Fehlanzeige für aufgeklärtes Denken? – Über die Mühe der Selbst-llusionierung und die Anstrengung, Kontrolle über das Leben zu bekommen (I)

»Das Glück gehört denen,
die sich selbst genügen«
Oder muss es nicht heißen: »… denen,
die sich selbst belügen«
Hm. Irgendwas mit Aristoteles

In den letzten Wochen und Monaten machte ich Erfahrungen, die sich zu dem Eindruck verdichteten, viele Menschen kämpften um die Aufrechterhaltung von Illusionen, mit dem Zweck, so ihr Leben, das mir irritiert erschien, rückgewinnen und bewahren zu können. Mir schienen sie dabei manchmal sehr hart zu sein. Geht es um die Existenz? Einige subjektive Berichte. Ich bin mir übrigens sicher, dass auch ich einige Illusionen pflege

 

Die Welt nicht sehen wollen, wie sie ist – so ist sie (vielleicht) auszuhalten

Ab und zu treffe ich mich mit Menschen, die ich seit vielen Jahren kenne und selten sehe. Gelegentlich telefoniere ich mit ihnen. Sie berichten von sich, wie sie leben und/oder arbeiten. Dabei erlebt man Überraschungen.
Einer der Menschen aus diesem Kreis ist ein Mann, den ich als immer zur Analyse bereiten Zeitgenossen in Erinnerung habe. Zeitschriften und Buchtitel mit kritischem Geist finden sich in seinen Regalen. Zeitschriften und Buchtitel, die ein ernsthaftes Interesse anzeigen, die Welt, die Menschen und sich selbst zu hinterfragen.
Beim letzten Telefonat teilte er mir mit, dass Macron in Frankreich vermutlich eine gute Wahl sei und er dem Land Erneuerung bringen könne. Wie er darauf komme? Nun, er war über seinen Sohn darauf gekommen. Der liest das Studentenabo des Spiegel, war davon angetan. Und so auch der Vater. Wir sprachen darüber, aus welchen Medien man sich informiere, wie verlässlich sie seien etc.


Ich werde das hier nicht ausbreiten. Jedenfalls ließ mich unser Gespräch rat- und fassungslos zurück. Was war aus der Fähigkeit und Bereitschaft zur Analyse geworden? Er schien sich aus Spiegel, Tagesschau und heute-journal zu informieren. Was ihm offensichtlich ausreichte und ihn zufrieden durch die Tage gehen ließ. Wir vereinbarten, dass man ein so schwieriges Thema – im Raum stand, ob man denn noch eine gemeinsame Basis hätte für weiteren Austausch habe – von Angesicht zu Angesicht erörtern solle. Die Gelegenheit ergab sich.

Ein Leben geht nicht ohne Erschütterungen vonstatten. Hoffnungen lösen sich auf bis zur Hoffnungslosigkeit. Erkundigungen, mehr oder weniger zielstrebig, fördern Geschehnisse an den Tag, von denen man nicht glaubte, sie könnten in der eigenen Familie geschehen. Weltverbesserungsabsichten stellen sich als Träumereien heraus, die an der eigenen Zurechnungsfähigkeit zweifeln lassen. Was von den Absichten, die Welt besser zu machen, blieb, sind Krümel, die den Lauf der Dinge schwerlich beeinflussen können. Dass es einem gut geht, erscheint als unverdientes Glück. Epochenglück. Schlugen doch vor der eigenen Jugend- und Erwachsenenzeit Unterdrückung und die Bestialität der systematischen Menschenvernichtung zu. Beginnt nicht gerade wieder eine neue Epoche der Unfreiheit, aggressiver Verarmungspolitik, die die eigenen Kinder und Enkelkinder trifft? Man möchte gar nicht hinschauen. Ständige Erfahrungen der Desillusionierung.


Da kommt nun ein alter Freund oder langjähriger guter Bekannter daher und besteht auf der Zweifelhaftigkeit der erwähnten Medien. Wir finden heraus, dass es nicht eigentlich um Analyse, Erkennen dessen, was ist, geht, sondern um etwas wie Abrundung, Frieden, Ruhe. Ja, mit Spiegel, Tagesschau und heute-journal bekommt die Welt eine Ordnung. Wir werden mit einem Schmunzeln und den Wünschen für eine gute Nacht in den Schlaf geschickt. Alles wird gut. Der passende Buchtitel dazu aus der Spiegelserie: »Früher war alles schlechter. Warum es uns trotz Kriegen, Krankheit und Katastrophen immer besser geht.« Harte Kost für einen Skeptiker. Aber ich lese das. Versprochen. Im Gegenzug liest der (ehemals?) kritische Geist »Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten« von Ulrich Teusch.

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