Mit dem Transhumanismus das widerspenstige Subjekt überwinden?

Kaum jemand möchte glauben, dass Psychologie und Pädagogik zu einer Maschinerie der Enthumanisierung werden könnten. Eher sind sie doch für viele Menschen geradezu Kern von Humanität und Schlüssel zu einer besseren Welt. Auf der Agenda der Weltverbesserung standen Schule und Erziehung immer weit oben, wie zum Beispiel Heinz-Elmar Tenorth beschreibt (1). Bei allen Unterschieden in den Ansätzen von Therapie und Beratung ist die Idee einer humanistischen Psychologie ein gemeinsamer Nenner vieler Psychologinnen und Psychologen.

Andererseits: Die Tendenzen und Trends zu einer »totalen Institution« (Goffman, kurze Erläuterung hier), einer vollständigen Vereinnahmung des Individuums durch Institutionen, bis hin zur „meta-Institution“ einer formierten Gesellschaft, die mit Hilfe einer von allen geteilten und durchgesetzten Ideologie Individualität und Spontaneität auslöscht. (Wir wollen freiwillig, was wir wollen sollen).

Julia Weiss befasst sich mit mit der Zukunft der Seele.

Es wäre blauäugig, zu übersehen, dass Psychologie immer für das Zusammenspiel mit der Macht offen und Fantasien der Steuerung nicht abgeneigt war. Auch wer innerhalb von Beratungsorganisationen für menschenfördernde Einrichtungen kritisch und personenorientiert eintritt, kann zum Multiplikator des Herrschafts- und Machtdenkens werden.

Die Professionellen im Schulsystem haben den Anspruch, unabhängig zu sein, aber sie sind natürlich immer auch Vertreter’innen des Schulsystems. Humanistisch zu handeln, die menschliche Entwicklung zu fördern, ist vermutlich ein starkes Motiv der Berufswahl. Und ein Impuls gegen Tendenzen von Fremdbestimmung, Beschränkung von Urteilsfähigkeit in Zeiten von Orientierungsverlust und Konsumismus. Gleichwohl – so scheint es mir – findet unter den Professionellen eine kontinuierliche Debatte über die Lage und die Bedingungen für Selbstbestimmung (um nur diesen Aspekt zu nennen) im öffentlichen Raum nicht statt.

Zumindest ist von einer Debatte um anti-humane und anti-humanistische Entwicklungen in der Psychologie und im Beratungssektor kaum etwas zu spüren. Dabei taucht an mehreren Ecken und Enden das „Konzept“ des Transhumanismus auf. Ich zitiere hier aus einem Artikel eine Passage:

Schüler wie der Lernverweigerer Winston Churchill oder Alexander von Humboldt, der als Kind ebenfalls eine geringe Auffassungsgabe gezeigt haben soll, würden von den Gehirnprogrammierern des WEF zu unauffälligen, gut angepassten Schülern gemacht (wenn wir mal annehmen, dass die Neurotechnik tatsächlich funktioniert). Es würde einem solchen Überwachungssystem der vom „richtigen“ Lernverhalten abweichende Schüler oder Student zwangsläufig für falsch befunden werden und das Lehr- und Lernsystem für richtig.

Natürlich muss es nicht so kommen. Andererseits ist aber nicht zu übersehen, dass die Neigung zur Beeinflussung, Kontrolle und Machtausübung, die es immer gab, mit den Mitteln der Digitalisierung und der Neurotechnologie sich um ein um ein Vielfaches leichter ausleben lässt – nicht zuletzt deshalb, weil sie im Gewand der Entlastung und Effizienzsteigerung daherkommen kann – und auf die physische Vernichtung von Menschen nicht angewiesen ist. Ging es nicht schon immer um reibungsloses Handeln in Unternehmen und Verwaltungen? Und war es nicht schon immer ein großes – auch demokratisches Problem – darüber zu befinden, was denn ein guter Zweck eines „reibungslosen Ablaufs“ sein könnte?

Was im Zeitalter der industriellen Menschenverbesserung mit Eugenik durch Züchtung, Auslese, Ausmerze bis hin zur Vernichtung mindestens sehr aufwendig und in letzter Konsequenz todbringend war, könnte sich schon bald als mit Leichtigkeit machbar erweisen. Beziehungs- und Gefühlskontrolle, Verhaltenssteuerung über die Vergabe/Nichtvergabe von Belohnungen, wie Teilnahme- und Zugangsmöglichkeiten sind mit Neurotechnologie und Digitalisierung nicht in weiter Ferne. Würden Psychologinnen und Psychologen dafür arbeiten, dass Menschen nach Erreichung dieser Ziele streben? Der Transhumanismus arbeitet nicht zuletzt mit einem Glücksversprechen, für das wir wohl alle anfällig sein könnten.

