Die Schulministerin für NRW, Dorothee Feller, ruft in der Neuen Westfälischen dazu auf, dass Lehrer und Lehrerinnen, am besten mit ihren Schülerinnen und Schülern, zu Demos gegen rechts, gegen Rechtsextremismus, gegen Demokratiefeinde gehen sollen. Offensichtlich soll dieses Nudging, dieses Anstubsen und Schubsen Lehrer und Schüler in eine regierungsgenehme Richtung zu drängen. Von selbst kämen sie wohl nicht darauf, in eigener, freier und urteilsfähiger Entscheidungskraft zu Demonstrationen zu gehen, könnte man meinen.
Die Ministerin will sich an die Spitze einer Bewegung stellen, sie selbst habe kürzich an einer Demonstration teilgenommen, berichtet sie. Gutes bewirken, wo doch sonst so wenig gelingt, Wählerstimmen verloren zu gehen drohen, der Sinn und Zweck vieler politischer Entscheidungen so schlecht kommunizierbar erscheinen, die Menschen also einfach nicht begreifen wollen, wie gut die Regierenden es doch meinen.
Es wirkt ein wenig skurril, wenn die Chefin die Untergebenen zu politischen Demonstrationen animiert. Man sieht es vor Augen, wie sie auf den mächtigen Feind Rechtsextremismus weist, und damit den Anschein erweckt, man habe alles denkbar mögliche getan um ihn kleinzuhalten. Und man habe mit seinem Erstarken rein gar nichts zu tun.
Die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz gibt Unterstützung. Schließlich leben wir in einer »“Zeit, in der verschwörungsideologische Erzählungen und rechte Ideologien an Bedeutung gewonnen haben“, sagt die Präsidentin der Kultusministerkonferenz«.
Vielleicht bekommen die Kinder, die laut Auskunft der Ministerin Feller Vorbilder brauchen, mit, dass Lehrer Vorbilder sein sollen, die dazu ermuntert werden müssen, Vorbilder zu sein. Ein Loch der Überzeugungskraft.
Und was die Verfassungsfeindlichkeit angeht, ist es doch immer noch so, dass die Feindlichkeit vom Bundesverfassungsgericht festgestellt wird und nicht von politischen Konkurrenten, die auf Zeit gewählt sind und die Regierung stellen dürfen. Es könnte natürlich regierenden Parteien (oder aufsRegieren hoffenden Parteien) gefallen, einen Gegner zu schädigen, sogar im Namen der Demokratie, der ihnen Stimmen abzunehmen droht.
Die angebliche Verfassungsfeindlichkeit ist da natürlich ein starkes Schwert, mit dem man dem Gegner die Legitimation nehmen möchte. Es ist verführerisch, den sicherlich zweifelhaften und für viele unappetitlichen Gegner mit Verschwörungsvorwürfen und Verfassungsfeindlichkeit den einen oder anderen Hieb zu verpassen. Frau Feller beruft sich auf ihren Ministerpräsidenten, sagt es nicht selbst, der die AfD Nazipartei nannte. Ist das schon Wahlkampf, Klamauk und Ablenkung, oder vielleicht Verharmlosung der „echten“ Nazipartei? Wer stellt wie fest, was ein Nazi und was eine Nazipartei ist?
Ganz sanft wird eine Beschreibung, die im politischen Parteienstreit und im Bemühen um Abgrenzung noch angehen mag, in das Arbeitsverhältnis zwischen Ministerin und Untergebenen überführt. Die Ministerin sprach ja als Vorgesetzte der Lehrer, die zu ihr in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen.
Wie kam es überhaupt zu dieser »ausdrücklichen Ermunterung« der Ministerin? Fällt jetzt wer dumm auf, wenn er oder sie nicht zur Demo geht oder vielleicht gar an der Sinnhaftigkeit der Demo-Aufrufe zweifelt?
Das Sehnen nach Ermunterung
Einige Tage vor dem „Ermunterungsinterview“ in der Neuen Westfälischen hatten die Bezirksregierungen in NRW wie üblich und wie es der Routine entspricht (so die dpa Meldung, die in einigen Zeitungen weiterverbreitet wurde) im Vorfeld der anstehenden Wahlen daran erinnert, dass für Lehrer und Lehrerinnen Neutralitäts-, Mäßigungs- und Zurückhaltungspflicht besteht – im Dienst. Als Bürger haben sie natürlich das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Demonstration, wie sie auch das Recht haben, darauf zu verzichten.
Es war nun diese Erinnerung, die vermutlich die GEW als erste empörte. Laut Pressemeldungen müssen zahlreiche Lehrer verwirrt und verunsichert gewesen sein. „Ja dürfen wir denn nicht mehr demonstrieren, wo wir doch gerade so schön dabei waren und für die Demokratie eintreten,“ mögen sie gesagt haben.
Die GEW-Vorsitzende Ayla Çelik hatte »mehr Fingerspitzengefühl und Sensibilität der Bezirksregierungen oder auch eine Klarstellung der Ministerin erwartet«.
Erstaunlich, dass eine Routineerinnerung zu solcher Verunsicherung führt. Sind das Selbstbewusstsein und das Wissen um demokratische Rechte (und Pflichten) unter Lehrern so schwach entwickelt, dass mehr Sensibilität und Aufklärung „von oben“ verlangt werden?
In den Berichten wirkt es so, als hätten die Lehrer den Eindruck, dass ihnen verboten werden sollte zu demonstrieren und sie nun wiederum darum bitten, eine Erlaubnis zu bekommen, demonstrieren zu dürfen. Selbstbewusste Demokraten und Demokratinnen treten anders auf. Per Interview spricht die Ministerin die erbetene Ermutigung aus. Sie dürfen also doch noch auf die Straße und demonstrieren gehen, hat die oberste Dienstherrin verlauten lassen.
