Psychische Gesundheit durch Corona-Maßnahmen gefährdet

Nebenwirkungen als Hauptwirkung

Die Zahlen der Versterbenden entsprechen denjenigen der Vorjahre. Das ist verstörend. Zum einen, weil es in den vergangenen Jahren nicht die Sorgen der Politik gab, wie sie sie uns in diesen Wochen darstellt. Dieses Sterben war in den normalen Gang der Dinge einsortiert (ich will nicht sagen, dass das in Ordnung war). Zum anderen, weil aus den vergangenen Jahren und aus den letzten neun Monaten der Pandemie nicht das gelernt wurde, was man hätte lernen können. Und man hätte viel aus den Übungen der letzten Jahre lernen können, die staatliche Stellen, Konzerne und Gesundheitsorganisationen veranstalteten – aus welchen Motiven auch immer. Szenarien einer Pandemie wurden teilweise so durchgespielt, wie sie sich nun ereignen. Man mag nicht glauben, dass es einen entsprechenden Plan gegeben haben sollte. Man muss aber fragen: Wie konnte das passieren, was wir jetzt erleben, wenn es keine Absicht war? Welche Strukturen haben das ermöglicht oder herbeigeführt?

Gesundheit über alles? – Doch Menschen werden beschädigt

Wir hören sehr viel davon, dass Gesundheit über allem stehe, und dass es das sei, was die Regierenden antreibe. Aber was seit Langem bekannt ist, findet nach neun Monaten Pandemieerfahrung noch immer keinen Niederschlag: Der Schutz der am meisten Gefährdeten ist löchrig. Und ebenso findet kaum Beachtung in der Maßnahmenplanung, dass die Art und Weise der Lebensrettung per Lockdown, Ausgrenzung von Kritiker’inne’n u.ä.m. viele Menschen beschädigt und wohl auch Leben kostet.

Eine öffentliche Risikoabwägung,

die die Menschen in die Urteilsbildung einbezieht und damit auch vertrauensbildend wäre, findet nicht statt. Wie tief muss die Sackgasse sein, dass Regierende sich nicht zu der Erkenntnis durchringen können, dass nun endlich die Kräfte auf den Schutz der Verletzlichen konzentriert werden müssen? Und dass ansonsten eine maßvolle Politik der Einschränkungen und Rücksichtnahme vonnöten ist. Aber nicht eine Außerkraftsetzung von Parlament, Wissenschafts- und Meinungsfreiheit. Und dass der ganze Mensch mit den psychischen und sozialen Aspekten seiner Existenz in die Abwägungen einbezogen werden muss?

Das Gesundheits- und Altenpflegesystem samt der in ihnen arbeitenden Menschen wurde nicht gestärkt, die schon immer zu niedrigen Intensivbettenzahlen wurden de-facto wegen Personalmangels um weitere 3000 reduziert. Nicht auszuschließen ist, dass im Kontext einer auf Profit und Marktrentabilität angelegten Gesundheitspolitik und -praxis es zu ökonomischen Fehlanreizen – etwa hinsichtlich des Freihaltens von Betten oder der Belegung mit Covid-Patient’inn’en (Prämien) kommt. Nicht einmal ein Moratorium für die Empfehlungen von Bertelsmann-Stiftung und Leopoldina, Krankenhäuser zu schließen, gibt es. Es scheint stramm daran gearbeitet zu werden, dass es so wie es ist, am besten ist – alternativlos.

Systematische Missachtung von Beziehungsarbeit

Was in der Politik keine erkennbare Rolle spielt, ist die Tatsache, dass menschliche Existenz an Bindung und Beziehung gebunden ist. Offenbar sind Vorstellungs- und Einfühlungsvermögen im Zuge der marktkonformen Ausrichtung von Mensch und Gesellschaft verloren gegangen. Stattdessen scheint eine Sicht vorzuherrschen, die daraus besteht, in Menschen eine Funktion der Steuerungsabsichten der Oberen zu sehen. Das lässt mich fürchten, dass wir uns schrittweise in Richtung eines offen Menschen verachtenden Regimes entwickeln, in dem sie nichts mehr wert sind.

Dünne Fäden reißen

Die Behinderung der Arbeit von Personen und Organisationen, die Beziehungsarbeit leisten, bleibt nicht ohne Folgen. Berichtet wird in der FAZ eine enorme Steigerung psychischer Erkrankungen und Überlastungen. Viele Menschen haben durch den Wegfall von Beziehungsarbeit ihren Halt und ihre Stabilität verloren. Schon unter „normalen“ Vor-Corona-Bedingungen hingen diese am seidenen Faden. Eine Situation, die von der gewählten Politik so konzipiert war und gesellschaftlich mindestens hingenommen wurde. Gerade auch in dieser dem Anschein nach effizienten, tatsächlich aber in vielerlei Hinsicht auszehrenden Politik dürften tiefere Gründe für die heutige Krise liegen. Und diese ist nicht nur eine Virus-Krise, sondern eine politische.

