Aufarbeitung: Alles könnte wieder so geschehen – und auch schlimmer

Warum Aufarbeitung wichtig ist

Die vergangenen drei („Pandemie“-) Jahre sind von erheblichen Einschnitten in das bis dahin geltende Lebensverständnis gekennzeichnet. Bei vielen Menschen sind sie vermutlich mit Verwirrungen und Entfremdungserfahrungen verbunden. Zwei „Großereignisse“ mit intensiven politischen, medialen und auch militärischen Interventionen krempelten das gesellschaftliche Leben um. Verlässlichkeit bisher gekannter Strukturen, wie auch wirtschaftliche Perspektiven sind vermutlich mehr denn je infrage gestellt. Das Vertrauen in Mitmenschen und in Institutionen dürfte in Mitleidenschaft gezogen sein. Kulturen des Misstrauens, der argwöhnischen Beobachtung, der Drohung und Verurteilung haben sich etabliert. Worauf kann man sich noch verlassen und wie darf, soll ich sein? Was darf ich denken und was darf ich äußern? sind wohl zur Hintergrundbegleitung des Alltags geworden.

Nach solch drastischen Einschnitten wie die Pandemiemaßnahmen sie bedeuteten, sollte eine Phase der Reflexion/Aufarbeitung einsetzen. Selbstvergewisserung, Schadensbesichtigung, Heilung und Wiedergutmachung könnten von dort aus beginnen, um die Zivilgesellschaft zu stärken. Nach Phasen der Verunsicherung und des Misstrauens sind Phasen der Vertrauensbildung wichtig, damit wir uns wieder konstruktiv aufeinander beziehen können. Wie sonst sollten wir uns einander begegnen können, wo doch Ausgrenzungen, Beschimpfungen Verletzungen stattgefunden haben? Befinden wir uns auf einem Weg in diese Richtung?

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Weiteres Interview mit der Integrationsbeauftragten Güner Balci zur Lage von Jugendlichen in Problemvierteln

Ausführlicher als im Interview mit dem DLF geht die Integrationsbeauftragte auf die Lage der Jugendlichen ein. Einschätzungen, die man so in den „normalen“ Medien zu lesen und zu hören bekommt.

Fortsetzung Aufarbeitung Corona

Jan David Zimmermann schreibt über den Wissenschaftsbegriff und seine Wandlungen in den letzten Jahrzehnten. Sie sind gravierend und sie stellen eine auf Grundlage von Rationalität funktionierende Gesellschaft in Frage.

Wir brauchen mündige Bürger und wir brauchen Forschende, die die eigene Position reflektieren können, differenziert und ergebnisoffen ihren Untersuchungsgegenstand ansehen und Befangenheiten gegebenenfalls offenlegen.

Aufarbeitung: Freiheit ist immer wert, verteidigt zu werden

Mit einigen interessanten Erfahrungen und Einsichten trägt Jessica Hamed im Cicero zur Aufarbeitung der Corona-Zeit bei.

Das Hauptziel der Epoche der Vernunft war es, Menschen zu befähigen, sich ihres Verstandes zu bedienen, zu hinterfragen. Die Aufklärung ist die Voraussetzung für ein freiheitliches und menschenwürdiges Miteinander und ist als Gegenentwurf zur Willkürherrschaft beziehungsweise Aberglauben und Vorurteilen zu verstehen.

Aufarbeitung Corona

Die Berliner Zeitung setzt ihre Reihe zur Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen fort. Unter anderem geht es in dem Artikel um das Spannungsverhältnis zwischen seelenloser, neutraler Verwaltung und dem Bürger, der Bürgerin, die Persönlichkeits- und Grundrechte geltend machen.

