Frau Faeser, Bundesministerin des Innern und für Heimat, wird sich auch um die Kinder kümmern. Sie will deren Resilienz stärken, sie widerstandsfähig gegen Extremismus zu machen. Wie man feststellen kann, wird das weniger mit Pädagogik zu tun haben als mit Drohung, Ausgrenzung und, na ja, sagen wir mal: Informationsverengung.
Man kann in der jüngeren Zeitgeschichte einen Hang zur „Selbstermächtigung“ feststellen. Der Zweck: Weltenrettung. Es geht um nichts Geringeres als das große Ganze. Eine pädagogische Aufgabe großer Reichweite
Von Solidarität und Zusammenhalt ist die Rede, während andere – slawische, asiatische Menschen, angeblich so ganz anders als „wir“ Guten – in den Ruin getrieben werden sollen. Institutionen (Landeszentrale für politische Bildung Baden Württemberg, öffentlich-rechtlicher Rundfunk/Lanz) verbreiten rassistisches und völkisches Gedankengut und kein Aufschrei der anständigen Politiker (m/w/d) ist zu vernehmen. Wo bleibt die Sorge um das Wohlergehehen „unserer“ Jugend?
Verzichtsleistungen und Opfer werden abverlangt. Wir müssen zusammenstehen. Politikerinnen und Politiker legen uns Lasten auf, die, wenn wir sie denn auf uns nehmen und sie tragen, Rettung, Heil und (Er-) Lösung versprechen. Wer geglaubt haben sollte, diese Lasten hätten einen emanzipatorischen Aspekt – der Gleichheits- und Gerechtigkeitsgedanke wabert ja durch die Debatten – sieht sich aber getäuscht.
Schaut man genauer hin, stellt man fest, dass dieser Ruck, der durch Deutschland geht, gehen soll, nicht ohne Feindbilderzeugung, Diffamierung und Spaltung geht. Rechte werden aufgehoben, Wahrheiten werden gebeugt, Wissenschaftlichkeit explizit oder defacto abgelehnt. Gesprächskanäle und das Bemühen, den anderen zu hören, sind gekappt. Das ganze schöne Bildungsprogramm zur Gewaltfreiheit und Streitschlichtung wird auf höchster gecancelt.
Die neue Politik der Rettung findet ohne Mitmenschlichkeit und Einfühlungswillen statt. Gleichwohl fehlt es nicht an Pathos und Erhabenheit. Pathos und Erhabenheit sind es geradezu – als Ersatz für Mitgefühl –, die nicht ohne Anspielung auf langgehegte, nie erfüllte Sehnsüchte und Wünsche, auf lange ertragene und verdrängte Ängste die Herzen der Menschen erreichen sollen. Wir sind geradezu in eine Wärmedecke der Emotionalität gepackt. Jahrzehntelang wurden wir mit formalisierter Sprache, mit Management- und Bürokratensprech zu Automaten gemacht. Und nun kommen die Politiker mit Ernst und Würde daher, wenn uns die angeblich unvermeidlichen Opfer abverlangt werden.
Nie allein
Die Vereinshymnen ausländischer Fußballclubs werden zu Versprechen deutscher Politik, weil es gilt, den Fußballfan als Exemplar des Volkes, dem man angeblich nahe sein möchte, zu erreichen. So wie die Fußballfans in der Niederlage einander nah sein und Trost finden wollen, möchte sich der Kanzler mit seinem Volk unterhaken und die Lasten des Kriegswinters teilen. Vielleicht glauben das die Fans und die gerupften Bürger sogar.
Der Kälte- und Kriegswinter ist uns angekündigt als handele es sich um ein Naturereignis und nicht um Entscheidungen deutscher Politik. Die tatsächlich politisch gewollten und verabreichten Schocks sollen uns glauben machen, dass die Drastik auch die Wahrhaftigkeit beweise. Wenn wir früher glaubten, uns würde nicht reiner Wein eingeschenkt, so muss es doch heute wahr sein, wenn die Politiker uns ankündigen, wie wir in die Knie gehen werden. Da nun nichts mehr beschönigt werde, haben wir es wohl mit der Wahrheit zu tun. Endlich kann der Michel sich ernst genommen fühlen. Wir fühlen uns beschützt – und wir machen mit. So könnte das Kalkül der Retter sein. Obwohl: Hinter soviel Dramatik und Aufgewühltheit könnte ein größerer Elefant verborgen sein, vielleicht sogar ein Elefantenherde …
„Wir, die wir die Regierungsgewalt haben, wollen die Reichtümer (umverteilen), die ihr hergestellt habt, ihr sollt gehorsam sein und uns folgen, den Experten, denen, die Professoren sind, denen, die sich auskennen mit den Großen der Welt,“ könnte die Erklärung lauten. Wir dürfen uns sogar mit unseren Verantwortlichen und Leistungsträgern in einer Gemeinschaft fühlen, haben „wir“ es doch geschafft, Biontech in D zu einem erfolgreichen (profitablen) Konzern gemacht zu haben. Und wenn es Rheinmetall, seinen Aktionären mit den Aufrüstungsmilliarden gut geht, dürfen wir uns doch mitgemeint fühlen, oder? Da bringt man doch gerne Opfer, zittert, duscht weniger, trägt Pullover, spart an Lehr- und sonstigen Lebensmitteln.
