»Unterrichten oder Zurichten«

Was häufig als Ausweg aus der Misere der Schule und der Bildung gesehen wird, ist tatsächlich die Verfestigung der Misere.

Passend zum vorangehehenden Beitrag verlinke ich hier auf einen Artikel der Nachdenkseiten. Da wird es wohl nichts mit dem höheren Wesen, das uns Rettung bringt …

Hörten die politisch Verantwortlichen dagegen auf die Forschung – nicht die durch die IT-Lobby finanzierte –, müsste man das Digitale entweder ganz aus der Schule jagen oder, was wohl noch besser wäre, lediglich im engen Rahmen eines Fachs „Medienkompetenz“ über dessen Gefahren aufklären und Anleitung zu einem verantwortungsvollen Umgang damit geben. Das allerdings ist politisch nicht gewollt. Laut Lankau, Mitunterzeichner des besagten Aufrufs, stehen in der Pädagogik seit jeher zwei Prinzipien in Konkurrenz: „Unterrichten oder Zurichten“. Ersteres begreife Lernen als dialogischen Prozess, wogegen es beim zweiten um „Auswendiglernen und ums Abrichten von Humankapital für bestimmte Aufgaben mit abprüfbaren Kompetenzen“ gehe. Leider habe im Kapitalismus dieses Konzept die Oberhand gewonnen, beschied Lankau. „IT und KI vermitteln nur Repetitionswissen, weil eine Software ja gar nicht ‚weiß‘, was die Inhalte sind, alles sei nur computergeneriert, automatisierte Datenverarbeitung nach mathematischen Modellen. Die Frage ist daher, warum Menschen sich von dieser Simulation von Intelligenz täuschen lassen und warum diese Simulation und Mischung aus Fakten und Fakes so massiv in die Schulen gedrückt wird.“

Moratorium für Digitalisierung der Schule – und Verwüstung der Gehirne

Digitalisierung gilt derzeit im Bildungsbereich für alle Altersstufen als zeitgemäße Lösung von Bildungsfragen. Tatsächlich sind die Wirkungen und Nebenwirkungen digitaler Medien auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse wissenschaftlich oft ungeklärt. Vielmehr verdichten sich die wissenschaftlichen Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen durch digitale Medien. Im Sinne der Fürsorgepflicht öffentlicher Bildungseinrichtungen fordern wir daher ein Moratorium der Digitalisierung insbesondere der frühen Bildung bis zum Ende der Unterstufe (Kl. 6): Es müssen zuerst die Folgen der digitalen Technologien abschätzbar sein, bevor weitere Versuche an schutzbefohlenen Kindern und Jugendlichen mit ungewissem Ausgang vorgenommen werden. Diese haben nur ein Leben, nur eine Bildungsbiografie und wir dürfen damit nicht sorglos umgehen.

Hier kann man in aller Ausführlichkeit weiterlesen.

Zwischen Relativierung und Abwehr einer Aufarbeitung

Christian Drosten erhielt in der Zeit viel Raum, um die Folgen der Pandemiemaßnahmen in einem freundlicheren Licht erscheinen zu lassen. Multipolar-magazin zeigt in einem Interview mit dem Medizin-Professor Johannes Pantel, dass es gute Gründe gibt, Drostens Aussagen in Zweifel zu ziehen. Hingewiesen sei auch auf einige kritische Kommentare zum Interview.

»Tatsächlich wissen wir bis heute nicht, zumal für Deutschland, ob Schulschließungen einen nennenswerten und relevanten Effekt auf die COVID-19 assoziierte Krankheitslast und Sterblichkeit gehabt haben. Fest steht dagegen, dass diese Maßnahme erhebliche psychische, soziale und gesundheitliche Folgeschäden für sehr viele (gerade auch sozial benachteiligte) Kinder und Jugendliche gezeitigt hat. Diese Schäden werden zwar auch von Herrn Drosten inzwischen eingeräumt, aber indem er die Aussagen der Royal Society zur Wirksamkeit von Schulschließungen ins Positive verzerrt und überzeichnet, nimmt er Einfluss auf die Güterabwägung, die bei objektiver Berücksichtigung der Evidenzlage die Schulschließungen als klaren politischen Fehler erkennen lassen.«

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass es eine wachsende Gruppe von Fachleuten gibt, die sich für eine Aufarbeitung einsetzen.

