Bildungsprotest – Beziehungsarbeit – Verteilungsfragen

Die Zumutungen im Bildungs- und Schulbetrieb scheinen ein solches Ausmaß angenommen zu haben, dass sich Widerstand regt. Der Landesverband Schulpsychologie NRW hat sich der ursprünglich Berliner Aktion „Schule muss anders“ angeschlossen. Am 23.9. soll es zu einem bundesweiten Aktionstag samt Aufruf zu einer Bildungswende kommen.
Tatsächlich sollten in Berlin krasse Kürzungen mit spürbaren Verschlechterungen umgesetzt werden.
Möglicherweise fallen die nun etwas milder aus, vielleicht haben die sich abzeichnenden Widerstände schon dazu beigetragen.



Wird nun alles gut? Wohl eher nicht. Denn die Zeichen der Wendezeit stehen eindeutig auf Haushaltskürzungen und wirtschaftlichem Abschwung – außer in der Rüstung, wo es keine roten Linien für Ausgabensteigerungen gibt. Man darf also vermuten, dass bei den Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsausgaben gekürzt wird, damit die Rüstungsausgaben gesteigert werden können. Es sind also Verteilungsfragen, die in den Kampf für eine Bildungswende hineinspielen. Wie es auch eine Verteilungsfrage ist, wer die Kosten für eine Klimawende zu tragen hat. Man kann darin auch eine aktuelle Form dessen sehen, was früher Klassenkampf genannt wurde.


Die nachhaltige, gefühlt ewigwährende Unterfinanzierung der Bildung war immer schon ein Affront gegen die benachteiligten Gruppen in der Bevölkerung, der politisch gewollt war. Wie sonst wären die ständig währenden Ergebnisse von Bildungsuntersuchungen, die feststellen die soziale Herkunft entscheidet über den Bildungserfolg zu verstehen?

Wenn Schule anders soll, sollten Hintergrund und Kontext nicht übersehen werden. Es ist Krieg und Friedensinitiativen werden gemieden und abgelehnt – im Namen der Freiheit, der Gerechtigkeit etc. Das kostet und wird auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen. Ohne Frieden und Rüstungsabbau wird Schule nicht anders, auch wenn sie anders muss. Kein Geld schafft keine Lehrerstellen, keine Toiletten und keine dichten Fenster. Das und anderes schleifen zu lassen, ist eine Form der Verachtung, die jeden Protest verdient hat.

Der in den Forderungen von Schule muss anders zurecht geforderte Zuwachs an Gelegenheiten zu Beziehungs- und zu Teamarbeit könnte das Tor zu einer veränderten Bildungsarbeit mit Aussicht auf Persönlichkeitsbildung sein, zumindest zu einer anderen Idee von Bildung. Aus Beziehungsarbeit könnten Erweiterung von Urteilsvermögen und Mündigkeit hervorgehen. Solch potenziell emanzipatorischen Elemente sind jedoch zugleich ein Widerspruch zur bisher gepflegten neoliberalen „Bertelsmannisierung“ und enggeführten marktfunktional gedachten Kompetenzorientierung.

Aus Beziehungsarbeit und Arbeit in Teams können Bindung statt Vereinzelung, eigenständiges Denken statt Fremdbestimmung, Verstehen der Wechselwirkungen zwischen Subjekt und Gesellschaft entstehen.
Gleichzeitig wachsen die Ansprüche aus Politik, Bürokratie und Wirtschaft, die Menschen sollten sich bereitwillig und vertrauensvoll von diesen führen lassen, ggf per Anordnung und Repression. Und auf eigene, „egoistische“ Ansprüche verzichten. Andererseits hat sich herumgesprochen, dass auf Anpassung und Marktfunktionalität gerichtete Charaktere möglicherweise nicht das unabhängige Denken und die Kommunikationsfähigkeit mitbringen, die für Krisenbewältigung und Zukunftssicherung nötig sind. Da tun sich Dilemmata für auf.
Wie sollten Beziehungsarbeit und Teamarbeit ausgestaltet sein? Sie können Autonomie und Mitbestimmung stärken und brauchen dann einen politischen Aufbruch. Beziehungsarbeit und Teamarbeit können aber auch dazu beitragen, Druck aus dem Kessel zu nehmen, als Anpassung an einen Zeitgeist, so wie wir ein bisschen Inklusion bekamen – der „Rest“ ist aufzufüllen mit Mehrarbeit und Engagement. Ein immer wieder genutztes Muster in einem Bildungsbetrieb, dessen emanzipatorische Hoffnungen nie politisch abgesichert waren.

Eine „echte“ Bildungswende wird sich mit den Tücken dieses Musters befassen müssen. Wie auch immer: um die Friedensfrage und den Rüstungshaushalt werden die nicht herumkommen, die eine Bildungswende und den Erhalt des Sozialstaats wollen.