»Unterrichten oder Zurichten«

Was häufig als Ausweg aus der Misere der Schule und der Bildung gesehen wird, ist tatsächlich die Verfestigung der Misere.

Passend zum vorangehehenden Beitrag verlinke ich hier auf einen Artikel der Nachdenkseiten. Da wird es wohl nichts mit dem höheren Wesen, das uns Rettung bringt …

Hörten die politisch Verantwortlichen dagegen auf die Forschung – nicht die durch die IT-Lobby finanzierte –, müsste man das Digitale entweder ganz aus der Schule jagen oder, was wohl noch besser wäre, lediglich im engen Rahmen eines Fachs „Medienkompetenz“ über dessen Gefahren aufklären und Anleitung zu einem verantwortungsvollen Umgang damit geben. Das allerdings ist politisch nicht gewollt. Laut Lankau, Mitunterzeichner des besagten Aufrufs, stehen in der Pädagogik seit jeher zwei Prinzipien in Konkurrenz: „Unterrichten oder Zurichten“. Ersteres begreife Lernen als dialogischen Prozess, wogegen es beim zweiten um „Auswendiglernen und ums Abrichten von Humankapital für bestimmte Aufgaben mit abprüfbaren Kompetenzen“ gehe. Leider habe im Kapitalismus dieses Konzept die Oberhand gewonnen, beschied Lankau. „IT und KI vermitteln nur Repetitionswissen, weil eine Software ja gar nicht ‚weiß‘, was die Inhalte sind, alles sei nur computergeneriert, automatisierte Datenverarbeitung nach mathematischen Modellen. Die Frage ist daher, warum Menschen sich von dieser Simulation von Intelligenz täuschen lassen und warum diese Simulation und Mischung aus Fakten und Fakes so massiv in die Schulen gedrückt wird.“

Das Lesen und die Welt

IGLU, Lernfreude

Ab und an gibt es im Deutschlandfunk in vermutlich wenig gehörten Nischen Interessantes zu hören. „Passend“ zu den Erschütterungen und Empörungsgesten, die die neue IGLU-Studie auslöste, konnte Jürgen Overhoff von seinem Konzept des Lernens und Leselernens in der Sendung Information und Musik am 21.5.2023 berichten. Das Interview ist nur nachhörbar, nicht nachlesbar. Lesenlernen hat mit Stimmung und Verfasstheit von Geist und Seele zu tun.

Der Kontext, wieder mal

Die Verfasstheit der Gesellschaft bleibt nicht ohne Wirkung auf die Verfasstheit der Menschen und damit auf das Lernen. Insofern scheint es mir, wie ich schon häufiger erwähnt habe, unverzichtbar, die Kontexte, in denen Schulpsychologie und Bildung stattfinden, zur Kenntnis zu nehmen.

Noch so viele Sonderprogramme, in der Regel befristet und sonstwie konditioniert, werden nicht verhindern können, dass die Lebenslagen und die Stimmungen der Menschen auf die Positionierung der Kinder zum Lernen durchschlagen.

Inklusion und Ausgrenzung

Gleiches wird man für die „Lösung“ „plötzlich“ auftretender Schulprobleme durch zeitweilig Beschäftigte sagen können. Für alle Seiten – Schüler/innen, Lehrer/innen, Psycholog/inn/en – ist eine steuernde Größe der Zweck des Lernens und Lehrens. Und ist der weitgehend auf Verwertbarkeit für Ausbildungserfolg, für Überleben in einem fragwürdigen Schulsystem (zum Beispiel Inklusion in einer auf Exklusion angelegten Gesellschaft) angelegt, stellt sich auf Dauer kaum die Stimmung ein, die Voraussetzung für Lern- und Lesefreude ist.

Armut und Armutsdrohung als strukturelle Gewalt

Wer also über schlechte Leseleisungen (und ihre Verbesserung) reden will, sollte über Armut und Kapitalismus nicht schweigen. Dass im allgemeinen Heizungskonflikt und Kriegsgetöse die wachsende Armutsbedrohung untergeht und sie zu einem Neben- oder Nichtthema wird und damit die Bedingungen erfolgreichen Lernens verdunkelt werden, ist ein Element im Verwirrspiel um die Wichtigkeit und faktische Nachrangigkeit von Bildung.

Wie Armut oder drohende Armut aufs Gemüt schlagen können, wird hier und hier sichtbar.

ChatPTG, Künstliche Intelligenz

Nicht weiterhelfen bei der Überwindung der Bildungshürden werden uns Digitalisierung, ChatPTG und Künstliche Intelligenz. Ein längeres Interview dazu mit Ralf Lankau.