Modelle krisenoperativer Sicherheit in Schule und Schulpsychologie?

Wie das Denken in Kategorien der Intervention die Schulpsychologie verändern könnte
Von der Entwicklungsagentur zur Kriseninterventionskraft?

Von Jürgen Mietz
Friedenserziehung, Toleranz, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit sind wichtige Ziele der Schule, die auch im Grundgesetz und in den Verfassungen der Länder niedergelegt sind. Faustlos, Schlichterprogramme, Anti-Aggressionstrainings gehören zu den Versuchen der Schule, Gewalt und Aggression Alternativen gegenüberzustellen. Regelmäßig aber finden sich Kritiken, die der Gesellschaft und der Schule bescheinigen, sie seien selbst (Mit) Verursacher von Gewalt. Ausgrenzung und überzogene Konkurrenz, fehlende Anerkennung und Verachtung für die, die aus welchen Gründen auch immer, nicht zu den Besten gehören können, werden als Gewalt fördernd angesehen.

In den letzten Wochen und Monaten drängt sich eine andere Form der Gewalt und ihre Opfer in das Bewusstsein der Menschen, nachdem das Thema Amok und Schule abklingt. Deutsche Soldaten sterben in fernen Ländern, aktuell ist ihr Leben am Hindukusch am meisten gefährdet. Die Rhetorik ändert sich schleichend: Aus getöteten Soldaten werden Gefallene. Es wird ein Eisernes Kreuz als Tapferkeitsmedaille wiederbelebt, welches ästhetisch und moralisch an die Ideenwelt der nationalsozialistischen Wehrmacht anknüpft.1 Aus Kampfeinsätzen wird (fast) Krieg – der Verteidigungsminister spricht noch von »Situationen«, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil im Falle eines Kriegstoten der Bund für die Versicherung als Kostenträger eintreten muss. Wie schon die Balkankriege völkerrechtswidrig waren, so droht der Krieg in Afghanistan völkerrechtswidrig auf Pakistan ausgeweitet zu werden.

Der Krieg oder die Kampfeinsätze oder das Engagement der Bundeswehr – wie immer man das Geschehen nennen mag – sind in der Bevölkerung nicht sonderlich beliebt. Deutlich im Gegensatz zu dieser antimilitaristischen Grundstimmung treffen Bundesregierung und Parlamentsmehrheit Entscheidungen in entgegengesetzter Richtung. Dennoch: Bei aller Kritik, die man daran haben mag – legal ist dieses Handeln, so hat es das Bundesverfassungsgericht 2004 entschieden.

Abgeleitet wird die Legitimität weltweiter militärischer Einsätze aus dem Weißbuch 2006. der Bundeswehr. Es formuliert acht nationale deutsche Interessen: Sicherheit und Wohlfahrt deutscher Bürger, Souveränität und Integrität Deutschlands, Krisenvorbeugung und Konfliktbewältigung, globalen Herausforderungen begegnen, Achtung der Menschenrechte und Stärkung der internationalen Ordnung, freier Welthandel als Grundlage für Wohlstand, Kluft zwischen Arm und Reich überwinden.2

Zwar ist, wenn auch mehr am Rande als in der grundsätzlichen Orientierung, zivile und humanitäre Hilfe in die Missionen zur Sicherung und Verbesserung der Welt eingeschlossen. Dennoch darf man wohl davon ausgehen, dass die militärischen Mittel deutlich höher ausfallen als das zivile Engagement. Das illustriert das Interview mit Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul im Freitag 3

Alles in allem beruhen die Orientierungen auf der Überzeugung, dass »wir« die Guten sind und deshalb alles Recht haben, das zu tun, was »wir« tun. Es muss ein Versehen sein, dass die Rohstoffe unseres Wohlstands nicht unter unserer Erdkruste liegen. Welche Mitverantwortung »wir« für das Böse der anderen haben (Unterwerfung von Staaten und Gesellschaften unter die Prinzipien neoliberaler Marktwirtschaft; Kolonialismus und anderes mehr), kommen als Ursache für die Konfliktlagen gar nicht Betracht. Letztendlich geht es um Repressionskompetenz, um Definitionsmacht und Debattenhoheit.

Damit die Skepsis gegenüber dem Militärischen einer Identifikation mit der Bundeswehr und mit der Parlamentsmehrheit weicht, gibt es zahlreiche Aktivitäten der Bundeswehr. Die Bundeswehr tritt als Freund und Helfer auf, als politischer Bildner. Mit Stolz verkünden Bundeswehr und die Schulministerin in NRW eine Kooperationsvereinbarung 4.
Und es gibt wohl keine Organisation, die solche Ressourcen hat, wie die Bundeswehr, von den Jugendoffizieren, über Schulungen, bis zu Software und Unterrichtsmaterialien. Am Material von POL&IS können »soziale() Kompetenzen wie Teamfähigkeit und Konfliktmanagement« geschult werden. »Zudem werden Rhetorik und Präsentationstechniken geübt«. »Die Jugendoffiziere der Bundeswehr helfen Schülern, diese komplexen Zusammenhänge zu verstehen. Sie sind methodisch-didaktisch ausgebildet und bieten einen schülergerechten Unterricht.« Wenn das kein Angebot für die überlastete Lehrkraft ist. 5
Erstaunlich – vielleicht aber auch nicht – ist der Mangel an Geschichtsbewusstsein und Reflexionswillen über die westliche Beteiligung an scheiternden Staaten, an Fundamentalismus, Migrantenströmen etc. Das stellt die Kompetenz von Bundeswehr, Verteidigungsministerium und Parlamentsmehrheit, Konflikte verstehen und lösen zu können (und zu wollen) in Frage. Die Schwierigkeit, das eigene Beteiligtsein an der Problemverursachung in Betracht ziehen zu können, ähnelt der Unfähigkeit der Bildungspolitiker die Gewalt verursachenden Momente in Schule und Gesellschaft zu erfassen und zu verstehen.