»Doch bleibt die bisherige Reflexion über die Pandemie zu punktuell und zu sehr vom Streben nach politischer und medialer Meinungshoheit geprägt. Es bedarf einer geordneten und systematischen Aufarbeitung, um robuste Lehren für zukünftige Krisen zu ziehen und ähnliche Fehler zu vermeiden.«

Beunruhigend, dass noch kein Berufsverband der Psychologen (soweit mir bekannt) eine Aufarbeitung fordert.

Systemisches Denken und der Titanic-Effekt


In der Schulpsychologie – aber nicht nur dort – hören wir sehr viel von systemischen Arbeitsansätzen. Wenn auch vieles im Dunkeln bleibt, was damit gemeint sein könnte, so wird damit doch ein Stück Modernität signalisiert. Bei all den Schönheiten, die systemische Sichten bieten, verwundert es, dass (zumindest gefühlt) Krisen und Katastrophen zunehmen. Irgendwas schiebt sich wohl dazwischen. Im Laufe dieses Textes werde ich auf einen Text hinweisen, der vielleicht einer systemischen Sicht neue Impulse zu geben vermag.


Es handelt sich beim systemischen Ansatz nicht um die eine bestimmte Methode, sondern um einen allgemeinen Denk- und Analyseansatz. Vermutlich kann man unterschiedliche, methodische Ansätze – wenn man denn will – mit einem systemischen Ansatz unterlegen. Es handelt sich dann wohl um eine systemische Erweiterung, vielleicht auch Aufwertung eines vordem einfachen oder vereinfachenden Ansatzes.


Wenn ich mich recht erinnere, wurde unter systemischem Ansatz in der Schulpsychologie oft verstanden, dass man sich bei der Erklärung eines Lern- oder Verhaltensproblems nicht auf die vom Anmelder vorgetragene Ursachenzuschreibung – oft: „Das Kind hat/ist … “ – einlassen wollte, mit der Folge einer Engführung von Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten, abgesehen von einer impliziten oder expliziten Schuldzuweisung an das Kind und seine Familie. Eine systemische Sicht konnte den Blick auf die Entwicklungsgeschichte des Kindes lenken, auf besondere Erfahrungen, Spannungen und Widersprüche in der Herkunftsfamilie. Die Sicht lässt sich auf Besonderheiten der Lehrerpersönlichkeit lenken (seine/ihre Vorerfahrungen, Deutungsgewohnheiten, was die Möglichkeit ins Spiel bringt, dass Schüler- und Lehrerpersönlichkeit ineinandergreifen und wie programmiert Reiz und Reaktion folgen bis hin zu Lern- und Entwicklungsblockaden.)

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Für eine Bildungswende – raus auf die Straße

Möglicherweise kommt wieder etwas Bewegung in die Bildungslandschaft. Dass es Zeit wird, zeigt u.a. der weiter unten verlinkte Beitrag. Am 23.9. gibt es einen bundesweiten Aktionstag „Bildungswende jetzt“. Der Landesverband Schulpsychologie NRW ruft zur Teilnahme auf. In zahlreichen Städten besteht die Gelegenheit, sich an Protesten und Forderungen zu beteiligen. Ein Ausschnitt der kritisierenswerten Zustände findet sich hier (Ralf Wurzbacher):

»Der Triumphzug dieser Engstirnigkeit ist nahezu total: An den Hochschulen verdrängen technische und Wirtschaftsfächer die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften immer mehr. Industriell gesponserte Drittelmittelforschung geht einher mit schrumpfenden öffentlichen Hochschuletats. Die Schulen werden überschwemmt mit Unterrichtsmaterial von Unternehmen, Stiftungen und Lobbyisten, überall gibt es Bemühungen, ein separates Fach Wirtschaft zu etablieren. Selbst so fortschrittlich anmutende Projekte wie der Ausbau von Kitaplätzen und Ganztagsschulen entspringen zuallererst dem übergeordneten Interesse der Arbeitgeber, damit Papi und Mami gefälligst beide ihre Haut zu Markte tragen können. Dann genügt es auch, wenn Schulen und Kindergärten zu reinen Verwahranstalten verkommen, zu denen sie heute – bei allem Engagement überlasteter und überforderter Lehrer und Erzieherinnen – schon vielfach geworden sind.

