Die Inklusionslüge

Buchbesprechung. Uwe Becker. Die Inklusionslüge, transcript-verlag, Bielefeld 2016

Inklusion ist seit einigen Jahren das Thema, das Schulen, Lehrer/innen und Eltern auf Trab hält. Aber auch Schulverwaltungen und Kommunen. Gestartet wurde „die“ Inklusion mit Euphorie und einem moralischen Überschuss, der bis heute anhält. Gleichwohl macht sich Desillusionierung breit, wenn um Förderstunden gefeilscht wird, die Personalausstattung immer wieder knapp ist. Derweil wollen uns Schulverwaltungen und Ministerien glauben machen, dass eben diese Rechen- (und Kürzungs) Kunststücke Inklusion seien. Während es in Schule diejenigen gab und gibt, die in Inklusion den Schlüssel zum Aufbau einer humanen Schule sahen, sahen sich in den Verwaltungen die Meister und Ingenieure der Effizienz- und Kürzungspolitik auf den Plan gerufen.

Inklusion als Teil des gesellschaftlichen Kältestroms

Politik erweckte den Eindruck , mit der Inklusion breche nun eine neue Epoche der Gültigkeit von Menschenrechten, der Demokratie und sozialer Geborgenheit an. Lehrer/innen, Eltern und Schulverwaltungen versinken derweil im Streit um Stunden, erleben Vermessungsmarathons und Überforderungen. Schulberater und Schulpsychologen wurden eingesetzt, um Förderbedarfe zu messen, damit es gerecht zugehen möge. Dass ein solidarisch(er)es Zusammenleben mit Haltungen, Kritik und Selbstkritik, mit Reflexion der Rahmenbedingungen unserer sozialen Existenz zusammenhängt, spielt in der neoliberalen Inklusionspraxis keine Rolle. Die so genannte Inklusion ist durch und durch ein Instrument der fortschreitenden sozialen Kälte.

Das legt das ausgezeichnete Buch von Uwe Becker dar. Er fragt nach, wie es sein kann, dass Inklusion so unberührt vom allgemein gesellschaftlichen Leben mit all seinen exkludierenden Geschehnissen sein kann.

»Die Debatte um Inklusion ist politisch sehr willkommen, denn sie bietet der Politik die Möglichkeit, bestehende Ausgrenzungsdynamiken gesellschaftlicher Realität auszublenden«.

Was in der Gesellschaft und in Schule inzwischen weitgehend ungelegen und störend geworden ist, ruft Becker in seinem Verständnis der Inklusion in Erinnerung: es geht um den  Zusammenschluss von Vielfalt und nicht um den Einschluss in Bestehendes. Bedingungen dafür herzustellen, hieße aber gerade Freiräume zu schaffen, »nach eigener Maßgabe ohne Zugriff eines normierenden Fremdzwangs«.

Hilfreich an dem Buch ist unter anderem, dass Uwe Becker den Finger in die Wunden der Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften legt. Sie allein schon machen auch dem Laien deutlich: Betroffene, Träger, Personal sollen ja keine Ansprüche stellen. Das mit viel heißer Luft auf die Fahrt gebrachte Schiffchen „Inklusion“, zerschellt an den Felsen der Funktionslogik unseres Wirtschaftssystems. Schuldenbremse, so genannte Sparpolitik, Arbeitsmarkt.

Das ist ein Vorzug des Buches: Der Autor streift durch die ganze Gesellschaft und tischt uns die Exklusionen des Inklusionszeitalters auf.

Dieses Buch wirft, wenn man es gelesen hat, Fragen auf: Warum spielen diese Themen bei so wenigen Lehrer/inne/n, bei Leuten, die in der Schulberatung tätig sind, kaum eine Rolle? GEW und Berufsverbände könnten sich an ihnen entlang arbeiten und schließlich dem Normierungszwang etwas entgegensetzen. Stimmt. Das könnte eine Politisierung nach ziehen. Wer will das schon? Keine Zeit? Übrigens: Die Programme für Aufrüstung und Rüstungsexporte laufen wie geschmiert! Geht doch.

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