Warum tun wir etwas gegen alle Vernunft? Es ist die Angst

Harald Walach bespricht das Buch von Mattias Desmet: The Psychology of Totalitarianism“

In den letzten Jahren haben sich Gesellschaft und Menschen deutlich verändert. Die Art des Regierens hat sich gewandelt: Autoritäre Züge haben zugenommen, Meinungen im Parlament konvergieren, die Meinungsvielfalt in den öffentlich-rechtlichen und in den privaten Medien nimmt ab, der Wissenschaftsbetrieb richtet sich nach politischen Vorgaben, Evidenzbasiertheit wird behauptet, ohne dass sie ein durchgängiges Prinzip ist, im Gegenteil – offensichtliche methodische Fehler wurden und werden ignoriert und keineswegs aufgearbeitet.

Wer sich nicht dem mit Macht durchgesetzten einzig gültigen „Narrativ“ fügt, muss damit rechnen, ausgegrenzt und verächtlich gemacht zu werden und seines Arbeitsplatzes verlustig zu gehen. Nicht zuletzt im Bereich der Kultur werden kritische Stimmen regelrecht verfolgt und ausgemerzt – entgegengesetzt zu den unschuldigen Selbstbeschreibungen, man lebe in einer freien und demokratischen Gesellschaft, die man offensichtlich zu verteidigen scheint, indem man sie zerstört. Gesundheitliche Schäden oder Gefährdungen, ebensolche psychosozialer Art werden achselzuckend hingenommen. Die eigene wirtschaftliche Handlungsfähigkeit und Kriegs- und Vernichtungsrisiken werden in Kauf genommen – für welche Hoffnung auf was? Wie ist es möglich, dass Menschen das hinnehmen, dabei mitmachen, es gar bejubeln?

Solche Fragen haben sich natürlich in der Vergangenheit immer wieder gestellt, zumal in Deutschland. Und vermutlich nach jedem solchen Ereignis und den sich anschließenden Lehren, beispielsweise die Weltkriege 1 und 2, konnte man hören und lesen, dass es doch jetzt nun wirklich genug sein müsse. Und nun stehen wir wieder an der Schwelle zur – und tatsächlich sind wir wohl schon auf dem Terrain der – Irrationalität, der Inhumanität und Menschenverachtung. Also: was bringt Menschen dazu, geschichtsvergessen zu sein, sich für die Unterwerfung, für die Anti-Demokratie, fürs Verächtlichmachen zu entscheiden?

Nicht wenige Autorinnen und Autoren haben sich mit diesen Fragen beschäftigt: Hannah Arendt, Sigmund Freud, Gustave leBon, Adorno und Horkheimer, Arno Gruen, Erich Fromm, Hans-Joachim Maaz, Harald Welzer, Vàclav Havel fallen mir auf die Schnelle ein.
Einen neuen vielversprechenden Beitrag zum Thema scheint Mattias Desmet zu liefern. Hier gibt es eine ausführliche Besprechung des Buches von Harald Walach (mit eigenen Forschungsergebnissen und Forschungsempfehlungen).

Der Skandal der Schullockdowns und die Schmach der Komplizenschaft

Dieser Beitrag schüttelt einen durch. Er durchstößt eine Blase des Schweigens und der wohltemperierten Zufriedenheit mit den Ergebnissen der Corona-Maßnahmen. Er macht Schluss mit den Verklärungen der Digitalisierung. Und er offenbart eine kinder- und jugendfeindliche, auch menschenfeindliche, angeblich alternativlose Gesundheitspolitik und Schulpraxis. Er verweist auf eine Entleerung, Entfremdung (bis zur Abwesenheit?) von Mitgefühl und Vorstellungsvermögen bei politisch und pädagogsich-professionellen Verantwortlichen.

Die Autoren Finn Jagow und Bernd Schoepe, Lehrer, haben selbst bei ihren Schülerinnen und Schülern geforscht und das Gefundene auf vielfältige Weise eingeordnet und interpretiert. Vieles, was in anderen Veröffentlichungen bestenfalls angedacht wird, wird hier zuende gedacht. Insofern ist der Bericht schonungslos.