Grenzüberschreitungen und Auszehrung

Gerade an die Grenzen und wenn möglich immer ein wenig darüber hinauszugehen und daraus einen kurzfristigen Nutzen zu ziehen, zeugt nicht von Weitsichtigkeit, ist aber Politik der vergangenen Jahrzehnte. Die Formierung der Gesellschaft und ihrer Individuen unter das Diktat der ökonomischen Rationalität, deren Abtrennung von menschlichen Existenzgrundlagen, hat Charaktere auf entscheidenden Leitungsebenen erzeugt, die im Menschen eine Funktion und ein Objekt sehen. Rührt sich da noch so etwas wie Eigenleben, Anspruch auf Urteilsfähigkeit und Aufklärung, wird das zu einer Störung, die es auszumerzen gilt.
Angesichts der Schäden für die Psyche vieler Menschen, die die Corona-Maßnahmen erzeugen und die im FAZ-Bericht oder auch hier deutlich werden, muss die Frage diskutiert werden, was uns und der Politik psychische Gesundheit wert ist. So wie dieses Thema zurzeit behandelt wird, muss man befürchten, das sie abgetan werden, wie in Kriegs- und Nachkriegszeiten Traumata „vergessen“ oder verharmlost wurden. So wie über die Spätfolgen einer Virus-Erkrankung geredet wird, müssen wir auch über Spätfolgen auf mentaler Ebene reden und nachdenken.

Schule

Es ist schwer, ein einigermaßen verlässliches Bild über die Folgen der Corona-Politik in Schule zu gewinnen, vor allem, wenn sie über die fehlende Ausstattung mit Computern etc. hinausgehen. Die Folgen dürften gravierender sein als Politik und Medien wahrhaben möchten. Die Turbulenzen finden ja nicht in einem kurzen überschaubaren Zeitraum statt. Sie stellen eine Dauerbelastung dar, die abschwellen und Hoffnung auf Besserung aufkommen lassen kann, aber auch wieder in Frustration übergehen kann, wenn neue „Flexibilität“ gefordert ist .
Allein schon, dass Planungen kaum noch möglich sind, sorgt für Belastungen, die an die Substanz gehen können, je nach personellen und materiellen Ressourcen, die zur Verfügung stehen. Wer Zeit- und materielle Polster hat, kann sich leichter umstellen als derjenige, der sie nicht hat. Und gerade dort, wo Wohnraum knapp ist, dass Familieneinkommen und Unterstützungszahlungen gering sind, wachsen die Spannungen und Belastungen. Auch hier, wo, schon immer politisch gewollt, die Verknappung als Erziehungs- und Drangsalierungsmittel eingesetzt wurde, reißen leicht die Fäden, wie in der therapeutischen und Beratungsarbeit. Sind die Folgen beabsichtigt und haben sie einen verborgenen Sinn? Etwa denjenigen, dass sie die Ausgrenzung von „Überflüssigen“ den Starken und Herrschenden nutzen? (Etwa in dem Sinne, wie man sich fragen kann, ob die Frage der Chancengleichheit jemals ernsthaft thematisiert wurde, wenn man in Betracht zieht, dass die soziale Herkunft immer noch über den Bildungserfolg entscheidet).

Wechselseitige Erwartungen und Frustrationen


Erwartungen von Unterstützung und Mitarbeit von Schulen und Lehrkräften stoßen auf Eltern, die selbst am Rande der Überforderung stehen und ihrerseits Unterstützung und Entgegenkommen erwarten. Lehrer’innen sind unterschiedlich gewohnt, gewillt und in der Lage, Umstellungen für den Unterricht vorzunehmen. Und das wiederum hängt von organisationellen und institutionellen Verfasstheiten der Schule(n) ab. Tatsächlich oder vermeintlich sehen sie Handlungsräume eingegrenzt, sehen sich für Entscheidungen nicht zuständig oder können tatsächlich einzelne Vorschläge in ihren Rückwirkungen auf das System nicht abschätzen oder verantworten und können sich nicht eindeutig gegenüber Eltern und Schüler’inne’n verhalten.

Entlastungsmöglichkeiten fallen weg


Supervision für Lehrer’innen und Leitungsmitgliedern wird unter Corona-Bedingungen zum Luxus, obwohl sich doch gerade durch Reflexion und Orientierung und Handlungsfähigkeit gewinnen lassen. Es kommt zu Terminabsagen, zu neuen Vereinbarungen, die aber ebenfalls sehr fragil sind.
So erhält die Vorstellung von der Schule als bürokratisches Monster neue Nahrung, was einlädt zum üblichen Bashing und wohlfeilen Forderungen, dass man ein anderes Regime (Wirtschaft, des Zentralismus oder des starken Mannes) brauche. Erlösungshoffnungen.

Wie wollen wir leben?


Ausgangspunkt der Überlegungen hier war, dass die psychischen und mentalen Schäden und Verletzungen, wie sie durch die Corona-Maßnahmen hervorgerufen und in Kauf genommen werden, in der Abwägung von Risiken und Nebenwirkungen keine Rolle spielen, obwohl sie deutlich sich in die Alltagserfahrungen einschreiben. Es wäre nützlich die Kolleg’inn’en würden die Folgen für den Beratungsalltag dokumentieren, sie in Berufsverbänden diskutieren und einer Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Zweifellos geht es dabei nicht allein darum psychische Schäden zu vermeiden. Es geht auch darum, dass mit diesen Themen darüber entschieden wird, in welcher Art Gesellschaft wir leben werden.

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