Dass es Unterschiede zwischen Psychologie, psychologischer Beratung einerseits und Pädagogik andererseits gibt, dürfte der Grund sein, dessentwegen Psychologie in die Schule geholt wurde. Offensichtlich verkörpert sie etwas, was Pädagogik oder Schulpädagogik nicht aufzuweisen haben. Bisher (in Hamburg bis zur Auflösung der Schülerhilfe) hat(te) Schulpsychologie eine relativ eigenständige Position gegenüber der Schule und gegenüber der Schulbehörde. Und dort, wo sie sich eigenständig und in verantwortlicher Verknüpfung mit Behörde etablieren konnte (wie in einigen Bundesländern), leistet sie konstruktive Beträge zu Persönlichkeits-, Lern- und Schulentwicklung.
Wie die Entwicklung in Hamburg und anderenorts zeigt, ist die Spannung der Heterogenität jedoch nicht immer produktiv zu halten. Das Andere des Psychologischen löste Ausstoßungs- beziehungsweise Kontrollbewegungen aus.
Gründe eines gespannten Verhältnisses zwischen Schulpsychologie und Pädagogik
Vor allem die reflexive, persönlichkeitsbezogene Variante der Beratungsarbeit, die im schulisch beruflichen Spektrum überwiegend von Schulpsychologinnen und Schulpsychologen repräsentiert wird, ist nicht selten ein Fremdkörper in der Schullandschaft geblieben. Zum einen, weil die psychologische Sicht auf Schule, zum Beispiel in Gestalt der Lehrerberatung und Supervision, ungewohnte Infragestellungen mit sich brachte. Zum anderen, weil mit Prinzipien der Freiwilligkeit und Verschwiegenheit ungewohnte Umgangsformen in Schule einkehrten.
Zu solchen Irritationen kamen über Jahre unterschiedliche Verunsicherungen hinzu. Die übliche Lehrerschelte der Medien ist zu nennen, dann hatten die Kritiken durch PISA und andere Untersuchungen eine Krise schulischen Selbstverständnisses zur Folge, gelegentlich angeheizt von psychologischer Seite. Die neuen Steuerungsmodelle, die nicht pädagogisch, sondern betriebswirtschaftlich motiviert waren, trugen ebenfalls zur Krise pädagogischen Selbstbewusstseins bei – Stichworte: Arbeitsverdichtung, Kompetenzvermittlung und/oder Erziehung, Leistungsvermessung/Standardisierung, Öffnung von Schule bis zur Auflösung von Identitätsgrenzen.
Obwohl von politischer und Verwaltungsseite erheblich prüfend und fordernd – also Druck erhöhend – in Schule eingegriffen wurde und außerschulisch erhebliche Veränderungen in der Arbeits- und Sozialpolitik vollzogen wurden, standen als Ursache für Probleme des Lernens in der Schule erziehungsversagende Eltern und Familien im Vordergrund der Debatten. In einem Klima aus Überforderungserleben und Entlastungsbedarfen in der Schule und außerhalb stießen durchgreifende Rettungsversprechen auf Wohlwollen.
In den 90 er Jahren hatte es noch einen Paradigmenwechsel der Schulpsychologie gegeben, der zum Inhalt hatte, sich für Lösungsversuche nicht allein auf das auffällige Kind als Problemträger zu fokussieren. Auch die Schule und die Lehrkräfte wurden als relevante Größe der Verursachung von Problemen gesehen, damit aber auch als Beiträger zu Lösungen. Damit war die Idee einer »Schulpsychologie als Unterstützungssystem für Schule« geboren.
Unter den Bedingungen einer Konzentration, die auch eine Verengung bedeutete, auf effizienzorientierte methodisch-didaktische Reformen und Standardisierung, gerieten andere lernrelevante und bildende Dimensionen aus dem Blick. Straffung und Verschlankung des schulischen Betriebs führten zu einer Minderung der Gelegenheiten informeller und formeller Reflexion von Kollegien oder Teilgruppen, ohne oder mit externer professioneller Hilfe. So sehr in den Reformkonzepten von der Notwendigkeit zu einer Veränderung der Lehr- und Lernkultur die Rede war und ist, so wenig lässt die Leistungsorientierung gemäß eines verengten Leistungsbegriffs und die Zeitknappheit dafür Räume.
In einer so paradoxierten und labilisierenden Schulwelt schien das Versprechen einer reorganisierten Beratungsorganisation die Lösung zu sein. Sie sollte sich um die auffälligen Kinder kümmern, »wenn in Schule nichts mehr geht«. (Internet http://www.hamburg.de/rebus, 05.0.2012). Den Lehrkräften wurde Hoffnung gemacht, die neuen Lasten könnten von den REBUS geschultert und aufgelöst werden. Man könnte auch sagen, die nach Erfüllung strebenden Hoffnungen und der behördliche Kraftakt, eine intelligent gesteuerte neue Beratungsorganisation zu schaffen, stellten eine gemeinsame Verschiebung der erzeugten Probleme dar. Die aus unterschiedlichen Motiven idealisierten multiprofessionellen Beratungseinrichtungen hatten sich zu bewähren – unter Aufgabendefinitionen, die eher auf Idealziele und -voraussetzungen bezogen waren, als dass sie unter (selbst-) kritischer Analyse der komplexen Wirklichkeit (einschließlich der Beratungswelt) zustande gekommen waren.
