Ein Lesebericht über Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit, Warum wir von Natur aus kooperieren
von Jürgen Mietz
Gewalt und zerstörerische Aggression gehören allem Anschein nach zur ersten Natur des Menschen. Kriege, Herrschaft und Unterwerfung, die Ereignisse auf Schulhöfen und Schulwegen, Gewalt in Familien scheinen das zu bestätigen. Erklärt oder gerechtfertigt wird das mit dem vermeintlichen Naturgesetz des Kampfes ums Überleben. Entwicklung sei nur darüber möglich, dass sich der Stärkere durchsetze. Die Spirale der Gewalt ist demnach unausweichlich. Je mehr jemand aufrüstet, umso mehr zeigt sich darin seine Fähigkeit, Fortschritt und Entwicklung zu sichern. Und nun kommt die Neurobiologie, unter anderem in Gestalt Joachim Bauers daher und sagt: Alles falsch. Das Gegenteil ist richtig. Kommunikation und Kooperation sind den Menschen als oberstes und wichtigstes Merkmal zur Lebenssicherung und Entwicklung eingebaut.
Das überrascht. War doch die Biologie mit ihrem »egoistischen Gen« in der Öffentlichkeit über Jahrzehnte eine der Disziplinen, die Argumente dafür lieferte, pädagogische und psychologische Konzepte zu diskreditieren. Diese entsprächen eher den Fantasien und idealen einiger naiver Gutmenschen als der Natur des Menschen.
Was nun führt Joachim Bauer als Beleg dafür an, dass das »Prinzip Menschlichkeit«, die Fähigkeit zu kooperieren, die erste Natur des Menschen ist und Gewalt und Aggression »in funktionalem Zusammenhang mit dem Grundbedürfnis (…) nach Beziehung« steht und »diesem Bedürfnis unter- oder nachgeordnet« ist? (S. 89)
Wohin wollen die biologischen Antriebsaggregate uns führen?
Dopamin erzeugt ein Gefühl des Wohlbefindens und versetzt den Organismus psychisch und physisch in einen Zustand von Konzentration und Handlungsbereitschaft. Es ermöglicht muskuläre Bewegungsfähigkeit.
Endogene Opioide haben »einen sanften, wohltuenden Effekt« auf die Emotionszentren des Gehirns, vermindern die Schmerzempfindlichkeit und stärken das Immunsystem.
Ein dritter wichtiger Stoff ist das Oxytozin.
Welche natürlichen Voraussetzungen sind zu erfüllen, damit dieses Motivationssystem arbeitet, seine Botenstoffe abgibt? »Nichts aktiviert die Motivationssysteme so sehr wie der Wunsch, von anderen gesehen zu werden, die Aussicht auf soziale Anerkennung, das Erleben positiver Zuwendung und – erst recht – die Erfahrung von Liebe.« (S. 37) »Wir sind – aus neurobiologischer Sicht – auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen.«
Bauer liefert Experimente und Untersuchungen, die nun auf neurobiologischer Ebene zeigen, was aus psychologischen und sozialpsychologischen Untersuchungen lange bekannt ist: Die Motivationssysteme schalten ab, wenn keine Chance auf soziale Zuwendung besteht.
Der Autor widmet dem Oxytozin besondere Aufmerksamkeit. Er nennt es auch das Vertauenshormon. Es reguliert Bindungs- und Bindungserfahrungen, ist sowohl Ursache und Wirkung für Bindungserfahrungen. Die Wirkungen dieses Stoffs sind auch medizinischer Art: Es sorgt für Entspannung, senkt den Blutdruck, dämpft die Angstzentren und vermag die biologischen Stress-Systeme zu beruhigen. Joachim Bauer schreibt: »Zunehmend wird deutlich: Die stärkste und beste Droge für den Menschen ist der andere Mensch«. (S. 54) Dagegen zerstören die Botenstoffe Glutamat und Cortison, die bei Stress entstehen und wenn sie auf Dauer gestellt sind, Nervenzellen. (69)
Die Konsequenzen
»Wer Menschen nachhaltig motivieren will, (…) muss ihnen die Möglichkeit geben, mit anderen zu kooperieren und Beziehungen zu gestalten. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Arbeitswelt, für das Führungsverhalten von Vorgesetzten und Managern, für das Medizinsystem und für die Pädaogik.« (63)
Und was ist mit der Aggression?
»Aggression kommt immer dann ins Spiel, wenn Bindungen bedroht sind, wenn sie nicht gelingen oder fehlen.« (75) Der Autor setzt sich darüber hinaus mit den Thesen einer angeborenen Gewalt und angeborenen Verbrechertums auseinander. Er zeigt, dass Aggression weder Bestimmung des Menschen noch sein Schicksal ist. Wo sie bei Menschen auftritt, liegen die Ursachen in fehelenden oder problematischen Bindungserfahrungen in der Prägungsphase oder in Traumatisierungen.
Die gesellschaftliche Bedeutung
Ein Vorzug des Buches ist, dass der Autor sich mit Darwins »Krieg der Natur« und seinem »Kampf ums Überleben« ausführlich auseinandersetzt und zeigt, wie sehr sie anderen Zwecken als denen der Wissenschaft dienten. Anders als in dessen Abstammungslehre, dienten die kriegerischen Theorien ökonomischen und imperialen Vorstellungen und waren/sind keine Wissenschaft. Joachim Bauer zeigt, welche Wirkungen die Ideologien Darwins bis in die Gegenwart haben und spart den Nationalsozialismus und neoliberales Denken nicht aus. Er kritisiert, dass es immer noch so etwas wie eine darwinistische »scientific correctness« gebe. (127)
Nicht zu kurz kommt eine Kritik der Soziobiologie. Darüber hinaus räumt Joachim Bauer mit falschen Vorstellungen über die Natur der Gene auf. Es ist erfreulich, dass ein Neurobiologe in gut lesbarer Weise biologisch stützt, was schon seit langem psychologische, sozialpsychologische und pädagogischer Erkenntnis ist: Kooperation, Kommunikation und Menschlichkeit sind machbar und nicht widernatürlich.
Eben so erfreulich ist, dass das Buch für 7,95 EUR bei Heyne als Taschenbuch zu haben ist.