Der Bundespräsident sagt Vernünftiges zu Schule und Gewalt – und niemand merkt es. Alle schwärmen von Habeck


Ein Vergleich der „präsidialen“ Rede des Wirtschaftsministers mit der Rede des Bundespräsidenten macht es möglich zu erkennen, dass Frank-Walter Steinmeier Robert Habeck voraus ist. Letzterer wollte Verworrenheit beseitigen – bleibt dabei aber in seinen Vorurteilen gefangen.

Der Bundespräsident äußerte sich zum Thema Gewalt und Schule in Verbindung mit dem Krieg in Nahost. Er beginnt mit dem Schock und dem Entsetzen, den der Hamas-Angriff auf Israel ausgelöst habe. Es scheint dann so, als schlage der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die schon reichlich genutzte und geritzte Kerbe des heiteren Himmels, aus dem dieser Angriff erfolgte. Allerdings: Wer wollte und nicht sich selbst zu betrügen beabsichtigte, konnte zumindest ahnen, dass in Nahost alle Zutaten für Rachegefühle und Gegenschläge bereitlagen. Es handele sich, so der Bundespräsident, um einen Krieg, den »die Hamas der Region aufgezwungen hat.«


Da spricht der Bundespräsident, wie so viele aus der politischen Klasse. Er ist so „frei“ und lässt die Vorgeschichte unter den Tisch fallen. Mit solcher Reduktion ist der Hauptschuldige und Urheber leicht ausgemacht – was leider einer Friedensstiftung nicht förderlich ist. Im schlimmsten Fall behindert sie das »friedliche Zusammenleben in unserem Land«. Und auch Herr Steinmeier benutzt den Satz, dass Jüdinnen und Juden sich in Deutschland vollkommen sicher fühlen können müssen. Was als besondere deutsche historische Verpflichtung und Fürsorglichkeit daherkommt, birgt einen rassistischen, ausgrenzenden, verstörenden Schluss in sich.

Gilt die Forderung nach vollkommener Sicherheit nicht für alle Menschen in diesem Land? Wäre nicht die Forderung nach gleicher Sicherheit für alle das Ergebnis einer historischen Verpflichtung, die wir Deutsche sicherlich haben? Jegliche Diskriminierung und Herabsetzung birgt den Keim des Rassismus in sich! Die enge Nachbarschaft von mehr oder weniger willkürlichen Merkmalen der Zugehörigkeit bzw. des Ausschlusses, des Zugangs zu Ressourcen bzw. ihre Verwehrung, die fließenden Übergänge zwischen „normaler“ Abstufung und Herabsetung, die Normalisierung des Schrecklichen zu erkennen, mit ihr immer wieder reflektiert und human umzugehen, sollte deutsche Staatsräson sein.


Warum also sollte die Rede des Bundespräsidenten inspirierend sein? Was rechtfertigt Nachsicht und Großzügigkeit trotz der kritisierten Verkürzungen in der Rede des Bundespräsidenten? Sie leiten sich aus einem Vergleich ab. Ohne dass es so erklärt worden wäre, scheint mir die Rede des Bundespräsidenten eine Reaktion auf die „präsidiale“ (so sollte sie wohl wirken) Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz und des Vizekanzlers Robert Habeck zu sein. Habecks Rede fand viel positive Resonanz und wurde teilweise geradezu bejubelt. Das weist allerdings eher auf den moralischen Thron hin, auf den Medien und Politik sich gern setzen als auf Klugheit und Verstehen. Sie geben sich ergriffen von der eigenen Lauterkeit und Rechtschaffenheit – und verbergen damit doch nur eigene Leerstellen und unaufgelöste Widersprüche ihrer eigenen Geschichte. Was dann gefährlich werden kann, wenn sie politisch und gesellschaftlich wirksam werden.

Wie schon Robert Habeck geht auch Frank-Walter Steinmeier zu Herzen, wie einsam sich jüdische Menschen fühlen mögen. Aber – und das ist das menschliche Plus des Bundespräsidenten – der Präsident ist in der Lage zu erkennen, dass sich »Menschen mit palästinensischen, mit anderen arabischen oder türkischen Wurzeln« »hier im eigenen Land fremd und ausgegrenzt« fühlen können.


Vermutlich weil er weiß (bzw. sein Beraterstab), dass Ignoranz gegenüber aller Leiderfahrung, dazu beitragen kann, die Gewaltspirale anzutreiben. Oder mit anderen Worten: Der schrille Ton der Empörung ist imstande, den gesellschaftlichen Frieden zu ruinieren. Deshalb fasse ich die Rede Steinmeiers als Gegenrede auf.