Seien es die vergangenen und kommenden Pandemiemaßnahmen oder die Zeitenwende, die uns als Reaktion auf den Ukraine-Krieg avisiert ist – es geht um Anpassung, Mitvollzug, Unterwerfung unter das Urteil der selbstermächtigten, von ihrer Entschlossenheit ergriffenen, autokratisch-aggressiven neuen Politikergeneration. Der Feind, gegen den wir uns wappnen müssen, kommt durchgängig von außen. Nichts ist selbst gemacht oder gar selbst verschuldet. Das darf man noch nicht einmal denken. Wer es ausspricht, wird als Verschwörungstheoretiker und Kollaborateur des Bösen kaltgestellt und sozial hingerichtet.
Neben vielem anderen ist da die Absicht und Forderung von Frau Faeser, der Innenministerin und Fachfrau für Heimat, die die Widerstandsfähigkeit der Kinder von kleinauf an zu stärken gedenkt
Im ausgerufenen Überlebenskampf gegen das Böse, das von außen kommt, sind Abwehrmaßnahmen unvermeidlich. Neben vielem anderen ist da die Absicht und Forderung von Frau Faeser, der Innenministerin und Fachfrau für Heimat, die die Widerstandsfähigkeit der Kinder von kleinauf an zu stärken gedenkt. Sie will sie resilient machen gegen extremistische Verführungen, nicht zur Kenntnis nehmend, dass sie selbst und ihresgleichen an dieser Gefährdung und Verführung zu Fehl- und Vorurteil beteiligt sein könnten. Sie hat ihren Plan, soweit mir bekannt, noch nicht näher ausgeführt. Bei der Art ihres öffentlichen Auftretens, bei der Darstellung der Politik auf der Website ihres Ministeriums, kann man wohl davon ausgehen, dass Belehrung und Dämonisierung des Gegners wichtige Instrumente dieses Plans sein werden. So wie Gewalt in und um Schule mit den Erlassen der Schulministerien bekämpft werden soll, nämlich ohne Analyse der lebensweltlichen, schulinstitutionellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen von Gewalt – wird auch sie sich das vorstellen: soldatisch und wehrhaft, mit „klarer Kante“, wie es gern volksnah heißt, auf einer Basis von Selbstgerechtigkeit und Entschlossenheit; darauf dann aufgesetzt Programme, die den vom Weg Abgekommenen eine Chance bieten – angeboten von nicht selten befristet eingestellten Pädagogen, Sozialpädagogen, Psychologen (m/w/d). Nicht „wir“, unsere Politik, die Lebensweise, Verlusterfahrungen und Gesellschaftverfassung bieten Anlässe für Gewaltbereitschaft, nicht Wut und Verzweiflung, die Erfahrungen von Demütigung und Aussichtslosigkeit. Üblicherweise gilt es, etwas nachzubessern in einem System, das bereits zu den „besten“ gehört und an sich in Ordnung ist.
Resilienz – einst ein relativ neutraler, sachlicher Begriff aus den Naturwissenschaften, die widerständigen Eigenschaften eines Materials beschreibend, inzwischen von den Sozialwissenschaften, sich schmücken wollend mit der Aura der Sachlichkeit und Objektivität, und daraufhin von der Politik vereinnahmt und gern genommen (die Physik liefert starke Bilder) für die politische Auseinandersetzung. Ein wunderbares Schlagwort für angeblichen Schutz und Zukunftsorientierung. Der Begriff ist auch deshalb so geeignet, weil er die Umgebungsbedingungen, die Verhältnisse ausblendet und die Verantwortung auf das Individuum verschiebt.
