Angsterzeugung als Herrschaftsmittel

»Demokratie geht nämlich nicht nur mit einem Versprechen einer gesellschaftlichen Selbstbestimmung einher, sondern auch mit einem Versprechen einer größtmöglichen Freiheit von gesellschaftlicher Angst. Demokratie bedeutet also den Verzicht auf eine der wirksamsten Herrschaftstechniken überhaupt: der systematischen Erzeugung gesellschaftlicher Angst.«

In einem ausführlichen und interessanten Interview stellt der Psychologe Rainer Mausfeld einen Zusammenhang zwischen Neoliberalismus, Angst (-erzeugung), Demokratie und Macht her. Das wirft Fragen und Anreize zum Nachdenken auf, zum Beispiel: Welche Rolle spielt Schule in diesem Prozess, welche Rolle übernimmt Schulpsychologie und -beratung dabei?

»Das erschöpfte Selbst der Psychologie«

Psycholog’inn’en in der Ohnmachtsfalle?

Kürzlich war in Hamburg eine Vorlesung von Heiner Keupp zu hören. Das erschöpfte Selbst der Psychologie. Für die Überwindung ihrer Gesellschaftsblindheit«, war sein Thema. Ich war verblüfft, als ich eine Woche zuvor eine Einladung erhielt. Wie aus der Zeit gefallen wirkte es, von so einer Veranstaltung an einer Uni zu hören. (Hier ein ähnlicher Text von Heiner Keupp, hinzugefügt am 29.1.2018)

Heiner Keupp berichtete über die Entwicklung der Psychologie in den letzten 30, 40 Jahren. Über den Aufbau einer Gemeindepsychiatrie in Hamburg, den er mitbetrieb, über ähnliche Initiativen in anderen Städten, zum Beispiel München, wo Heiner Keupp lange Jahre als Professor arbeitete. Er blickte auf ein Werk zurück, das Spuren hinterlassen habe. Tatsächlich gibt es die Irrenhäuser von „damals“ nicht mehr; stattdessen gibt es ein komplexes System gemeindenaher sozialpsychiatrischer Hilfen.  (Hier seine Standpunkte zur Entwicklung der Sozialpsychiatrie)

Seine Bemühungen und die vieler Gleichgesinnter galten einer Humanisierung der „Welt“. Sie wollten Beiträge zu mehr Selbstbestimmung der Menschen leisten. Diese brachten in der Patientenbewegung ihre eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse ein, nicht selten zur Irritation der Professionellen.

Aber irgendwann riss der Faden des emanzipatorisch gemeinten Projekts

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Sind schulpsychologische Kompetenzzentren ein Ausweg aus der Marginalisierung der Schulpsychologie?

In Baden Württemberg schon seit einigen Jahren, in Hessen seit kürzerer Zeit, gibt es  »Schulpsychologische Kompetenzzentren«

Im günstigen Fall wären sie ein Ort der Reflexion, des Austausches und auch der Kontroverse. Diese müsste ihren Platz haben dürfen, denn schulische, kommunalpolitische und ministerielle Logiken weisen andere Logiken auf, als die menschlicher und organisationeller Logik. Darüber muss man sprechen und nachdenken dürfen — ansonsten wäre ein Kompetenzzentrum eine weitere Maschinerie zur Umsetzung von Konzepten der Funktionalisierung und Anpassung, sowohl der Psycholog’inn’en, Lehrer’innen und Schüler’innen.
Die Themenpalette und einige Veröffentlichungen auf den Websites der Kompetenzzentren lassen die Hoffnung keimen, dass sie ein Ort der Revitalisierung der Schulpsychologie und der Professionalisierung von Beratung sein könnten.

Zum Kompetenzzentrum Hessen

Zum Kompetenzzentrum Baden-Württemberg

Befreit die Ideologie der Optimierung von einer Erörterung ethischer Fragen?

Schiefe Ebenen oder alles im Lot?

Wohl keine Psychologin, kein Psychologe, kein Berater, keine Beraterin im Arbeitsgebiet der sozialwissenschaftlich fundierten Beratung würde vermutlich sagen, dass es ethischer Grundlagen in der Beratungsarbeit nicht bedürfe.
Wenn man sich anschaut, wie häufig und wie intensiv ethische Grundlagen der Beratungsarbeit diskutiert oder gar schriftlich behandelt werden, könnte man zu dem Schluss gelangen, es bestünden überhaupt keine Probleme, es gebe keinen Anlass zur Sorge. Dass dem nicht so ist, will ich weiter unten kurz darlegen.

Vermutlich hat die Abwesenheit ethischer Debatten damit zu tun, dass wir es gewohnt sind, ethische Dilemmata oder Konflikte in Verbindung mit den Monstrositäten des Nationalsozialismus oder der Stasi zu sehen; deren Charakter des Einmaligen und Vergangenen wird zudem in der Regel betont – und damit wird, beabsichtigt oder nicht, hervorgehoben, wie gut und gerecht es doch bei uns zugehe. Tatsächlich: So geht es bei uns nicht zu.