In der Praxis zeigt(e) sich, dass die anfänglich propagierte »Entkonturierung der Berufsgruppen« in REBUS weder den Selbstverständnissen der Grundberufe und Weiterbildungen, noch den Zuschreibungen der (potenziellen) Nachfrager gerecht wurde. Über die Gründe, wie es zu der fatalen Vereinheitlichung des »Alle Mitarbeiter beraten gleich, ohne Unterschied« kommen konnte, soll hier nicht räsoniert werden. Es lässt sich aber als ein Ergebnis festhalten, dass unter den gegebenen Kräfteverhältnissen der Berufsgruppen und Leitungsebenen die pädagogische Unterstützung am Kind und die pädagogisch beratende Arbeit mit Eltern in den Vordergrund traten, nicht selten im Sinne einer Funktionalisierung. In Einklang der mit ihrer Rationalisierung beschäftigten Schule trat eine ernsthafte systemisch-beraterische Sicht auf Schule in den Hintergrund. Die systemische Sicht wurde de facto halbiert und auf das Kind und seine Familie angewendet.
Als in REBUS aufgegangene Organisation existiert die Schulpsychologie als subjektorientierte „Basisstation“ nur noch marginal. Reflexions- und Diskussionsbeiträge zu Fragen des Subjektverstehens in der Schule artikuliert sie kaum. Die Fachkräfte arbeiten vereinzelt und atomisiert, da, wo es nötig ist und wie es jeder kann, kaum mit dem Selbstbewusstsein einer Rückhalt gebenden Berufsgruppe. Anpassung an Hilferufe und Forderungen ist die phänomenologische Strategie – nicht die systemisch fundierte und entwicklungsorientierte.
Vielleicht macht die Schulpsychologie gerade das durch, was die Schulpädagogik des Längeren kennt und leicht als Pädagogik selbst erscheint: Sie ist mit diesen Reformen gemäß staatlichen Steuerungs- und Kontrollbedürfnissen formiert und ihrer traditionellen fachlichen Identität eines eigenständigen und ganzheitlichen Konzepts beraubt.
So ist die schulische Pädagogik auf Kompetenzvermittlung und Standarderreichung eng geführt, damit teilweise Widerstand erzeugend und nicht selten auch überfordert. Die Verursachungsdefinitionen und die Lösungswünsche machen sich oft genug nicht nur spontan, sondern auf Dauer gestellt, am Kind fest. Lösungsansätze werden weniger als Ergebnis von Selbstreflexion der Lehrkräfte und ihrer Organisation gedacht und als Versuch, Wechselwirkungen der Interaktionspartner aufzuspüren (mit der Aussicht auf Erhöhung der Selbstwirksamkeit der Lehrkräfte) als auf Übernahme des Problemkindes durch die Beratungsorganisation(1) . Diese ihrerseits ist durch die erzeugte Erwartungshaltung und den halbierten systemischen Denkansatz in ihren Möglichkeiten gefangen.
Der Verlust des emanzipatorischen Gehalts im Strom der effizienten Steuerung bekommt weder der Pädagogik noch der Psychologie. In Bezug auf Schulpsychologie beziehungsweise reflexive Beratung steht infrage, ob es Raum für Klärung der Subjekte, auch der Professionellen der Schule zum Zwecke ihrer Stärkung geben kann. Ebenso, ob die Mitarbeiter/innen der Beratungsorganisation angesichts der fordernden Haltung von Schule und Behörde die innere Unabhängigkeit haben, auf die beraterischen Voraussetzungen erfolgreicher Arbeit zu verweisen. Und ob sie des Weiteren institutionell und inhaltlich so gestärkt werden, dass die Angebote gleichwertig an Kinder, Eltern und Lehrkräfte gerichtet sind.
Fazit
Das Andere und Eigene der Beratung durch Schulpsychologinnen und Schulpsychologen und durch anderweitig qualifizierte Beratung, zumal wenn sie die Subjektseite in den Blick nimmt, bedarf eines anerkannten Raumes und darf nicht einem vereinheitlichenden Steuerungswillen geopfert werden. In einer assimilierten oder marginalisierten schulpsychologischen Beratung wird sich ihr Beratungspotenzial nicht entfalten können.
Als Lehre könnte man ziehen: das »Bereicherungspotenzial« des Fremden (hier der Schulpsychologie beziehungsweise reflexiven Beratung) braucht zu seiner Entfaltung Strukturen und Settings, um sich in der »Mehrheitsgesellschaft« (hier die Pädagogik und ihre Verwaltungsstrukturen) behaupten zu können. Wie wir aus der interkulturellen Forschung wissen, können die Mechanismen fehlender Anerkennung subtil sein, weniger wirkmächtig sind sie deshalb noch lange nicht. Eine Fehlsteuerung wäre es, wenn im Rausch der optimierten Steuerung und Vereinheitlichung ein wichtiges Mittel persönlicher, organisationeller und gesellschaftlicher Gestaltung abhandenkommt: die Beratung.
(1) Verweise auf Lösungsansätze in der Lehrer – Schüler, Lehrer – Eltern, Lehrer – Lehrer-Kommunikation und in der Rollengestaltung bergen die Gefahr von Missverständnissen. Die Vorstellungen von ingenieurhafter Steuerung bei Problemen mit Menschen beißen sich mit einer Realität, deren Veränderung nur in gemeinsamer Entwicklung der Subjekte möglich ist. Verstehen der Persönlichkeit und der Organisation/Interaktion als Produktiv-(Konstruktiv-)kraft für Gestaltung und Entwicklung wird angesichts fehlender zeitlicher, personeller und geteilter Konzepte obsolet. Das pädagogisch rationalisierte Nützlichkeitsdenken verlangt Handfesteres, also Standard-, Zeit- und Stundenplankompatibilität.