Oder haben die Verwaltungsbeamtinnen und -beamten nur ihren Job gemacht, wie man so unschön sagt, und sich trotz persönlicher Zweifel gesagt, in einer Pandemie sei so etwas eben „normal“ und „aufgrund des Bevölkerungsschutzes“ notwendig? Hat sich die Unterzeichnerin vor Augen geführt, an wie viele unterschiedliche Personen dieser immer gleiche Brief geht, auf wie viele unterschiedliche Wohn- und Familienverhältnisse er trifft? Oder ist es das Wesen der Verwaltung, solche Rücksichtnahmen nicht zu kennen, sondern einfach zu jedem Zeitpunkt zu „funktionieren“, und verweist dies auf ein größeres Phänomen, das uns auch zukünftig und über Corona hinaus beschäftigen muss? Die Entindividualisierung des fünfjährigen Jungen als „enge Kontaktperson (Kategorie I)“ sollte uns zu denken geben.

»Die pädagogische Wende

Über die notwendige (Rück)Besinnung auf das Erziehen und Unterrichten«
Call for Papers

Vor einigen Tagen erschien der hier verlinkte Aufruf. Bei der Tagung, die Teil eines größeren Projekts ist (wenn ich richtig verstanden habe), geht es um den Stellenwert von Erziehen und Unterrichten im Kontext von Digitalisierung und Kommerzialisierung von Bildung und Schule.

Vor dem Hintergrund wollen wir pädagogische Theorie und Praxis in einen produktiven Dialog bringen und fragen:
– Wie lassen sich, unter den gegenwärtigen Bedingungen, Bildungseinrichtungen an den Bedürfnissen der Lernenden gemäß den Entwicklungsstufen (anthropologische Ontogenese) des Menschen ausrichten?
– Wie lässt sich erkennen und realisieren, dass pädagogisches Arbeiten notwendig personengebunden, individuell und interpersonal ist?
– Wie erreichen wir eine Stärkung der Erziehung, die Widerständigkeit nicht einebnet oder ausschließt, sondern mit dem Ziel der Mündigkeit auf die Entwicklung stabiler Persönlichkeitsstrukturen in sozialen Zusammenhängen zielt?
– Mit welchen Unterrichtsformen gelingt die Auseinandersetzung mit kulturellen Beständen (zu denen auch die Digitaltechnik zählt), sodass die Schülerinnen und Schüler als selbstbestimmte daraus hervorgehen?
– Mit welchen Verschiebungen von (schulischen) Bildungs- und Erziehungsvorstellungen geht das digitale Lernen einher?
– Wie stellt sich die Umsetzung einer digitalen Schulorganisation (Klassenbuchführung, Stundenplanung, Kommunikation) aus einer pädagogischen Perspektive dar?
– Inwiefern kommt pädagogischen Reflexionen über das Verhältnis von Bildung, Erziehung und Digitalisierung im Schulalltag Relevanz zu?

Die Einschränkung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit gefährdet die psychische Gesundheit

Entgegen der Hoffnung, die auch ich hege, dass „alles“ nicht so schlimm kommen werde, wie es klingt, sind Regierungen und Behörden dabei, die Schrauben anzuziehen. Indem sie Kritiker der politisch gemachten Pandemiemaßnahmen in einen Topf mit Reichsbürgern, Rechtsextremisten und AfD wirft, sind sie dabei, die eine Wahrheit zu etablieren, von der sie, Regierungen und Behörden, glauben (machen wollen), sie sei die einzig wahre.

Wie einst der Radikalen-Erlass der 1970er Jahre sind die gegenwärtigen Schritte der Regierungspolitik geeignet, eine Klima des Duckmäusertums, des Misstrauens und der Überwachung zu erzeugen. Was bedeutet es eigentlich, wenn ich im Kollegenkreis mich nicht mehr traue meine Meinung zu sagen? Wie wirkt sich das auf meine Selbstsicherheit und Überzeugungskraft in der Arbeit mit Klienten und Patienten aus?