Mündigkeit, Urteilsfähigkeit, Beteiligung, das Erfahren von Demokratie und demokratischen Menschen sollten in den Konzepten einer von Verführung geschundenen Generation Garanten für Demokratiesicherung und -förderung sein
Missratene Demokratieerziehung und -erfahrung sind Teil des Problems, vor dem Frau Faeser die Kinder und die Gesellschaft bewahren will. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Ansätze, aus den Missbräuchen an Kindern durch Politik und militarisierter Gesellschaft zu lernen. Mündigkeit, Urteilsfähigkeit, Beteiligung, das Erfahren von Demokratie und demokratischen Menschen sollten in den Konzepten einer von Verführung geschundenen Generation Garanten für Demokratiesicherung und -förderung sein. Gegen die Restaurierung autoritärer Verhältnisse und gegen ein Klima der Relativierung nationalsozialistischen Gedankenguts kam diese Minderheit jedoch nicht an.
Kritisch und selbstkritisch ist hier zu fragen, wie es geschehen konnte, dass Schule und Gesellschaft an der Aufgabe der Demokratisierung scheiterten.
Hat es an Politikerinnen und Politikern gefehlt, die Demokratie glaubhaft verkörperten? Bestand bei wesentlichen Akteuren womöglich nie die Absicht, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und autonome Urteilsbildung zu entwickeln? Gab es ganz andere Interessen? Bei allen Auf und Abs der Demokratie mit den entsprechenden Niederschlägen im Bildungssystem bleibt festzustellen, dass sich ein bürokratisches und kontrollierendes, auf Anpassung angelegtes Bildungssystem etabliert hat. Es ist nun dieses durch den Wolf der Effizienz gedrehte Bildungssystem, nach den Kriterien betriebswirtschaftlicher Organisationsentwicklung „modernisiert“ und schlank gemacht, das dafür sorgen soll, dass Kinder und Jugendliche nicht anfällig sein mögen für die Verführungskünste von Extremisten. Die Wehrhaftigkeit scheint darin bestehen zu sollen, den Urteilen der Regierungen und der Geheimdienste zu folgen.
Frau Faeser weiß, wo die Feinde der Demokratie sich versteckt halten und von wo sie ihren unseligen Einfluss ausüben.
»Natürlich besteht die Gefahr, dass diejenigen, die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben und dabei oftmals Seite an Seite mit Rechtsextremisten unterwegs waren, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen.Populisten und Extremisten nutzten jede Krise für Angst und Spaltung, aber auch für Hass und Bedrohungen. Die Sicherheitsbehörden hätten die extremistischen Szenen aber sehr genau im Blick. „Wir sind vorbereitet, auch auf mögliche neue Protestgeschehen“, sagte die Ministerin.«
https://www.berliner-zeitung.de/news/proteste-wegen-energiepreise-feaser-warnt-vor-rechtsextreme-und-corona-kritiker-li.247621
Alles, was der Politikerin unlieb erscheint, wird nun sicherheitsrelevant. Proteste geraten in den Generalverdacht einer Zerstörungsabsicht. Nicht etwa eine Regierungspolitik der Sanktionen und Preiserhöhungen – die scheinen unvermeidlich und unabwendbar – jagt den Bürgern Angst ein, sondern diejenigen, die protestieren, wie es sich in einer Demokratie gehören sollte, befeuern die Ängste und Destabilisierung. Was hier geschieht, ist eine Sakrosankt-Stellung, eine Heiligung der Politik der Mächtigen, ein wahrhaft feudales Gehabe. Die Mehrzahl der Medien scheint das nicht zu stören. Wo ist die Kritik der Medien an den Personen und Verhältnissen, die das betreiben und ermöglichen? Wo ist die Kritik an den Medien, die so mit der Politik verbunden sind und sich mit ihr gemein machen, dass von kritischer Urteilsfähigkeit kaum die Rede sein kann.
Zweifel an der Rationalität von Politik und an ihrem Urteilsvermögen können einen befallen, wenn man sich nicht fragt, für wen und in wessen Interesse Rationalität hier eingesetzt worden sein könnten. Irgendwem nutzen die Grenzenlosigkeiten und Übergriffigkeiten der Lauterbachs, Baerbocks und Faesers und deren autoritäres Gehabe. Manchen, denen es schon immer zu lasch zuging, wird das gefallen. Andererseits wird damit eine totalitäre, angst- und kontrollbereite und -bedürftige Gesellschaft geschaffen, die ihre eigene Entwicklungsfähigkeit aufs Spiel setzt.
Dass sich Politik zu solchen Höhenflügen aufschwingen kann, hat auch seine psychologischen und sozialpsychologischen Voraussetzungen. Davon später mehr.