Die Bitte um Leitfäden und Handlungsanleitung
Eine gewisse Hilflosigkeit strahlt auch ein Positionspapier von der Deutsche[n] Vereinigung für politisch Bildung und der GEW NRW aus.
Die beiden Verbände verlangen Ermutigung statt Entmutigung! Dazu zählen sie unter anderem »Die Bereitstellung eines Leitfadens mit Handlungsempfehlungen zur Förderung der Handlungssicherheit von Schulleitungen und Lehrkräften.« Und wie wäre es, wenn die Verbände eigene Leitfäden und Handlungsempfehlungen entwickelten, sie zur Diskussionen stellen?
Offensichtlich ist man enttäuscht darüber, so allein gelassen zu sein.
»Viele Lehrkräfte hatten in Folge des Schreibens daran gezweifelt, ob eine Teilnahme an den Demonstrationen zulässig sei.«
Wie es den Kindern zugebilligt und gewünscht wird (angstfrei sich ausprobieren können), möchten sich wohl auch die Lehrer »angstfrei ausprobieren«.
»Anstatt also Lehrkräfte zu verunsichern, sollte es die vorrangige Aufgabe der Landesregierung sein, Lehrkräfte bei dieser wichtigen Aufgabe zu unterstützen und sie zu stärken, die demokratischen Handlungskompetenzen der Kinder und Jugendlichen zu fördern.« Man fordert eine »lebhafte Streitkultur in Schulen«. „Dann streitet doch!“ möchte man da rufen. Seid Vorbild und streitet.
Sie erwarten stattdessen vom „Dienstherrn“, von der Autorität, die mit Macht regiert, von Verunsicherung und Verwirrung verschont zu bleiben. Möchten sich angstfrei in der Welt der Verordnungen und politischen Pläne bewegen. Ja. Das ist verständlich, wäre auch zu wünschen. Aber wie will man von der staatlichen Autorität erwarten, dass diese Angstfreiheit gewährt, wo doch Angst das Machtmittel Nummer eins ist, mit dem Herrschaft gesichert wird? Diese Geschäftsgrundlage scheint nicht mehr bekannt zu sein. Puh! Und Lehrer und Lehrerin versuchen sich darin, brave Schüler/innen zu sein, und erbitten einen Leitfaden.
Sind Gewerkschaften und Kollegialität nicht dazu da, die besseren Lösungen (für Leitfäden zum Beispiel) zu erarbeiten, Ängste und Abhängigkeiten, die man als einzelne hat, gemeinsam zu überwinden oder doch zu lindern? Man kann an der verqueren Lage erkennen, wie stark der Wunsch einer tatsächlich verunsicherten Lehrerschaft ist, geführt zu werden ist und wie anfällig für Angstmache sie ist. Angst macht manipulierbar.
Damit passen die Reaktionen der Verunsicherung und Verwirrung, der Wunsch nach Sicherheit, die folgende obrigkeitliche Erlaubnis und Ermunterung in ein schon eingeübtes Konzept. Wer die Kontrolle über seine Schäfchen verliert, die Herrschaft aber nicht teilen, neuordnen oder aufgeben will, greift zum Mittel der Angstmache. Und wenn die so Verunsicherten und Verwirrten sich bei der Autorität melden, Leitfäden erbitten, also Folgsamkeit versprechen, kommt die beruhigende Ermunterung von oben. Die beruhigende hierarchische Ordnung des betreuten Arbeitens und Lebens ist wieder hergestellt.
Kann Schule anders?
Dabei könnte es doch auch so gehen: Die Lehrkräfte stellen fest, dass zahlreiche Mängel des Bildungswesens aufs Engste mit dem Rechtsschwenk der Gesellschaft zu tun haben. Sie könnten die jahrzehntelange Unterfinanzierung anprangern, den wiederum sinkenden Anteil der Bildungsausgaben am Gesamthaushalt (laut GEW NRW) kritisieren, die hanebüchene über Jahrzehnte immer wieder bestätigte Diskriminierung aufspießen, die u.a. darin besteht, dass soziale Herkunft stark den Bildungserfolg beeinflusst. Sie könnten Irrwege der Kompetenzorientierung kritisieren, deren zusammenhanglose Häppchenvermittlung die Entwicklung von selbstständiger Urteilsfähigkeit in Mitleidenschaft zieht.
Demokratie ließe sich in Schule in erweiterter Mitbestimmung für Lehrer und Schüler einüben. Auch die prägenden Strukturen des Denkens, Fühlen und Handelns, die die Schulformen bei Schülern und Lehrern und in der Gesellschaft hinterlassen (Stichwort: Spaltung und ihre Kompensation) könnten Teil eines Kampfes für Demokratie sein. Welche Anpassungsleistungen erbringen Schüler und Lehrer zu welchem Zweck in der Schule? Hier lassen sich gemeinsame Erfahrungswelten entdecken, die, von den Beteiligten reflektiert, durchaus einen Beitrag gegen Rechtsextremismus leisten können. Im September 2023 hörte man noch von „Schule muss anders“ (oder so ähnlich). Ist das jetzt alles aufgesogen und aufgehoben im Kampf gegen Rechtsextremismus?
Demokratie in der Schule zu entwickeln, sie nach Stellen abzusuchen, wo sie eingeklemmt ist, welchen Zweck Schule erfüllt und erfüllen sollte, wäre ein erlebbares Stück Demokratiesicherung – durchaus vorbeugend gegen Rechtsextremismus und mit viel Potenzial für Vorbildwirkung von Lehrern. Es könnte sein, dass es nicht die Ministerin ist, die zu solchen Schritten, ggf. Demonstrationen, aufruft.