Die Unfähigkeit oder auch der Unwille, den Panikmodus zu verlassen, richten Schäden an, die das Virus allein wohl kaum hätte anrichten können. Was ist los mit einer Gesellschaft, die Kinder und Jugendliche in dieser Weise ignoriert? Wenn das so weitergeht, darf man davon ausgehen, dass wir im Moment dabei sind, einen Großteil der späteren Erwachsenen zu desintegrieren, aus der Gesellschaft auszuschließen. Der Fernunterricht als Metapher für die zukünftige Art menschlicher (Nicht-) Begegnung, für ein politisches Modell der Fernsteuerung und Lähmung von Initiative und Schaffenskraft, die schon heute beobachtbaren Folgen der Aussortierung von Menschen, die aufgegeben werden und als verloren gelten – so eine meiner Schlussfolgerungen beim Lesen.

Wie verstehen Lehrer:innen ihren Beruf heute? Was wollen sie für Kinder und Jugendliche sein? Man ist ratlos angesichts des Schweigens der meisten Lehrer:innen und ihrer Berufsverbände. Kann es sein, dass es so ist, wie ein Lehrer die Untersuchungen kommentierte:

„Ich glaube, dass viele Lehrkräfte meiner Beobachtung nach ganz gerne im Distanzunterricht agieren, so wird mir das wenigstens von vielen GEW-Mitgliedern bestätigt. Da sind sie auf Distanz, haben keine Disziplinstörungen, müssen im Unterricht nicht individuell auf die Schülerinnen und Schüler eingehen und differenzieren. Digitalisierung ja, wenn man sich schnell und leicht einarbeiten kann und dadurch weniger zu tun hat…“

In einer Fußnote lassen die Autoren erkennen, wie sehr sie selbst von den politischen Entwicklungen unangenehm überrascht sind, wenn sie Tobias Riegel zitieren:

„Wer hätte jemals gedacht“ (dem schließen wir Autoren uns an!), „dass sich einmal einzelne Autoren in vereinzelten Artikeln des Axel Springer-Verlags mehr für die Rechte der Schwächsten der Gesellschaft (Arme und Kinder) publizistisch einsetzen würden, als SPD, Gewerkschaften und LINKE zusammen.“ Und er fragt: „Wie können Sozialdemokraten, Linke und Gewerkschaften diese Schmach nur auf sich sitzen lassen?“

Erziehungswissenschaftler’innen stehen auf. Macht noch wer mit?

Unter äußerst schwierigen medialen Bedingungen und im vergifteten Klima der öffentlichen Debatten, wagen es einige Erziehungswissenschaftler’innen, die massenhafte Impfung von gesunden Kindern zu verurteilen. Danke für den Mut, verbunden mit der Bitte an Lehrer’innen und Berater’innen sich an Debatten im Sinne dieser Positionen zu beteiligen.

Sie heben sich positiv von den Psycholog’inn’en ab, die an der Schock- und Angststrategie und an den Manipulationen zur „Verbesserung der Impfbereitschaft“ mitarbeiten. Dieses, wie ich finde unethische, Handeln hatte sich ja auch schon in einige Psychologieverbände vorgearbeitet.

Das Beste zu wollen und davon auszugehen, dass unsere Regierungen und Institutionen die Guten sind, reicht ganz offenstichtlich nicht für die Legitimierung persönlichen und kollektiv-beruflichen Handelns aus. Eine Verschmelzung der Psycholog’innen mit den Autoritäten und Mächtigen kann in Abgründe führen. Ich gebe zu: nach Durchlaufen schulischer und universitärer Ausbildung und Sozialisation mag man sich für qualifiziert halten, gute Arbeit zu leisten. Dafür ist es notwendig, sich mit den Fehlleistungen der Psychologie, wozu ganz sicher auch ihre Anschmiegungen an die Mächtigen gehören, zu befassen. Ich habe dazu mal etwas über Hans Lämmermann aufgeschrieben, der manchen als Gründungsvater der Schulpsychologie gilt.