Bildung kann und sollte so viel mehr sein: Sie müsste zur Selbstverwirklichung befähigen, zur Selbstreflexion, zur Ausbildung von Menschlichkeit und Solidarität, zu kritischem Denken, dazu, die Widersprüche und Zerstörungskräfte unseres polit-ökonomischen Systems zu erkennen und infrage zu stellen. Unter den Bedingungen und aufgrund der Selbsterhaltungskräfte des Kapitalismus darf Bildung dies aber gerade nicht leisten. Benötigt werden Mitläufer, keine Mitdenker, Geistlosigkeit statt Geistreichtum.«

Wer noch weitere Gründe braucht, kann sie hier finden.

Der Zusammenhang von Selbstwirksamkeit und Politik


Schaut man sich verschiedene Studien und Berichte aus den Schulen an, könnte man zu dem Schluss kommen, vielen Kindern und Jugendlichen sei in den vergangenen Jahren großer Schaden zugefügt worden. Gerne wird von Pandemiefolgen gesprochen. Tatsächlich waren es jedoch die Maßnahmen, die schützen und retten sollten, welche den Schaden anrichteten. Wenn Maßnahmen, die schützen sollen, Schaden anrichten, sollte man erwarten, dass im Nachgang geprüft wird, wie solch eine Verkehrung zum Schlechten möglich war. Man könnte das Aufarbeitung nennen. Mit der Möglichkeit, dass Verantwortliche zurücktreten, Bitten um Entschuldigung aussprechen.
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»Analphabeten der Angst«

Etwas Monströses „wissen“, das können wir schon. Wir registrieren in diesem Fall, was gedanklich damit gemeint ist. Doch gefühlsmäßige Warnreaktionen bleiben aus. Affektiv gesehen geht es uns nichts an.

Es sind nicht immer Unmenschen, die Kriege befürworten oder sie auslösen. Aber sie sind vielleicht blind für dasjenige, was dort wirklich passiert. Und wer am systematischen Töten in einem Krieg direkt beteiligt ist, muss unbedingt auf eine Art Blindheit umschalten oder er steht in Gefahr, „verrückt“ zu werden.

Das sind Zitate aus einem Essay von Hans-Peter Waldrich. Eine Apokalypse-Blindheit, die auch Schulpsychologinnen und Schulpsychologen befallen haben könnte? Was Hans-Peter Waldrich hier für die Gefahr eines Atomkriegs beschreibt, nämlich eine Blindheit, lässt sich ebenso auf die Monströsität einer Verteilungsungerechtigkeit beziehen, wie wir sie bei der (fehlgeschlagenen) Kindergrundsicherung erleben. (Anmerkung: Ich setze die nukleare Gefahr nicht mit der Verteilungsungerechtigkeit gleich, sondern mache auf den Mechanismus des Ausblendens aufmerksam).

Sollte, müsste es nicht eine Psychologie für Frieden und Zusammengehörigkeit geben, die dafür auch die materielle Absicherung derjenigen fordert, die sich ihrer Persönlichkeitsentwicklung, ihrer Bildung und dem Wissenserwerb widmen sollen? Was bedeutet es eigentlich für Zuversicht, Selbstvertrauen und Zugehörigkeit, wenn Armut immer wieder spaltet und beschämt und die Betroffenen mit Krümeln und Anreizen abgespeist werden?

Wie kaltschnäuzig, selbstverständlich und ohne Debatte dagegen Aufrüstung umgesetzt wird und kleinste Verbesserungen für arme Menschen, die an der Grenze zur Verhöhnung liegen, gefeiert werden.

Ist da ein Elefant im Raum, den die psychologische Community nicht sehen will, obwohl doch die Verachtung und Feindseligkeit, die er (der Elefant) transportiert, monströs ist? Das Schweigen, die Blindheit gehen an die Glaubwürdigkeit …

Denkfreiheit, Meinungsfreiheit und Beratung – oder die Luft, die wir zum Atmen brauchen

Ein Artikel aus den letzten Tagen, der wieder einmal zum Thema Kontexte der Schulpsychologie passt regt hoffentlich dazu an, sich damit auseinanderzusetzen, welchen Einflüssen Beratungspraxis unterliegt.
Für manchen mag das wieder ein Beleg dafür sein, dass ich mich vom Feld der Schulpsychologie entferne. Ich sehe das selbstverständlich anders. Schulpsychologie spielt sich in einem gesellschaftlichen Umfeld und Klima ab, das sich auf Klienten, Praktiker und auf die Art und Weise ihrer Interessenvertretung auswirkt.
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