Nudging: Zwischen heimlicher Lenkung und Selbstbestimmung

Vermutlich mehr denn je sind Psychologinnen und Psychologen überzeugt, dass sie ihren Beitrag zu Verhaltensänderungen der Menschen leisten müssen, wenn die Welt eine gerechte und humane sein soll. Solche oder ähnliche Selbstpositionierung gibt ihnen das moralische Recht – ist es nicht sogar eine Pflicht? – Verantwortung zu übernehmen, Hand anzulegen also und zu „schubsen“. Mit einem anderen Wort: „Nudging“ zu betreiben. Sie werden damit zu heimlichen Erzieherinnen und Erziehern, obwohl sie sich ansonsten gern der Neutralität, Unabhängigkeit und Äquidistanz verpflichtet sehen.
Es handelt sich um einen noch recht neuen Zweig der Psychologie. Er befasst sich wissenschaftlich damit, wie die Menschen durch unbemerkte Anreize „zu ihrem Besten“ geführt, erzogen, manipuliert werden. Vorausgesetzt wird bei diesem Ansatz, dass schon klar ist, was gut für die Menschen ist. Aufklärung, Selbstbestimmung Urteilsfähigkeit waren gestern. Dazu gibt es hier einen interessanten Artikel.

Keineswegs soll mit der Leseempfehlung des Artikels gesagt sein, dass alle Psychologinnen und Psychologen bzw. Schulpsychologinnen und Schulpsychologen dem Nudging das Wort reden und es gut finden. Andererseits geht es aber nicht zuletzt im Bereich der Beratung und Supervision immer auch um Verhaltensänderung, Verhaltenslenkung, Einflussnahme. Wer ist da Auftraggeber, wem fühlt sich die Beraterin verpflichtet, wem ist der Berater unbewusst nahe? Gerade in diesen moralischen Zeiten, in denen viel Übergriffiges und „Adultistisches“ geschieht, lohnt es sich wohl, für die Verführungen der beratenden Berufe sensibel zu sein – und zu wissen, in welche Traditionen und Fahrwasser man möglicherweise gerät.

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Wie die Idee der Selbstbestimmung zerrieben wird

Zeitgleich sind in der taz und auf den Nachdenkseiten

zwei interessante Artikel erschienen. In der Bestandsaufnahme beunruhigend.

Das mathematisch-technizistische Weltbild immunisiert sich vor Kritik, indem es eigene Wertfreiheit und Neutralität suggeriert. Das diesem Denken eingeschriebene Muster lässt sich mit einer nicht endenden Optimierung sämtlicher Prozesse beschreiben. Diese Ideologie kann die Welt nur aus der Warte des Berechenbarmachens betrachten.

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Der eine (auf den Nachdenkseiten) mit einer Perspektive:

Google und Co. müssten dafür noch nicht einmal zerschlagen werden. Was wir bräuchten, wäre eine internationale Daten-Überwachungsagentur, die Einblick in die Algorithmen bekommt und der – hier wird es besonders pikant – die Überschüsse aus dem Geschäft mit den Daten zustehen. Denn hier schließt sich der Kreis: Wenn eine „Schrittgebühr“ schon unabwendbar ist, dann sollte sie doch zumindest, wie jede andere Steuer auch, der Allgemeinheit zu Gute kommen. Dies ist auch deshalb notwendig, da die genannten Konzerne sich momentan ja durch zahlreiche Steuertricks nahezu komplett der Besteuerung entziehen.

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Nudging: Freundlich Hilfe oder Manipulation?

Ein boomender Markt für Psychologie ist das Nuding (Anschubsen). Es kommt in der Regel freundlich oder unbemerkt daher. Aber wie immer in der durchkommerzialisisierten und kontrollierten Welt ist es nicht uneigennützig. Und es setzt auf gegebenen Verhältnissen, die in ihrer Entstehung und Weiterentwicklung nicht in Frage gestellt werden, auf. So stellt es nicht die Frage, ob nicht verbesserte Bildung oder ein anders organisiertes Gesundheitswesen ähnliche Wirkungen haben könnten – und noch dazu einen demokratischen Kollateralnutzen.

Gerd Gigerenzer, Psychologe und leitender Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, unterzieht den »libertären Paternalismus« einer umfassenden Kritik (vgl. Review of Philosophy and Psychology, September 2015). So überschätze dieser systematisch die angebliche »Irrationalität« von Menschen. Die von ihm unterstellten »wohlwollenden Entscheidungsarchitekten« seien nicht vor Irrtümern geschützt. Gigerenzer verweist hier auf problematische Nudge-Praktiken im Zusammenhang mit Grippeimpfungen und Brustkrebsvorsorge. Und schließlich gebe es ein empirisch bewährtes und viel zuverlässigeres Mittel, Entscheidungskompetenzen zu fördern und gesundheitsschädliches Verhalten zu begrenzen: umfassende Bildung.

Weitere Überlegungen dazu in diesem Artikel von Michael Zander

Schluss mit PISA

fordern zahlreiche Bildungsexperten.

Denn auf Dauer behindern die daraus entstehehnden Lernformen kritisches Denken und Unterrichten. Sie verderben den Charakter. Zudem mangelt es dem PISA-Komplex an demokratischer Legitimation.

Hier ist die Petition nachzulesen

Wer will, kann sie auf diesem Weg unterschreiben

Hinweis gefunden bei nachdenkseiten.de