(1) Heinz-Elmar Tenorth: Neu wird der Mensch! Der lange Marsch der Bildungsutopien, In Kursbuch 193, 301 Gramm Bildung, oder vom selbsen Autor: Geschichte der Erziehung, Juventa 2010.

Ein Gedanke zu „Mit dem Transhumanismus das widerspenstige Subjekt überwinden?“

  1. Buchempfehlung: „Ausgesetzt zur Existenz“; Franz Sternbald

    *

    Virtú oder virtuell?
    .. Während dem Meister seines Handwerks kaum das Zertifikat seiner Qualifikation gegönnt wird, würden ihm im digital vollautomatisierten Industriebetrieb allenfalls öde Maschinenüberwachungsfunktionen zufallen. Die Entfremdung des Menschen von seinem Werk erfolgt in exponentieller Geschwindigkeit, die jede gesellschaftspolitische Reaktion überfordern und zuletzt unmöglich machen wird. Abqualifiziert und sinnentleert kann „Arbeit 4.0“ unmöglich als ein würdiger Teil des menschlichen Daseins angenommen werden (darüber können auch nicht Weiterbildungsmaßnahmen in Programmiersprachen hinweg trösten). Die Forderung des Lebenslangen Lernens wird aus dem Munde der Digital-Lobby zum blanken Zynismus der entmenschsten Produktivität. Sofern Produktion nicht mehr durch Menschen für Menschen Wertschätzung erfahren kann, bedeutet digitalisierte Produktivität zuletzt eine zirkelhafte Selbstbezüglichkeit der Mittel, die sich die Zweckhaftigkeit angeeignet haben. Im Strudel der technoiden Beschleunigungsspirale verschwindet jeder kulturelle Form- und Gestaltwille in einem Strudelabfluß des veritablen Nichts. Wir fallen letztlich der Ideologie eines digitalen Nihilismus anheim.
    In seiner Betrachtung der Relevanz des hegelschen Materialismus im 21. Jhrd., konstatiert der slovenische Philosoph Slavoj Zizek die Virtualität künftiger Realitäten (virtuell erweiterte Realität =augmented virtual reality) als eine Steigerung der Potentialität. Das Potentielle sind die noch nicht verwirklichten Möglichkeiten aus einem bereits gegebenen Regelrahmen zur Verwirklichung (z.B. der Fall einer bestimmten Augenzahl beim Würfeln). Hingegen ist die Virtualität die potenzierte Möglichkeitsform aus dem Raum unvorgegebener, und daher unkalkulierbarer Möglichkeiten. Diese sind dann völlige Neuschöpfungen quasi aus dem Nichts (ex nihilo). Bei der Verwirklichung eines virtuellen Ereignisses im Rahmen einer digitally augmented reality, ergeben sich sozusagen künftig tatsächlich ‚unmögliche Möglichkeiten’. Zu propagieren, daß im entgrenzten Un-Möglichkeitsraum nur Wünschbarkeiten auf Verwirklichung lauern würden, entspricht der Ignoranz, beim Bungee-Sprung in den virtuellen Abgrund auf das Seil zur Rückbindung auf das Reale zu verzichten.