Dabei wird gern übersehen, dass es „damals“ „schiefe Ebenen“ gab, die man nicht als Beginn einer rasenden Talfahrt sehen wollte. Wegschauen, Gelegenheit der Karriere, Glaube an Technik und Vermessbarkeit des Menschen ergaben eine Melange, die in die Inhumanität führte. Schließlich gab es kein Halten mehr. Jede Gegenwehr schien zwecklos oder lebensgefährlich.

Täterprofile. Zwei starke Veröffentlichungen von Hans-Peter de Lorent

In kleinem Maßstab habe ich das mit der Geschichte von Hans Lämmermann, dem Mann der als erster Schulpsychologe Deutschlands gilt, herauszuarbeiten versucht. Sehr viel präziser und fundamentaler gelingt es Hans-Peter de Lorent Motive, Verirrungen und Verführungen wichtiger Personen zu beschreiben. Er hat zwei (im wahrsten Sinne des Wortes) schwere Bände mit »Täterprofilen« bei der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg, herausgebracht. Auf jeweils fast 900 Seiten schildert der Autor Lebenswege und Entscheidungen von „Tätern“.
Band 1: Täterprofile: Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz, Hamburg 2016
Und Band 2: Täterprofile: Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz und in der Zeit nach 1945, Hamburg 2017

Im zweiten Band sind zwei Personen vertreten, die von psychologischem Interesse sind, die bundesweit bekannt waren und Einfluss hatten. Da ist Walter Bärsch, der unter anderem die Hamburger Schülerhilfe leitete, Professor der Erziehungswissenschaften und hoch angesehen war. Und da ist von Professor Peter R. Hofstätter die Rede, bis 1968 tätig am psychologischen Institut der Universität Hamburg und Ziel studentischer Proteste in den 1960 er Jahren.

Beide Biografien und viele andere mehr in den zwei Bänden geben Anlass zu der Frage, wie die Voraussetzungen persönlicher, institutioneller und gesellschaftlicher Art sein mögen, um sich für den Weg der Inhumanität, des Wegschauens, der Liebedienerei und der Duckmäuserei zu entscheiden. Und was es so schwer macht, sich für einen humanen, demokratischen Weg zu entscheiden. Wie ist zu erkennen, dass eine abschüssige Bahn angelegt ist? Was kann Menschen widerstandsfähig machen und bereit, sich gegen erste Zeichen der Inhumanität zu wehren? Immer wieder führt das zu der Frage: Wie hätte ich mich verhalten? Wie wären meine Entscheidungen gewesen und wie ist es mit meiner Entscheidungsfähigkeit bestellt? Weiterlesen „Befreit die Ideologie der Optimierung von einer Erörterung ethischer Fragen?“

Regulieren, steuern, optimieren – ist das die Zukunft der Schulpsychologie?

Anmerkungen zur Emotionsregulation

Emotionsregulation. Das muss ein immenser Markt sein, wenn man sich den Auswurf zu Gemüte führt, der einem entgegenschwallt, gibt man den Begriff in die Suchmaschine ein. Der Zugriff aufs Subjekt treibt die Forscherinnen an. Nun im neuen Gewand und – vielleicht – mit noch größerer Präzision, in technischer, dem Anschein nach neutraler Redeweise. Weiterlesen „Regulieren, steuern, optimieren – ist das die Zukunft der Schulpsychologie?“

Respekt vor Persönlichkeit oder Klassifizierung?

Unzulänglichkeiten der Typisierungskataloge von ICD und DSM

Das hier zur Debatte stehende Thema ist wahrhaftig nicht nur eines der Psychiatrie, sondern auch der Psychologie und psychologisch fundierter Beratung. Psychologie in Schule und Gesundheitswesen und anderen Einrichtungen steht unter dem Druck, sich für die geforderten Anpassungsaufgaben als nützlich zu erweisen. Sie gibt dafür in Ausbildung und Praxis der Illusion nach, menschliches Verhalten ließe sich vermessen. Sie gibt der Illusion nach (und sie verstärkt sie), typ- und symptomgerecht − also industrialisiert und kostengünstig  − die geforderte Leistung erbringen zu können. Zum Schaden der Empfänger von Hilfe, der Professionellen selbst und der beteiligten Professionen.

Der Psychiater Norbert Andersch schreibt hier in einem Artikel der jungen welt, welche Probleme aus der reduktionistischen ICD, DSM,Evidenzbasierungs-Logik entstehen. Und er macht Vorschläge, welche Richtung Psychiatrie und Psychologie einschlagen könnten, damit die Dinge besser werden. Wer sich weiter damit befassen möchte, findet wohl hier weiteren Aufschluss.

 

Nur wenige junge Psychiater, Neurologen und Psychologen haben noch Zeit und Lust, die Vereinnahmung in einen industrialisierten Medizinbetrieb zu hinterfragen. Aufgewachsen in der scheinbar verifizierbaren Welt evidenzbasierter Psychiatrie, und widerstandslos adaptiert an das »Processing« ihrer Patienten durch standardisierte Behandlungsschritte toleriert die große Mehrheit die Schubladendiagnosen der Klassifikationssysteme und deren philosophische Grundierung durch eine phänomenologische Psychopathologie, vermittelt diese doch zumindest auf dem Papier den Eindruck, der einzelne Patient werde gehört und seine Individualität bestimme den Gang der Therapie – auch wenn jeder Mitarbeiter psychiatrischer Einrichtungen weiß, dass das pure Fiktion ist.