Man muss sich schon fragen, von welchen Anreizsystemen der Mächtigen wir umgeben und für welche wir ansprechbar sind.

Die Angst vor dem eigenen Irrtum …

… als Treiberin der allergrößten Unerbittlichkeit in der Frage einer offenen Gesellschaft

Paul Schreyer versucht den maßlosen Maßnahmen, der Unfähigkeit zuzuhören auf die Spur zu kommen. Was hält die widersprechendsten Begründungen zusammen? Die Angst, ist seine Meinung.

Der eigene Irrtum ist auf seltsame Art inakzeptabel geworden, gilt als geradezu unprofessionell. Man weiß Bescheid, kennt sich aus, lässt sich nichts vormachen. So gesehen erscheint die Angst vor dem Irrtum in der Corona-Krise nur als spezielle Spielart einer sich generell ausbreitenden Härte, Gereiztheit und Diskussionsverweigerung, die auch bei vielen anderen Themen zu beobachten ist. Diese allgemeine gesellschaftliche Überspanntheit könnte man als psychische Entsprechung eines aus dem Ruder laufenden, bis zum Zerreißen gespannten ökonomischen Systems betrachten, das an den Nerven aller darin Eingewobenen immer unnachgiebiger und brutaler zerrt.

Rechthaben und Rechtbehalten sind in der Konkurrenzgesellschaft „unverzichtbar“. Akteure und Akteurinnen wie Journalist’inn’en und Politiker’innen, aber auch „Standes“vertreter’innen des medizinischen Komplexes sind mit mancherlei Mächten und Abhängigkeien verbandelt. Wenn man sich einmal auf eine Version (etwa der Seuchenbekämpfung) eingelassen hat, von der man sich Durchschlagskraft und Aufstieg versprach und einen Zuwachs an Ansehen und Macht, kann man nicht so leicht zurück. Das macht dann schon mal sittenwidrige de facto Sprech-, Zuhör- und Denkverbote erforderlich. Es geht dann nicht um bestmögliche Einschätzung einer Gefahr, sondern um die Durchsetzung der einen Einschätzung, die gemäß der eigenen Interessenlage den größtmöglichen eigenen profit verspricht. Der Irrtum könnte das eigene Gebäude dessen, was wir als Wahrheit und Existenzgrundlage ansehen, zum Einsturz bringen.

Man sollte die die Kommentare zum Artikel ebenfalls lesen. Artikel und Kommentare geben ein „schönes“ Sittenbild unserer Gesellschaft.

Angsterzeugung als Herrschaftsmittel

»Demokratie geht nämlich nicht nur mit einem Versprechen einer gesellschaftlichen Selbstbestimmung einher, sondern auch mit einem Versprechen einer größtmöglichen Freiheit von gesellschaftlicher Angst. Demokratie bedeutet also den Verzicht auf eine der wirksamsten Herrschaftstechniken überhaupt: der systematischen Erzeugung gesellschaftlicher Angst.«

In einem ausführlichen und interessanten Interview stellt der Psychologe Rainer Mausfeld einen Zusammenhang zwischen Neoliberalismus, Angst (-erzeugung), Demokratie und Macht her. Das wirft Fragen und Anreize zum Nachdenken auf, zum Beispiel: Welche Rolle spielt Schule in diesem Prozess, welche Rolle übernimmt Schulpsychologie und -beratung dabei?

„Aus der Welt gefallen“

so lautete der Titel eines kürzlich  von Götz Eisenberg veröffentlichten Artikels. Es ging darin um eine Nachbetrachtung zum Absturz der German Wings Maschine im März 2015.