Meinungsfreiheit

Eine Entlassung oder öffentliche Degradierung stigmatisiert und traumatisiert in außerordentlichem Maße. Dies trifft zwar bei jeder Entlassung oder öffentlichen Degradierung zu, gilt jedoch für Personen in der Wissenschaft in besonderem Ausmaß, da ihr „guter Ruf“ gleichsam die Währung für ihre Arbeit ist: Das Vertrauen in die
Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeit setzt das Vertrauen in die Person, die die Wissenschaft betreibt, voraus. Eine Entlassung oder öffentliche Degradierung hat daher nicht nur massive Auswirkungen auf den Ruf der angeschuldigten Person
(„Ehrenstigma“, Goffman, 1967), sondern wirkt gleichsam als „Berufsmord“. Die Entlassungs- oder Degradierungserfahrung ließ viele Betroffene sehr zögern, sich an
der Studie zu beteiligen.

https://www.bzh.bayern.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Beitraege_zur_Hochschulforschung/2021/Beitraege-2021-1-2-Egner-Uhlenwinkel-Nov-2021-b.pdf

Die Einseitigkeiten der Corona-„Debatte“ und die Ausschaltung abweichender Meinungen zum Krieg schaffen die Gesundheitsrisiken und Lebensrisiken, die angeblich vermieden werden sollen. Das Spektrum der zu diskutierenden zwangsläufig unterschiedlichen Sichtweisen und Standpunkte breit zu halten, schafft erst die Voraussetzungen für Problemlösungen und für die Entwicklung von Individuum und Gesellschaft.

Verantwortungsfluchten

Modellierungen in der Wortwahl, rhetorische Tricks sind nicht wirklich Mittel, die uns retten. Michael Andrick nennt sie Fluchten aus der Verantwortung. In der Tat: Wenn aus „Versagen“ von Institutionen „Lernerfahrungen“ werden, wenn „Probleme“ in „Herausforderungen“ umgeschrieben werden, heißt das in der Regel: Suche nicht nach Ursachen, handele jetzt und für morgen. Es gibt keine Verantwortlichen. Das fällt dann im allgemeinen Handlungsdruck damit zusammen, dass eine Notoperation der nächsten folgt. So werden Dekontextualisierung und Enthistorisierung – alles was zum Verstehen beitragen könnte – systemisch und endemisch. Wer wagt da, mit einer Meinung, die noch dazu Kritik an Verantwortlichen beinhalten mag, „dazwischenzugehen“?

Kompetenzorientierung als Türöffner für Anpassung?

Ich habe mich in letzter Zeit öfter mit der Frage beschäftigt, wie es möglich ist, dass vo viele Menschen bereit sind, sich anzupassen, den Widersprüchen nicht nachzugehen, die Elefanten im Raum zu übersehen. Ein Faktor von vielen scheint mir in der „Kompetenzorientierung“ zu liegen, die eine Leitlinie von Schule geworden ist. Ohne hier ins Detail gehen zu wollen, verweise ich auf ein Interview mit Andreas Gruschka aus dem Jahre 2018.

Weitere Argumente und mehr Material zur Aufarbeitung

Mathias Schrappe sieht gravierende Fehlentwicklungen im Management der Corona-Krise. Die Verstöße gegen wissenschaftliches und evidenzbasiertes Arbeiten sind eklatant.

»Man kennt diese Überschätzung des technisch-linearen Zugangs bei komplexen Sachverhalten gut aus anderen Bereichen in der Gesundheitsversorgung. Linear Durchregieren – haben wir ein Problem mit nosokomialen Wundinfektionen, erlassen wir halt eine Dienstanweisung zur Händedesinfektion. Dass das nicht funktioniert (weil Dienstanweisungen gerne mal ignoriert werden), ist in hunderten Studien klar bewiesen. Erst die Erkenntnis, dass es sich dabei um einen sozialen Prozess handelt, führte weiter, allerdings treten dann die technischen Mittel (inkl. Digitalisierung) in den Hintergrund. Stattdessen führen Rückkopplung, Teambildung, Vorbildfunktion und Vertrauensbildung zu Erfolgen. Aber gerade an diesen Punkten hat es in der Impfkampagne ganz massiv gefehlt.«

Nachzulesen hier und hier im Cicero.