Vermutlich mehr denn je sind Psychologinnen und Psychologen überzeugt, dass sie ihren Beitrag zu Verhaltensänderungen der Menschen leisten müssen, wenn die Welt eine gerechte und humane sein soll. Solche oder ähnliche Selbstpositionierung gibt ihnen das moralische Recht – ist es nicht sogar eine Pflicht? – Verantwortung zu übernehmen, Hand anzulegen also und zu „schubsen“. Mit einem anderen Wort: „Nudging“ zu betreiben. Sie werden damit zu heimlichen Erzieherinnen und Erziehern, obwohl sie sich ansonsten gern der Neutralität, Unabhängigkeit und Äquidistanz verpflichtet sehen.
Es handelt sich um einen noch recht neuen Zweig der Psychologie. Er befasst sich wissenschaftlich damit, wie die Menschen durch unbemerkte Anreize „zu ihrem Besten“ geführt, erzogen, manipuliert werden. Vorausgesetzt wird bei diesem Ansatz, dass schon klar ist, was gut für die Menschen ist. Aufklärung, Selbstbestimmung Urteilsfähigkeit waren gestern. Dazu gibt es hier einen interessanten Artikel.
Keineswegs soll mit der Leseempfehlung des Artikels gesagt sein, dass alle Psychologinnen und Psychologen bzw. Schulpsychologinnen und Schulpsychologen dem Nudging das Wort reden und es gut finden. Andererseits geht es aber nicht zuletzt im Bereich der Beratung und Supervision immer auch um Verhaltensänderung, Verhaltenslenkung, Einflussnahme. Wer ist da Auftraggeber, wem fühlt sich die Beraterin verpflichtet, wem ist der Berater unbewusst nahe? Gerade in diesen moralischen Zeiten, in denen viel Übergriffiges und „Adultistisches“ geschieht, lohnt es sich wohl, für die Verführungen der beratenden Berufe sensibel zu sein – und zu wissen, in welche Traditionen und Fahrwasser man möglicherweise gerät.
Psychologinnen und Psychologen sehen sich traditionell gern auf der Seite der Guten und des menschlichen Fortschritts. Mal mehr, mal weniger, aber in der Regel eigentlich immer wissen sie, wo es hingehen soll, damit es für alle besser wird. Das kann man schon recht früh in der Psychologiegeschichte sehen. Beispielhaft für diese These sind Edward Bernay und Walter Lippmann. Sie waren schon zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts bei denen, die davon ausgingen, dass die Massen für die Demokratie zu dumm seien. Sowohl die Demokratie als auch die Massen brauchten Beistand von Experten, vorzugsweise solche aus der Wirtschaft und aus der Abteilung „Menschenführung“. In den Anfängen nannten Bernay und Lippmann das, was sie machten, „Propaganda“. Später war dieser Begriff so versaut, dass niemand mehr etwas damit zu tun haben wollte. Fortan sprach man von „Public Relations“, kurz PR. Es versteht sich, dass solche Psychologie ihre Wirkung nur dann entfalten konnte, wenn sie nahe an den Entscheidungsträgern war. In der Regel sind das die Führungskräfte aus Wirtschaft, Politik, staatsnahen Institutionen und Staat.