Zwischen Management und Verstehensarbeit (II)

Wie mit eingeschränktem Werkzeugkasten die Welt pseudo-gerettet wird

 

Eine ganze Abteilung von Fachkräften mittleren Alters, allesamt mit psychologisch/beraterischer Ausbildung, versteht sich als Clearing-Stelle. Dafür setzen sie ihr psychologisches Knowhow ein. Sie bieten Schulen und Lehrern Hilfen an, wenn diese nicht mehr wissen, wie sie Kinder auf den Lernweg bringen sollen. Jugendamt, Erziehungsberatung, Klinik, psychiatrische Gutachten. Oder, nach entsprechender Diagnostik, Ermöglichung von Schulbegleitung, Verfahren für Fördermaßnahmen. Sie geben Informationen weiter, stellen Verbindungen her. Schaubilder visualisieren und machen das Prinzip eingängig: es gibt immer eine Lösung.
Wenn ich eben von einer „ganzen“ Beratungsabteilung schrieb, die sich diesem Ziel widmet, stimmt das nicht ganz. Eine Psychologin/Beratungsfachfrau verfolgte eine andere Richtung. Wenn der Betrieb in der Klasse aus dem Ruder läuft oder eine einzelne Schülerin, will sie mit Lehrer/inne/n, Eltern, Kind, daran arbeiten, wie das zu verstehen ist. Enthalten das Verhalten des Kindes, aber auch die Wahrnehmungen und Handlungen der Lehrer und der Eltern eine Botschaft? Sind die Konflikte Ausdruck von Diskrepanzen, die nicht erkannt wurden? Eine Kollegin, die jetzt nicht mehr in der Beratungsabteilung ist, vertrat eine solche Auffassung.

Die einen betreiben Management, die anderen leisten Verstehensarbeit, könnte man sagen. Die erstgenannte Methode ist den Bildungsplanern lieb, bestätigt sie doch die Hoffnung, mit guter Passung, rational gestalteter Mess- und Informationsarbeit ließe sich alles zum Besten richten. Diese Haltung dürfte den Bildungsplanern in den Kommunen und Ländern auch deshalb gefallen, weil sie ja davon ausgehen, dass sie sich ein Bildungssystem ausgedacht und umgesetzt haben, das sie für rational und ökonomisch halten. Da, wo es nicht funktioniert, sind die Menschen das Problem. Sie müssen neujustiert werden. Dabei können Psychologie und Beratung helfen. Mit einer Prise Euphemismus könnte das als der neue „humanistische“ Kern moderner psychologischer Beratung bezeichnet werden. Anleiten und Schubsen (nadging) hin zu Zielen, die an anderer Stelle definiert wurden. Schluss mit Emanzipation und (Selbst-) Erkenntnis.


Die anderen, in der Regel in der Minderheit, orientieren sich am Menschen: Was hat zu dem geführt, was wir aktuell als Konflikt/Problem/Herausforderung vor uns haben? Welche Interpretationsmuster, Rollen- und Bindungsmuster, welche Projektionen, Ängste, Abwehrmechanismen sind beteiligt? Wie erleben die Akteure ihre Welt und wie verarbeiten sie sie? Wie sichern sie ihre Handlungsfähigkeit und ihr Überleben – nicht zuletzt auch ihr emotionales Überleben? Wie passt das zu den Strukturen, in denen sich der gesamte schulische Prozess abspielt? – Aber mal ehrlich: Wer will so etwas wissen? Das ist doch Steinzeit, oder?


Zwei Konzepte, die nicht miteinander vereinbar zu sein scheinen. Beide Fraktionen reden kaum miteinander. Wer in der Minderheit ist und nicht in das Management-Steuerungskonzept passt, kann auch schon mal vertrieben werden. Schön immerhin, wenn an der neuen Stelle alle zufrieden und glücklich sind. So erging es der erwähnten Kollegin. Was den oder die Vorgesetzte nachdenklich machen könnte. Warum geht es „dort“ gut und „hier“ schlecht?
Jedoch: Es gibt keine Debatte über das Für und Wider der Konzepte. Wären vielleicht zwei Organisationseinheiten für die Konzepte ein Lösungsansatz? Können nicht beide aus unterschiedlichen Organisationen heraus unterschiedliche Bedarfe bedienen? Stattdessen befinden sich zwei unterschiedliche Ansätze, die je für sich einen Sinn haben mögen, auf ein und demselben Terrain, wo sie sich Konkurrenz machen und einander spinnefeind werden.


Was sich als fachliches Profil herausschält, ist dabei nicht selten das Ergebnis eines Machtspiels, ohne dass die Beteiligten es so von Anfang erkennen müssten. Dass der/die Klient/in aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit wandert, ist unvermeidlich, wenn die Beschäftigten – konkurrierend und auf Selbststabilisierung und Angstvermeidung bedacht – mit der Regulierung ihrer Arbeits-, Verständigungs-, Überlebens- und Schicksalsgemeinschaften befasst sind. Eine orientierende und entwickelnde Leitung könnte helfen, ist aber häufig nicht vorhanden.

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