    In einem weiteren Schritt wäre als möglich denkbar, daß der künftige Verlauf der Geschichte, mit ihrem zufällig scheinenden, oft unbedeutenden Nebeneinander von Ereignissträngen, und den unvermittelt scheinenden Wendungen, auch vorgeschrieben werden kann. Nach der Vorlage einer Art Drehbuch, kann mit Hilfe der medialen Fokussierung (durch selbstreferentielle Rekursion) der Gang der Geschichte in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Das potentiell Mögliche wird in die Realität geholt, Dinge geschehen, weil sie zuvor entsprechend medial aufgeladen wurden; Taten können in dieser Weise provoziert werden, um sie medial verwerten zu können. Damit befinden wir uns in einer Matrix der scripted reality.
    Die Zwecke entsprechend einflußreicher Ebenen zielen jedoch nicht auf bloße Unterhaltung, diese ist nur eine der Kulissen hinter der die Zwecke verborgen gehalten werden. Die Überlagerung der Wirklichkeit mit den vorgeprägten Deutungsmustern der marktbestimmenden Konzerne, innerhalb des Rahmens der sogenannten erweiterten Realität (augmented reality), ereignet sich die Verschmelzung von Realität und Virtualität. Mit der Betrachtung der Umgebung durch die Brille der Objektverfügung und Käuflichkeit, schreitet die Bevormundung durch Werbekommentar und Betriebsanleitung für die Verwertung aller Lebensbereiche voran. Was bei entsprechenden Spielkonsolen verharmlost wird, und am Arbeitsplatz als nützlich begrüßt wird, schiebt sich zwischen den Akteur (Spieler, Bildschirm-Arbeiter) als Simulation einer parallelen Wirklichkeit, die eben im Begriff steht Dominanz zu erlangen.
    Wie so oft, werden die heraufkommenden Techniken zunächst in spielerischer Form in das gesellschaftliche Gefüge hineingetragen. Das Herabsetzen der skeptischen Schwelle geschieht unter den Aspekten der vergnüglichen Unterhaltung. Als Spielzeuge zur Erweiterung der Darstellungsmöglichkeiten künstlicher ‚Wirklichkeiten’, virtueller Realitäten erscheinen nunmehr Gerätschaften, die in einer Einheit gleichzeitig die visuelle und akustische Wahrnehmung komplett auf eine computergenerierte Umwelt einschließen, und durch den isolierenden Rundum-Abschluß von der Möglichkeit des Abgleiches mit der gegenwärtigen Wirklichkeit ausschließen. Mit den sogenannten VR-Brillen wird nun hiermit ein erster Anfang gemacht. Ob eine entsprechende Linsenoptik oder eine spezielle Bildschirmsteuerung die Illusion perfektionieren helfen, bewegt sich lediglich graduell auf der Achse der technisch Machbarkeit. Die Potentiale der erforderlichen Rechnerleistungen, und der komfortablen Ausstattung legen bereits heute inzwischen den Möglichkeiten der Virtualisierung der Weltwahrnehmung keinerlei Beschränkungen auf. Wie stets, wird sich auch hier die Doppelseitigkeit der ‚Lust’ an der Technik erweisen, denn jedem Vergnügen an der technischen Innovation stehen unweigerlich die Potentiale des Schreckens gegenüber. Schon die Begriffe der ‚Angstlust’, dem ‚Gruselspaß’ bringen den engen Bezug der Polaritäten zum Ausdruck.
    Ein aktuelles Problem bei der Darstellung virtueller Realität, stellt die Verwirrung des Gleichgewichtssinnes bei ungenügender Abstimmung der optisch dargestellten Perspektiven mit der körperlich wahrgenommenen Bewegung. Schwindel und Übelkeit, ein Achterbahneffekt, macht dem menschlichen Bewußtsein bis auf Weiteres im Umgang mit der VR-Technik zu schaffen. Aber es ist dabei nicht einmal ausgemacht, daß man nicht auch auf eine perfide Nutzbarmachung der biologischen Unzulänglichkeit des menschlichen Organismus verfällt. Die Nutzung der VR-Technik, in die Hände einer pyramidalen Exekutive gelegt, wird, eine solche Prognose sei hier einmal gewagt, nicht zögern, künftig eine neue Gattung der Folter zu realisieren. Eine solche würde den Nachweis von Spuren unmöglich machen, denn in seinem Wahnsinn bliebe jedes Opfer ein Gefangener seines eigenen unmitteilbaren Bewußtseins, gefangen im Käfig für seinen Verstand, dessen Stäbe er nicht erkennen kann. Womit der Mensch noch immer gespielt hat, damit wurde er, historisch gewiß, auch immer gequält.

    Es handelt sich hierbei quasi um eine infernalische Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo), also einer Schöpfung ohne Schöpfer, ein Sein ohne Grund.
    Die Auslöschung des Reellen durch das Virtuelle hinterläßt eine Leere des rein Potentiellen eines unendlichen Möglichkeitsraumes, der das Existenzielle durch die unendliche Null vollkommen ersetzt.

    *

    „ Ausgesetzt zur Existenz “ – warum der Mensch ein Schicksal ist
    – vom Ausgang aus der unverschuldeten Absurdität –
    Franz Sternbald
    Verlag BoD – D-Norderstedt

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