Helfen in der Kooperationsvereinbarung einander zwei Akteure, die ein Herrschafts- und Wahrheitsmodell machtbewusst durchsetzen wollen, dies aber als demokratisch und humanitär dargestellt sehen möchten? Beide Systeme – Bundeswehr und Schule – haben vielleicht eine Gemeinsamkeit: Die Bedrohungen kommen dem Anschein nach von außen und müssen durch Bereitschaft zur Gegenwehr gebannt werden. Dazu werden Ressourcen und Strukturen gebraucht und verfügbar gemacht. In Armee, Außen- und Verteidigungspolitik ist dieses Denken weit fortgeschritten, wenn auch nicht unter Akzeptanz der Bevölkerung. Im Schulsystem wird an der Fähigkeit zu Krisenintervention und Notstandsbewältigung gearbeitet. Nach den ersten Erfahrungen mit Amoktaten war ein hohes Maß an Dilettantismus in der Einsatzplanung sichtbar geworden. Das gefährdete auch auch helfender Schulpsychologinnen und Schulpsychologen. So gesehen spricht einiges dafür, dass Zuständigkeiten und Abläufe geklärt werden.

Andererseits aber können diese Umbauarbeiten eine schleichende, veränderte Grundausrichtung der Schulpsychologie zur Folge habe. Die neue Aufgabe könnte in der Schaffung einer Interventions-Schulpsychologie – von wem mit welcher Intention gestellt und wo mit wem demokratisch diskutiert? – bestehen, fähig zu effektiver Krisenintervention.

Man darf vermuten, dass militärische oder krisenoperative Denk- und Handlungsmuster in die Schulpsychologie einziehen werden. Das Gebot der Krisenabwehr erlaubt und erzwingt, – wie bei der Bedrohung von außen – Forderungen zu stellen und Strukturen zu schaffen, die im »zivilen Sektor« der Schulpsychologie, in ihrem präventiven Alltagsgeschäft kaum zur Sprache kommen und in der Vergangenheit nicht auf fruchtbaren Boden fielen. In Zeiten geschürter und wachsender Angst ist immer Stunde der Not, die abgewendet werden muss, nie ist Zeit der Reflexion, die analysiert und Ursache-Wirkungszusammenhängen auf die Spur kommt.

Nicht auszuschließen ist, dass an die Bildung einer »schnellen Einsatzgruppe« für ein professionelles schulpsychologisches Krisenmanagement gedacht wird, an eine Struktur der Handlungsfähigkeit und Schlagkraft. Mitglieder der Einsatzgruppe könnten das Management für Einsatz und Fürsorge der eingesetzten Schulpsychologen übernehmen. Intensivierung der Fortbildung, Mitarbeit an der der Akutversorgung und anderes mehr sind denkbares Programm.

Das teilweise berichtete Vokubular erinnert an Einheiten, die polizeilich oder militärisch, manchmal auch aggressiv-unternehmerisch agieren. Schlagkraft ist gefragt, Corpsgeist bildet sich. Und in der Zielstrebigkeit der Forderungen zeigt sich das Gespür für die Zwänge der Politik, die natürlich Sicherheit gewährleisten muss. Die Dominanz des Notwendigen, welches die Gefahrenabwehr ist, bricht sich bahn und schlägt locker das eigentlich Notwendige: Etwa supervisorische Kompetenz der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen ermöglichen, Leitlinien guter Führung und Kooperation in Beratungsstellen und Schulen umzusetzen, Intensivierung der Kooperationen zwischen Schulen und Schulpsychologen im Alltag, Investitionen in die Langzeitaufgabe der Schulklimaverbesserung und in die Humanisierung der Schule.

Wenn schulpsychologische Krisenintervention solch krisenoperative Strukturen braucht, sie sie sich zu schaffen versucht und sie sie vielleicht auch bekommt – haben wir es dann überhaupt noch mit Schulpsychologie als Unterstützerin von Entwicklung zu tun? Vielleicht ist sie dann eher die Schul-(psychologische) Abteilung eines polizeilichen Sondereinsatzkommandos. Wie prägt eine so krisenbereite, operativ geschulte Schulpsychologie das Bild der Schulpsychologie? Nicht auszuschließen, dass die klassische Schulpsychologie die Rolle der immer versprochenen Entwicklungshilfe für die Dritte Welt einnimmt und die Einsatzgruppen und Netzwerke der schulpsychologischen Krisenintervention erhalten den finanziellen, medialen und politischen Rückhalt der Bedrohungsabwehr.

1 Mit teils heftigen Diskussionen in den Medien: Tapferkeitsmedaille – der westen, Tapferkeitsmedaille – der westen, Kommentar
Tapferkeitsmedaille – taz

2 Deutsche Interessen, Weißbuch 2006

3 Entwicklungspolitik, Wieczorek-Zeul

4 Kooperationsvereinbarung

POL&IS

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