Vollkommen richtig sagt der Bundespräsident:


»Wir sind ein Land! Herkunft entscheidet nicht über Zugehörigkeit. Einen Generalverdacht kann und darf es in unserem Land nicht geben! Aber wir alle, die wir in Deutschland leben, haben in der Demokratie eine Generalverantwortung. Wir müssen allen menschenfeindlichen Vorurteilen und Ressentiments beherzt entgegentreten – judenfeindlichen ebenso wie muslimfeindlichen und rassistischen!«


»Wir müssen uns um die Prävention von Hass und Gewalt kümmern, statt immer nur Feuerwehr zu spielen, wenn es brennt. Das verlangt unsere Verantwortung für friedliches Zusammenleben in unserem Land. Das verlangt unsere Verantwortung für unsere Demokratie!«

Gut dass der Präsident deutlich wird. Lehrer und Lehrerinnen, die sich in diesen Tagen mühen, ein friedliches Zusammenleben zu erhalten und zu ermöglichen können Steinmeiers Worte als Bestärkung nehmen.
Während der Wirtschaftsminister und Vizekanzler dazu rät, der Empörung freien Lauf zu lassen und von den Kontexten Abstand zu nehmen, kann man beim Präsidenten das Bemühen um Empathie erkennen. Robert Habeck laut Redemanuskript:


»Die Solidarität ist bei Israel rasch brüchig. Dann heißt es, der Kontext sei schwierig. Kontextualisierung aber darf nicht zu Rechtfertigung führen.«

Ich hoffe, Lehrern ist Kontext samt Vorgeschichte wichtig. Es ist ja gerade das stille oder auch laute Gebot der Kontextstigmatisierung – wir kennen es inzwischen auch aus anderen Themenfeldern –, welches der besonnenen Diskussion den Boden entzieht. Habeck unterstellt mal eben so, dass jemand der kontextualisiert, rechtfertige. Wer Kontexte beachtet, wird unter strenge Überwachung gestellt und muss das begründen und sich verdienen. So wie der Vizekanzler formuliert, ist das einschüchternd und eine Drohung.
Konziliant und betrübt teilt er mit, dass wir sicherlich oft zu viel Empörung in unserer Debattenkultur hätten. Also doch zuviel des Schlechten? Abstrakt warnt er vor einem Zuviel (wer bestimmt das Maß?). Konkret ruft er zu einem Übermaß an Empörung auf:

»Hier aber können wir gar nicht empört genug sein.«


Und wer dennoch nicht ganz so empört sein möchte, weil er oder auch sie einen klaren Kopf behalten, besonnen sein möchte, muss sich sagen lassen, er oder sie verwische die Klarheit, die sich gleichsam rein und unverstellt aus der Empörung (!) zu speisen scheint, unberührt von aufwendigen Methoden des Analysierens und Nachdenkens.


Man kann sich nur wünschen, dass viele Menschen die Rede des Bundespräsidenten hören oder lesen und aus dem Werben um Einfühlungsvermögen Anregung und Unterstützung ziehen.
Der Vizekanzler dagegen verlangt den muslimischen Verbänden besondere Bekenntnisse ab und tut damit so, als hätten sie es besonders nötig – ist das schon Rassismus und Brunnenvergiftung? Eine Zumutung wohl auf jeden Fall und ein Grund, sich ausgegrenzt, fremd und potenziell verfassungsfeindlich zu fühlen. Worauf will Herr Habeck hinaus, wenn er den Anspruch der Muslime auf Schutz mit der von ihnen zu leistenden Verurteilung von Antisemitismus (was ist ein gutes, gültiges zufriedenstellendes Bekenntnis?) verrechnet? Zurecht sagt der Bundespräsident: Kein Generalverdacht!

Herr Habeck betreibt genau das, wogegen Steinmeier sich wendet: Menschen in Gruppenhaft zu nehmen und ihnen Bekenntnisse abzuverlangen.