Hilfreich für das wirkliche Verständnis der komplizierten Kommunikationsstörungen, die psychischen Erkrankungen zugrundeliegen, wäre ein tätigkeits- und gestaltorientiertes Modell, das als interaktive, muster- und symbolbasierte Matrix menschlicher Bewusstheit verstanden werden sollte.

 

Protest gegen Digitalpakt

Forderungen und Hintergründe zur Kampagne der Kultusminister

Das »Bündnis für humane Bildung« startet eine Unterschriftensammlung

So wichtig es ist, über Zukunftsstrategien für öffentliche Schulen zu diskutieren und bei Bedarf länderübergreifend zu kooperieren, so falsch ist es, Konzepte nur an Digitaltechnik und zentralisierten Strukturen festzumachen. Die angeblich notwendige „Digitalisierung aller Bildungseinrichtungen“ ist mehr Ideologie denn zukunftsweisende Strategie. Seit wann orientieren sich Bildungsprozesse an neuer Medientechnik oder den Update-Zyklen der IT-Wirtschaft? Geräte der Unterhaltungsindustrie verpflichtend in den Unterricht zu integrieren ist weder pädagogisch noch bildungspolitisch zu begründen. Es missachtet zudem die grundgesetzlich verankerte Methodenfreiheit der Lehrenden. Diese Pakte bedienen ausschließlich Partikularinteressen der IT-Wirtschaft und der Arbeitgeberverbände.

Geschichte(n) und Professionalität in der Psychologie

Es lohnt sich, ab und an in das Journal für Psychologie zu schauen

Leider habe ich das in den letzten Monaten nicht beherzigt. Deshalb ist mir ein wichtiges Themenheft entgangen: PsychologInnen prekär. Der Entwicklung des Faches in den letzten Jahrzehnten geht Heiner Keupp nach. Das erschöpfte Selbst der Psychologie lautet sein Aufsatz. Anregend für die berufliche Orientierung von jung und alt und für Berufsverbände, finde ich. Wie und wofür wollen wir arbeiten? Ein Beitrag zum Professionalitätsverständnis − unter vielerlei Gesichtspunkten lässt sich der Text lesen.

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Ebenfalls übersehen (von mir) und vielversprechend

das Themenheft Reflexivität der Beratung

Von der geistigen Arbeit in ihre industrialisierte Form

Diesen Hinweis auf einen Artikel in der Süddeutschen habe ich ausgewählt, weil er nicht allein für die Welt der Büros bedeutsam sein könnte. Geistige Arbeit, die innere Arbeit des Beraters und der Beraterin ist bedroht. Schematisierung, Standardisierung finden in der nur vermeintlich unabhängigen Beratungsarbeit statt. Manchmal treiben Psychologinnen und Psychologen diesen Prozess gar voran. Sie versprechen sich davon Anerkennung (von wem?), Sicherheit des Handelns in Zeiten standardisierter Ausbildung, Abgrenzung von konkurrierenden Berufsgruppen. Die Kriterien, die in den Prozess der Standardisierung eingehen sind zweifelhaft.

Der Vormarsch pharmakologischer Verhaltenssteuerung − kein Problem?

Götz Eisenberg konstatiert einen »pharmakologischen Seelenmord«

In der Bildung und in den Berufsverbänden der Psychologinnen und Berater spielt die pharmakalogisch und medizinisch fundierte Verhaltensoptimierung keine Rolle. Diese Form der »Optimierung«  bricht jedoch mit allem, was Bildung und Berufsverbände als Ziel und Zweck von Schule beschreiben. Dennoch halten sich Kritik und Verurteilung in engen Grenzen, sowohl von staatlicher Seite als auch von der Seite der Professionen.

Eltern beschreiten den Weg zu Arzt und Apotheker auch deswegen, weil sie sich selbst an den Modus der pharmakologischen Moderation von Konflikten gewöhnt haben und bei jeder Gelegenheit irgendein Medikament einnehmen. Das als „Unternehmer seiner selbst“ konzipierte Subjekt muss bei Strafe des Untergangs lernen, sein als Störfaktor auftretendes Seelenleben mittels Drogen und Medikamenten zu regulieren und auf Vordermann zu bringen.

Sind die Verstrickung und Verwobenheit, vielleicht auch die mehr oder weniger geahnte Komplizenschaft der Institutionen und Menschen größer als wir wahrhaben wollen? Können wir den »pharmakologischen Seelenmord« hinnehmen, obwohl die vermeintliche Optimierung doch tief in die Körper und Persönlichkeiten eingreift?

Götz Eisenberg breitet unterschiedliche Facetten des Themas aus und regt an, die eigenen und gesellschaftlichen Werte / Leitlinien des Unterrichtens und Beratens zu hinterfragen