„Nimmt man ein Symptom allzu schnell unter Beschuss ohne seine Bedeutung im seelischen Gesamthaushalt eines Menschen begriffen zu haben, bringt man ihn in Gefahr.“

Darum geht es oft genug auch in der schulischen Beratungsarbeit. Jedoch scheint die Neigung, sich der Mühe des Verstehens zu unterziehen, abzunehmen. Zu groß ist der Schrecken und die Überforderung als dass man sie glaubt aushalten zu können. Zu groß sind die Zwänge und Forderungen des Alltags aus Lernzielkontrollen, Inspektionen, Fristen und sonstigen Ansprüchen. Die Neigung nimmt zu, sich für Außergewöhnliches nicht zuständig zu halten. Dabei sind Lehrer/innen, Kolleg/inn/en, Eltern wichtige Brückenbauer zu weitergehender Hilfe. Sie sind Menschen in Not (relativ) am nächsten, wichtige Vertrauens- und Bindungspersonen, die sich nicht vom verzweifelten Menschen abwenden sollten. Das kann eine weitere Kränkung sein, die „das Fass zum Überlaufen bringt“.

Der Valorisierte trägt in sich die Gewissheit, dass die Dinge kommen können und er das Leben und seine Widrigkeiten meistern wird. Wem es hingegen an Zuwendung und verlässlicher Anwesenheit der Bezugspersonen mangelt, der fühlt sich nicht hinreichend sicher genug gehalten und entwickelt anstelle eines Urvertrauens Misstrauen und Angst.

Lehrer/innen und Eltern sowieso sind wichtige Bezugs- und Bindungspersonen für Schüler. Für Schüler oft natürlicher und selbstverständlicher als Experten von außen. Letzere können die Hauptbezugspersonen nicht ersetzen. Sie stellen oft eine wichtige, wenn auch zwiespältige, Verbindung zur Welt (und vielleicht zu wirksamer Hilfe) dar. Aber die Bezugspersonen brauchen Rat und Unterstützung durch Berater/innen bei der Einordnung „merkwürdigen“ und „verrückten“ Verhaltens, um diese Haltearbeit tun zu können, bis ggf. weitergehende Hilfe greifen kann. Oft sind es Ängste der Bezugspersonen, alleingelassen zu werden (wie bei den Verzweifelten selbst), wenn sie nach den Experten rufen, oder wenn sie darauf verweisen, dass sie „das“ nicht leisten könnten. Wir sollten gemeinsam „drin“ und „dran“ bleiben. Supervision und Beratung für die Professionellen hilft dabei.

Das Diagnostizieren, mit dem wir heute so schnell bei der Hand sind und worauf wir uns so viel zugutehalten, erweist sich als ein Instrument, mit dem die Gesellschaft Störungen und Gefährdungen ihres Zusammenlebens gerade nicht zu verstehen lernt, sondern abdeckt, abriegelt und administrativ in den Griff zu bekommen versucht. Diagnosen befriedigen das Ordnungs- und Kausalitätsbedürfnis der Wissenschaft und der professionellen Helfer sowie den Wunsch, in einem bisher undurchschaubaren, chaotischen, gefährlichen, vielleicht auch angstauslösenden Bereich Ordnung zu schaffen durch Einordnen und Klassifizieren: „Aha, das ist es also!“ Diagnosen rücken den Patienten zurecht für den medizinisch-psychiatrischen Apparat und seine Normalisierungstechniken. Vor allem bahnen sie den Weg für die Verschreibung von Medikamenten, woran die Pharmaindustrie ein großes Interesse hat. Unser Anliegen sollte deshalb nicht sein, ein Symptom schnellstmöglich zu beseitigen, sondern den Versuch zu unternehmen, seine Bedeutung aus der Vielschichtigkeit des jeweiligen Menschen und seiner Lebensgeschichte heraus zu verstehen.

Hier geht es zum vollständigen Artikel von Götz Eisenberg

Macht das Leben in der Stadt psychisch krank?

Immer mehr Menschen leben in Städten. Und immer mehr Menschen in Städten sind psychisch krank. Stressfaktoren, die in Städten bedeutsamer zu sein scheinen als auf dem Land sind Enge, Angst vor Ausgrenzung, Verlust an Kontrolle über das eigene Leben. Welche Möglichkeiten gibt es Städte stressfrei(er) zu gestalten? Diesen Fragen geht eine Sendung des Deutschlandradio Kultur nach. Man kann die Sendung nachhören und nachlesen.