»Und sie müssen sich klipp und klar von Antisemitismus distanzieren, um nicht ihren eigenen Anspruch auf Toleranz zu unterlaufen.« (Habeck)

Wahrhaftig eine schäumende, von Empörung gesättigte Rede, die wohl die Rechtschaffenheit des Redners und der ihn belobigenden Medien beweisen soll. Ohne die Pose des Zuchtmeisters kommt er nicht aus … Herr Habeck legt fest:


»Toleranz kann an dieser Stelle keine Intoleranz vertragen. Das ist der Kern unseres Zusammenlebens in der Republik.«


Wir warten auf die Rede, die uns erläutert, an welcher Stelle Toleranz vertretbar ist, wenn schon nicht an dieser.
Näheres führte schon Thomas Fischer in seiner Spiegelkolumne aus (Bezahlschranke), kurze Zitate hier: bei Nr.3

Habeck gibt sich auf rutschiges Gelände, wenn er die Antisemitismen analysiert. Er macht einen islamistischen Antisemitismus aus, der neben einem verfestigten (?) deutschen Antisemitismus existiere. Die verfestigten, deutschen rechtsextremen Antisemiten hielten sich zum Teil (?) aus rein taktischen Gründen zurück, um gegen die Muslime hetzen zu können.
Hat nun Herr Habeck mit seiner Drohrede an die Muslime das Geschäft der Rechtsextremen mitbesorgt, als Demokrat natürlich?
Und relativiert Habeck in seiner Kritik an der Fliegenschissrede Gaulands nicht die monströsen Verbrechen Deutschlands, wenn er behauptet:


»Der zweite Weltkrieg war ein Vernichtungskrieg gegen Juden, für das Nazi-Regime war die Vernichtung des europäischen Judentums immer Hauptziel.«

Wollen wir nichts mehr hören von den Millionen getöteter Menschen der Sowjetunion, den Russen, den slawischen Völkern, die zu Untermenschen gemacht wurden und die man deshalb vernichten durfte, nachdem man sie vorher durch Versklavung ausgebeutet hat? Wahrhaftig ein Verbrechen, dass Deutschland sechs Millionen Juden umbrachte. So monströs dieses Verbrechen ist, bleibt aber doch die Frage: Wie kann Herr Habeck das zum »Hauptziel« machen, wo man wissen kann, dass insbesondere slawische Menschen in Osteuropa und in der Sowjetunion, zu Millionen zu Untermenschen erklärt und deshalb vernichtet wurden? Es geht hier nicht um eine Rangreihe, sondern darum, dass deutsche Verbrechen der Vernichtung und Versklavung sich gegen viele Völker richteten. Sollen wir von denen nichts mehr wissen, wenn die Vernichtung des europäischen Judentums zum Hauptziel erklärt wird? Warum finden „die anderen“ keine Erwähnung? Weil im heute gültigen Schema sie und ihre Nachfahren wieder zu Feinden gemacht werden sollen, die es nicht besser verdient haben als ausgegrenzt zu werden – als Staatsräson gewissermaßen? Das wäre eine fatale Instrumentalisierung der Gschichte.

Nur wenige Zeilen später bekommen in der Tat die »Putin-Freunde« ihr Fett weg, hat der Putin sich doch mit Hamas-Vertretern fotografieren lassen. Herr Habeck lässt sich selbstverständlich nur mit hochrespektablen, moralisch unanfechtbaren Präsidenten, Demokraten und Freiheitsverfechtern etc ablichten. Was immer Herrn Habeck bei seinen Tiraden die Zunge führt – es ist eine beunruhigende Kurzsichtigkeit, Neigung zu eiliger Schuldzuweisung und Zuschreibung eigener Rechtschaffenheit spürbar. Keine guten Voraussetzungen für Verständigung und Auflösung von Verworrenheiten. Bis auf Weiteres sollten wir es mit der Linie des Bundespräsidenten versuchen.

Passend zum Thema und geeignet, Verstehen und Respekt zu fördern, Klarheit zu schaffen.
Heiland Habeck. Echt jetzt?
https://taz.de/Rede-zur-Staatsraeson/!5967949/
NURIT PELED : Im Bewusstsein der Israelis existieren die Palästinenser nicht.
https://seniora.org/politik-wirtschaft/israel/nurit-peled-im-bewusstsein-der-israelis-existieren-die-palaestinenser-nicht
Deborah Feldman: Deutschland stellt sich an Israels Seite. Und lässt uns Juden im Stich https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/deborah-feldman-habeck-entscheidet-sich-fuer-israel-uns-juden-laesst-er-im-stich, Bezahlschranke
Im Vorwurf des Rassismus überlebt der Rassegedanke
https://www.berliner-zeitung.de/open-source/antisemitismus-daniela-dahn-im-vorwurf-des-rassismus-ueberlebt-der-rassegedanke-li.2158560