einen Artikel, der im ersten Quartal 2018 im Magazin der Schulbehörde »Hamburg macht Schule« erschienen war, geschrieben von zwei pädagogischen Experten, die das Konzept »Neue Autorität« seit Jahren in Hamburg zu entwickeln versuchen. Sie sind Lehrer und Mitarbeiter am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, sowie freie Supervisoren, Coaches, Trainer. Das Konzept befindet sich seit Jahren in kritischer Diskussion (zum Beispiel Dierbach).

Politik diskutiert mit

Neu ist, dass mit Sabine Boeddinghaus eine Schulpolitikerin (der Linksfraktion) sich in die Debatte einschaltet. Die Vorwürfe wiegen schwer: Junge Lehrer würden »in die falsche Richtung gepolt«, das Konzept sei ein »Psycho-Rohrstock«, »repressive Maßnahmen« kennzeichneten das Konzept (Zitate aus der taz). Genaueres lässt sich auch in der Kleinen Anfrage an den Senat nachlesen.

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Wie „unsere“ Politiker Frieden und Verständigung behindern

Und damit Erziehung zu Verständigungsbereitschaft behindern

Erst schießen, dann ermitteln

Ein Prinzip, das jede demokratisch gesinnte und am Rechtsstaat interessierte Person kritisieren dürfte. Wenn wir sehen konnten, wie amerikanische Polizisten Schwarze „vorsorglich“ auf Verdacht erschossen, war das Kopfschütteln groß. Wir sehen darin aber auch die Blaupause für Machtpolitik auf der internationalen Ebene — und für die Formierung der Gesellschaft nach innen: Achtung! Der/die Starke macht, was er/sie will. Hier macht das Gendern einmal Sinn, denn so wird einem klar, dass Frauen heftig an der Erosion guter Sitten beteiligt sein können. Weiterlesen „Wie „unsere“ Politiker Frieden und Verständigung behindern“

Essener Tafel – ein Szenario der Verrücktheiten

Die Maßstäbe in der Äußerung von Klagen und Vorwürfen an die Essener Tafel scheinen bar jeden Verstandes zu sein. Sie sind aber ein Beispiel, wie mit Hilfe von Medien und Politiker’inne’n nach monate-, auch jahrelanger Vorurteilsbildung die Schuld bei den ärmsten der Armen festgemacht wird. Tatsächlich wird jedoch eine systematische Bereicherungspolitik der Reichen betrieben. Und die stellen sich nun hin und kritisieren die Armenspeisung, Tafeln genannt.

Erstens. Warum gibt es überhaupt die „Tafeln“? Sie sind das Ergebnis einer gezielten Verarmungspoltik (Kanzler Schröder sinngemäß und voller Stolz: Wir haben den größten Niedriglohnmarkt geschaffen). Sie wird angewendet auf Deutsche und auf Zuwanderer. Sie wird verschleiert: Wir leben gut und gern in diesem Land.

Zweitens. Die Tafeln stehen in Gefahr, in ihrem Wohltätigkeitsdenken und in ihrem bürgerschaftlichen Engagement die Entpolitisierung voranzutreiben. Das ist die Kehrseite der Ehrenamtlichkeit. Sie können leicht die nützlichen Idioten einer Politik der Unterfinanzierung von Sozialstaatlichkeit werden.

Drittens. In ihrer Entpolitisiertheit kann es den wohltätigen Menschen leicht passieren, dass sie nicht die strukturellen Voraussetzungen ihres Handelns sehen und auf die Oberfläche, auf die dargereichten Schuldigen und Lösungen, verfallen: Die Ausländer sind’s und müssen raus.

Viertens. Schafft ein Regelwerk. Wer sich nicht an die Regeln hält, erhält einen Hinweis, wer wiederholt gegen die Regeln verstößt, wird ausgeschlossen. Wenn es gut ist, gibt es eine Belohnung oder ein Fest. So ähnlich machen das nicht wenige Schulen.

Fünftens. Macht euch stark für eine gerechte Sozialpolitik, für Umfairteilung.

