Das Lesen und die Welt

IGLU, Lernfreude

Ab und an gibt es im Deutschlandfunk in vermutlich wenig gehörten Nischen Interessantes zu hören. „Passend“ zu den Erschütterungen und Empörungsgesten, die die neue IGLU-Studie auslöste, konnte Jürgen Overhoff von seinem Konzept des Lernens und Leselernens in der Sendung Information und Musik am 21.5.2023 berichten. Das Interview ist nur nachhörbar, nicht nachlesbar. Lesenlernen hat mit Stimmung und Verfasstheit von Geist und Seele zu tun.

Der Kontext, wieder mal

Die Verfasstheit der Gesellschaft bleibt nicht ohne Wirkung auf die Verfasstheit der Menschen und damit auf das Lernen. Insofern scheint es mir, wie ich schon häufiger erwähnt habe, unverzichtbar, die Kontexte, in denen Schulpsychologie und Bildung stattfinden, zur Kenntnis zu nehmen.

Noch so viele Sonderprogramme, in der Regel befristet und sonstwie konditioniert, werden nicht verhindern können, dass die Lebenslagen und die Stimmungen der Menschen auf die Positionierung der Kinder zum Lernen durchschlagen.

Inklusion und Ausgrenzung

Gleiches wird man für die „Lösung“ „plötzlich“ auftretender Schulprobleme durch zeitweilig Beschäftigte sagen können. Für alle Seiten – Schüler/innen, Lehrer/innen, Psycholog/inn/en – ist eine steuernde Größe der Zweck des Lernens und Lehrens. Und ist der weitgehend auf Verwertbarkeit für Ausbildungserfolg, für Überleben in einem fragwürdigen Schulsystem (zum Beispiel Inklusion in einer auf Exklusion angelegten Gesellschaft) angelegt, stellt sich auf Dauer kaum die Stimmung ein, die Voraussetzung für Lern- und Lesefreude ist.

Armut und Armutsdrohung als strukturelle Gewalt

Wer also über schlechte Leseleisungen (und ihre Verbesserung) reden will, sollte über Armut und Kapitalismus nicht schweigen. Dass im allgemeinen Heizungskonflikt und Kriegsgetöse die wachsende Armutsbedrohung untergeht und sie zu einem Neben- oder Nichtthema wird und damit die Bedingungen erfolgreichen Lernens verdunkelt werden, ist ein Element im Verwirrspiel um die Wichtigkeit und faktische Nachrangigkeit von Bildung.

Wie Armut oder drohende Armut aufs Gemüt schlagen können, wird hier und hier sichtbar.

ChatPTG, Künstliche Intelligenz

Nicht weiterhelfen bei der Überwindung der Bildungshürden werden uns Digitalisierung, ChatPTG und Künstliche Intelligenz. Ein längeres Interview dazu mit Ralf Lankau.

Das Mitgefühl für Kinder und arme Familien hält sich in Grenzen

Strukturell überflüssig Gemachte fallen in einem gemeinen Wesen nach unten durch

Wer hat sie eigentlich auf der Rechnung (?) als Menschen, die doch, wie wir meinen, eine Würde haben? Spielen sie in den staatlichen Planungen und im Common sense eine Rolle? Das geschönte Narrativ der letzten zwanzig, dreißig Jahre, dass jeder für sich Verantwortung trage, die sogenannte Selbstveratnwortung, war einer der Türöffner zu einer neuen Wertewelt, die alles möglich machte – bis zum Ausschluss. Die Corona-Maßnahmen warfen ein Schlaglicht auf diese Lage. Hier mal bitte kurz reinschauen.

Passend dazu dieser Bericht

Schäden durch Schulausschluss, fehlende Kinderrechte, gewollten Finanzierungsnotstand

Fortsetzung des Interviews mit Michael Klundt

Die Gefahr ist real, dass diese Kinder und Jugendlichen aufgrund ihrer Erfahrungen von Perspektivlosigkeit sich später von der Gesellschaft abkoppeln werden. Auch darauf hat die Bertelsmann-Stiftung verwiesen.

Es ist bitter zu beobachten, wie seit Jahren die Kinderrechte und die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen von politischer Seite gefeiert wurden, aber seit März 2020 oft selbst die minimalsten kinderrechtlichen Grundlagen weggewischt werden. Selbst die geringsten Versuche, Kinder, Jugendliche und Jugendverbände auch nur annähernd in Entscheidungsprozesse einzubinden, sind kaum zu erkennen.

Essener Tafel – ein Szenario der Verrücktheiten

Die Maßstäbe in der Äußerung von Klagen und Vorwürfen an die Essener Tafel scheinen bar jeden Verstandes zu sein. Sie sind aber ein Beispiel, wie mit Hilfe von Medien und Politiker’inne’n nach monate-, auch jahrelanger Vorurteilsbildung die Schuld bei den ärmsten der Armen festgemacht wird. Tatsächlich wird jedoch eine systematische Bereicherungspolitik der Reichen betrieben. Und die stellen sich nun hin und kritisieren die Armenspeisung, Tafeln genannt.

Erstens. Warum gibt es überhaupt die „Tafeln“? Sie sind das Ergebnis einer gezielten Verarmungspoltik (Kanzler Schröder sinngemäß und voller Stolz: Wir haben den größten Niedriglohnmarkt geschaffen). Sie wird angewendet auf Deutsche und auf Zuwanderer. Sie wird verschleiert: Wir leben gut und gern in diesem Land.

Zweitens. Die Tafeln stehen in Gefahr, in ihrem Wohltätigkeitsdenken und in ihrem bürgerschaftlichen Engagement die Entpolitisierung voranzutreiben. Das ist die Kehrseite der Ehrenamtlichkeit. Sie können leicht die nützlichen Idioten einer Politik der Unterfinanzierung von Sozialstaatlichkeit werden.

Drittens. In ihrer Entpolitisiertheit kann es den wohltätigen Menschen leicht passieren, dass sie nicht die strukturellen Voraussetzungen ihres Handelns sehen und auf die Oberfläche, auf die dargereichten Schuldigen und Lösungen, verfallen: Die Ausländer sind’s und müssen raus.

Viertens. Schafft ein Regelwerk. Wer sich nicht an die Regeln hält, erhält einen Hinweis, wer wiederholt gegen die Regeln verstößt, wird ausgeschlossen. Wenn es gut ist, gibt es eine Belohnung oder ein Fest. So ähnlich machen das nicht wenige Schulen.

Fünftens. Macht euch stark für eine gerechte Sozialpolitik, für Umfairteilung.

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