Die Schulpsychologie hat die Aufgabe, die einzelnen Menschen, die in und für die Schule arbeiten, darin zu unterstützen, die sehr individuellen Entwicklungsressourcen zu erkennen und zu erweitern. Damit arbeitet sie an dem Ziel mit, eine neue Kultur des Lehrens und Lernens zu entwickeln. Diese muss die Persönlichkeit, ihre sehr spezifischen Ressourcen und Ziele in Rechnung stellen. Mit anderen Worten heißt das: Schule muss aus ihrer jahrhundertealten Tradition als bürokratischer Veranstaltung heraustreten. Wenn das gelingen soll,
braucht sie institutionell verankerte Gegenpole. Diese müssen eigenständig sein, sie dürfen nicht engster Abhängigkeit gerade des Systems stehen, dass es zu überwinden und weiterzuentwickeln gilt. Zumindest muss so viel Eigenständigkeit (in kluger Vorausschau angesichts des angestrebten Ziels) gewährt werden, damit nicht zarte Pflänzchen einer neuen Kultur und eines neuen Denkens vertrocknen, angesichts der Dominanz der bürokratischen Kultur in Schule.
Schulpsychologie als bewusst genutztes Werkzeug der Humanisierung von Schule, als Möglichkeit, mit schulpsychologischer Beratung in diesem Sinne Ressourcen zu erschließen, kann und darf sie nicht mit verwaltungsmäßig-bürokratischen Aufgaben beauftragt werden. Das aber ist genau der Fall, wenn die Schulpsychologie selbst oder die Organisation, von der sie ein Teil ist, hoheitliche Aufgaben wahrnehmen soll. Etwa wenn sie von amtswegen bei Absentismus aktiv werden muss, bis hin zur Vorbereitung von Bußgeldverfahren. Oder wenn es ein von der Behörde standardisiertes Verfahren gibt, dass sie bei Gewaltereignissen aktiv werden muss, ohne dass ihre Verantwortlichkeit mit denen anderer Stellen abgeglichen ist. Oder wenn sie an einer Diagnostik beteiligt ist, die die Gewährung oder Nicht-Gewährung von finanzieller Unterstützung außerschulischer Förderung zur Folge hat.
Wenn Schulverwaltung und Schulpolitik Voraussetzungen für einen Status der Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit der Schulpsychologie schaffen, dann muss sich Schulpsychologie ihrerseits der Qualitätssicherung stellen; denn eine Befreiung von Rechenschaftslegung würde müsste Misstrauen wecken. Interne Reflexion der Arbeitsprozesse, Supervision, und Rechenschaftslegung gegenüber vorgesetzten Leitungsebenen, dialogorientierte Evaluation und Perspektiventwicklung sind unbedingt erforderlich.
Unter dem Gesichtspunkt des Aufbaus einer neuen Lernkultur und der Umsetzbarkeit der Lehrerberatung ist es notwendig, die schulpsychologische Beratung, wie auch die Beratung eventueller anderer Professionen, als Arbeitszeit für die Lehrer und Lehrerinnen abzurechnen. Wie sonst könnte Schulpsychologie einen Beitrag zur Lernkultur leisten, wenn die Lehrkräfte ihrerseits ihre Zusammenarbeit nicht als Arbeit anerkannt bekämen? Anderenfalls blieben Angebote zur »Lehrerberatung«, welche in Konzepten existieren, nur ein theoretisches Gedankenspiel.