Passend dazu

 

Aus gegebenem Anlass

Offener Brief eines Polizisten: Gedanken zum G20-Gipfel in Hamburg

Die Menschen, die ohne Obdach auf der Straße (er)frieren, oder die, die sich beim Discounter um die Ecke eine Packung Toastbrot und Käse klauen, um den Kindern Brote für die Schule zu machen. Ist es tatsächlich ihr Ernst, solche Schicksale tagtäglich zu dulden, um an zwei Tagen Milliarden von Euro für Ihr belangloses Stelldichein zu verschwenden, die in unseren sozialen Systemen besser angelegt wären?

Und nun werden wieder Millionen von Euro in Sachen Sicherheit in nur ein paar Tagen, für ein Event von ein paar Stunden, verheizt?

„Stärkungsgesetz“ schwächt Kinder und Jugendliche

Kürzungen bei den Schwächsten und Ärmsten − Treibmittel für Ausgrenzung und Desintegration

Man glaubt es nicht, was  da in der Regierung geplant ist, um angeblich Kinder und Jugendliche zu stärken. Fachlichkeit spielt keine Rolle mehr, wie hier in Bezug auf psychologische Beratung für Schule schon häufiger festgestellt wurde. Kürzungen, Herausnahmen aus Familien und Abbau präventiver Hilfen verschärfen Repression und den Fachkräften die Arbeit. Erosion, Desintegration, Wut und Feindseligkeit der Ausgegrenzten werden zunehmen. Inklusion bleibt eine Alibiveranstaltung. Mal sehen, was den Parteien, denen die Zukunft der Jugend am Herzen liegt (so hört man es dann und wann), in der Debatte noch einfällt.

Hier eine Wortmeldung, veröffentlicht in der taz

Psychoanalyse und Terrorismus

Radikalisierung als Form der Selbsttherapie

Jenseits der Strategien von Überwachung und Repression − mehr dem Ziel der Entdemokratisierung und Machtsicherung als der Demokratie und Emanzipation dienend − tauchen in Spezialsendungen der Medien gelegentlich Informationen auf, die das Nachdenken anregen. So heute im Deutschlandfunk in dessen Religionssendung.

Die Dschihadisten von heute kommen nicht umsonst vor allem aus den ehemaligen Kolonialländern Frankreich, Großbritannien und Belgien. Und die ehemaligen Kolonialmächte beteiligen sich bis heute an den Kriegen in vielen muslimisch geprägten Regionen. Diese Kontinuität bewirkt, dass die Idee des Krieges viele junge Menschen mobilisiert. Laut der dschihadistischen Theorie führt der Westen seine ‚Kreuzzüge‘ gegen den Islam bis heute fort.

Der Psychoanalytiker und Islamwissenschaftler Fethi Benslama spricht sich gegen ein Konzept der De-Radikalisierung aus. Das hält er für »Gehirnwäsche«. Solche Umerziehungsmaßnahmen, wie sie auch oft in Anti-Gewalt-Maßnahmen hiesiger Art vorkommen dürften, verkennen die tiefen, historisch und psychisch angelegten Verhaltens- und Erlebensweisen. Ernsthafte Arbeit der Persönlichkeits- und Institutionenentwicklung, jenseits der Funktionalitätskonzepte, wie sie heute − leider gerade auch in Schule − verbreitet sind, benötigt einen anderen Rahmen.

Weiterer Literaturhinweis

Hinweis auf Interview mit Arno Gruen

Wenn der Pädagoge zum Funktionär der Ordnung wird …

… wird es gefährlich

Lehrer in Hamburg sind dazu angehalten, Anzeigen im Falle von Gewalt zu erstatten, auch wenn Übeltäter (oder die vermeintlichen Übeltäter) noch Grundschüler sind. Offensichtlicher könnte die Selbstaufgabe der Pädagogik nicht sein. Eine Pädagogik, die immer mehr in den Dienst der Funktionalität für Anpassung, Leistung und Optimierung gestellt wird, hat weniger Spielräume für Bindung, Beziehung und Halten.

Und wenn Beratung mehr und mehr für Begutachtung, Steuerung etc. gebraucht wird, fehlen auch hier bald die Möglichkeiten für Unterstützung. Dann wir Beratung zur Agentin der Institution und als helfende Institution nicht ernst genommen.

Hier ein Kommentar in der hamburger taz