Mit Kilos gegen Unruhe

Eine Vorbemerkung: Ich hatte mir einige Notizen (nächster Absatz) zum Bericht im Hamburger Abendblatt über die Praxis einer Beruhigung von Kindern durch Sandwesten gemacht, hatte aber anderes zu tun als zu schreiben. Inzwischen ist ein taz-Artikel erschienen, der das Thema vertieft, unter anderem mit einer Wortmeldung von Michael Schulte-Markwort, Klinikdirektor der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Eppendorf. Meinen Zwischenruf bringe ich hier, wie ich ihn ursprünglich geplant hatte. Eine Frage doch noch: Gibt es Anmerkungen aus dem Kreis der Schulpsycholog’inn’en und ReBBz zum Sandwestenthema, oder aus dem einen oder anderen Berufsverband?

Ein Artikel im Hamburger Abendblatt vom 6.12.2017 berichtete über eine Praxis, die es wohl schon länger gibt. Unruhige Schüler bekommen in einigen Schulen (mit Wissen der Schulbehörde) kiloschwere (1 bis 5 Kilo) Sandwesten angeboten. Sie sollen die Kinder zur Ruhe bringen, sie simulierten das beruhigende Handauflegen. Hm. Die Sandwesten ersetzen das Handlauflegen? Macht das nicht doch einen Unterschied? Man kann das auch für einen (weiteren) Rückzug der Pädagogik aus Bindung und Beziehung halten. Zumindest besteht unter den Bedingungen einer kontinuierlichen Politik der Rationalisierung von Schule die Gefahr, dass diese Hilfsmittel als Sparmaßnahme missbraucht werden — auch wenn die einzelne Lehrerin, der einzelne Lehrer das nicht will.

Unter den gegenwärtigen Bedingungen ein Rückzug aus pädagogisch-psychologischer Verantwortung?

Wenn denn eine Beruhigung eintritt, käme es darauf an, gezielt auf der Bindungs- und Beziehungsebene weiterzuarbeiten. Die Beruhigung muss mit der Erfahrung verbunden sein, gehalten zu sein. Die Sandweste anstelle der beruhigenden Hand — in ihr ist Beziehung und Bindung enthalten — wäre ein fatales Signal. Die Sandweste allein wäre wie das Medikament, das der Ruhigstellung dient. Darauf zu vertrauen, dass sich allein durch das Medikament — sei es Pille, sei es Sandweste — Ruhe und tragfähige Bindung einstellen, wäre blauäugig, wenn es gleichwohl nicht auszuschließen ist.

Die Verantwortung der Bezugspersonen

des Kindes und der Berater’innen bleibt, zu verstehen, zu analysieren, was die Ursachen sind. Und selbst wenn man meint, eine „innere“ Ursache im Kind gefunden zu haben, bleibt die Aufgabe, die Verwirrung, Verstörung auf menschliche Weise in Beziehung und Bindung zu bearbeiten. Nichts ist mit Rationalisierung und Ersparnis. Alles ist mit Zeit und Verstehen —  und Personal.

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