Schulpsychologie für das Kind oder / und die Schule?
Gelegentlich wird in Kreisen der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen eine Debatte darüber geführt, wie sich denn die Schulpsychologie orientieren solle. Genauer: An wen soll sie sich richten und wie müsste sie konzipiert sein, um eine möglichst breite Wirkung zu erzielen? Soll sie sich direkt am Schüler und seinen Eltern, am so genannten Einzelfall, orientieren oder soll sie sich am Lehrer, an der Lehrerin und an der Schule orientieren und dort ansetzen, um auf diesem Wege Lehrer und Schüler zu helfen? Wie immer bei Entweder-Oder-Konstellationen, besteht die Gefahr, da zu spalten, wo etwas zusammengehört oder sich etwas ergänzen sollte. Meistens handelt es sich um unterschiedliche Ebenen eines Problems, die es beide verdienen, berücksichtigt zu werden.
Die eine Sicht leitet sich aus der offensichtlichen Not vieler Schüler und Schülerinnen ab, die sich mit Lernschwierigkeiten, seelischen Nöten wie Verzweiflung bis zu Suizidgedanken plagen. Nicht selten sind es die Schüler und die Eltern, die den größten emotionalen Druck verspüren und Hilfe suchen. Ebenfalls nicht eben selten ist, dass Lehrer und Lehrerinnen und die Schule nur geringe Möglichkeiten der individuellen Einwirkung auf das Kind oder den Jugendlichen sehen – je älter die Kinder, um so geringer werden in der Regel die Möglichkeiten zur Flexibilität der Schulseite empfunden. Das kann unterschiedlich begründet sein. Lehrkräfte können sich überfordert sehen, auf Einzelprobleme einzugehen, angesichts der Standards, an denen sie gemessen werden; die Einwirkungsmöglichkeiten von seiten der Schule werden – berechtigt oder nicht – als gering angesehen, die Ursachen der Schwierigkeiten werden im Kind oder in der Familie gesehen. Ein wesentlicher Veränderungsbedarf der Schule wird nicht gesehen. Die Schule fällt damit mehr oder weniger für Interventionen aus, die Schulpsychologin oder der Schulpsychologe arbeitet mit den Personen, mit denen es »geht« – das sind diejenigen, die den größten Druck haben.
Die andere Sicht stellt mehr heraus, dass Schule als System oder einzelne Lehrkräfte Lernschwierigkeiten und Verhaltensprobleme mitproduzieren. In dieser Logik ginge es darum, die Sensibilität für Kommunikation und Beziehungsdynamiken zu stärken und auf diese Weise die Lern- und Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen, auch dann, wenn Schule nicht Hauptverursacherin der Probleme ist. Sie könnte beispielsweise einladender, offener, verstehensbereiter, abgestimmter sein und würde darauf eingehen, dass Schule selbst einen »Kulturwandel« (Gerald fordert Kulturwandel) zu durchlaufen habe. Sie soll die individuellen Talente erkennen und helfen, sie zur Entfaltung zu bringen. Die individuellen Voraussetzungen des Lernens, des Sozialverhaltens sollen zu ihrer Förderung stärker in Betracht gezogen werden. Eine Möglichkeit dazu könnte sein, Unterricht und Erziehung psychologisch fundierter zu gestalten – auch im Kontext mit schwierigen Schülern oder Schülerinnen und nicht in einem Fortbildungskontext.
So wie die Erwartung an Schule zu mehr Individualisierung im Sinne des Sich-Einlassens auf die Besonderheiten des Kindes relativ jung ist, so ist auch die Schule als Adressatin schulpsychologischer Expertise noch wenig im Bewusstsein. Dieses sollte durch die Beratungsstellen, durch Behördenkommunikation und durch Schulleitungen verändert werden. Gerade wer Schulreform und eine Veränderung der Lehr-Lernkultur will, sollte sich für eine schul- und lehrerbezogene Schulpsychologie öffnen. Andererseits kann dieser Ansatz nicht in Konkurrenz dazu gebracht werden, dass Kinder unter konkreten Bedingungen in einer Schule konkrete Probleme haben, die es verdienen, gelindert zu werden. Das kann heißen, vorwiegend kind- und elternbezogen zu arbeiten. Wichtig aber wird sein, von beiden »Plattformen« der Intervention aus, die jeweils andere Dimension im Blick zu behalten. Das ist ohne Unterstützung übergeordneter Leitungs- und Verantwortungsebenen nicht möglich. Sie hätten ihre Erwartungen an eine Reform des Unterrichtens und Erziehens – auch im Hinblick auf Lern- und Verhaltensprobleme – und die Rolle der Schulpsychologie dabei, deutlicher zu formulieren. Nur dann agiert die Schulpsychologie nicht im »luftleeren« Raum, wenn sie beide Ansätze praktiziert.