Dienstanweisung statt fachlicher Eigenverantwortlichkeit

Es ist seit Langem ein Problem: Beratung als Mittel der Kontrolle und Steuerung

ist das Mittel der „großen“ Institutionen, um ihren Funktionalitätsabsichten zu verwirklichen. Selbstbestimmung und emanzipatorische Absichten, eine Beratung vom Subjektstandpunkt aus, sind nicht ihr Interesse. Auch für die Professionellen verliert diese Frage an Bedeutung. Auch für sie fallen Interesse der Institution und der Klient’inn’en immer mehr zusammen, werden eins. Was die Institution an Gutem will, ist auch das Gute für die Klientin, ist die Botschaft. Ganz nebenbei bedeutet das eine Deprofessionalisierung und Entwertung der Fachlichkeit der Professionellen.

Fachfremde Schulleitungen weisen an

Jüngstes Beispiel ist wieder einmal Hamburg. Das Hamburger Abendblatt berichtete am 27.4.2018 berichtete das HA von einem »Konflikt um eine neue Dienstzeitregelung für pädagogisch-therapeutische Fachkräfte«. Danach weisen Schulleitungen 80 Prozent der Arbeitszeit an. Anders herum heißt das, dass nicht nach fachlichem Urteil der Kolleg’inn’en die Arbeit organisiert wird. Und die Schulleitungen, obwohl nicht vom Fach, in die Fachlichkeit hineinregieren.

Beratungsstrukturen zerbrechen

Das kann unter anderem heißen, dass etablierte Strukturen der Beratung zerbrechen und, beispielsweise, Sozialpädagog’inn’en für die Betreuung von Schulklassen eingesetzt werden, was schon in der Vergangenheit angesichts der angespannten Personallage nicht selten vorkam. Leider findet der Aspekt der behördlich vorangetriebenen Deprofessionalisierung und fachfremden Bestimmung durch Schulleitungen in einer Mitteilung der GEW keine Erwähnung. Die GEW stellt Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen in den Mittelpunkt. Sie unterschätzt vermutlich, dass sie mit dem Konzept der Arbeit durch Dienstanweisung, möglicherweise als Kompromiss für die Arbeitszeitregelungen gedacht, der Reputation der pädagogisch-therapeutischen Berufe schadet.

Einheitlichkeit als Maß der Dinge im Mangel – so geht gerecht (nicht)

Der Pressesprecher der Hamburger Schulbehörde gibt sich demgegenüber zufrieden. Er lobt die Einheitlichkeit für alle. Das ist die Hauptsache — nicht die Differenzierung und Individualisierung. In der Verwaltung des Mangels muss es gerecht, gleich unangemessen und mit reduzierter Fachlichkeit zugehen, könnte man auch sagen.

Pausengespräch

Wovon reden wir, wenn wir von Beratung reden?

Nicht ums Verstehen geht es, sondern ums Erfassen

Ich Berichte über meinen Zustand als Pensionär. »Die Kontakte reißen ab. Ich kann mir dabei zusehen, wie ich bedeutungslos werde. Erst viele Versprechungen (à la „ich melde mich“), eigene Versuche enden an der Mauer des Kalenders auf der anderen Seite. Mein Gesprächspartner erklärt das als üblich. Diese ‚Wir-Sehen-Uns‘-Bekundungen seien Freundlichkeiten, die dem schnellen Tagesgeschäft nicht standhielten. Es müsse ja gar nicht um rein Freundschaftliches gehen. Das fachliche Interesse ende doch nicht an Altersgrenze – oder doch? Er erzählt von Organisationen, die Traditionen von Treffen der Ex-Mitglieder abhalten. Interessanterweise allesamt nicht psychosozial.
Vielleicht eine vorschnelle Annahme: Warum nicht die psychosozialen Menschen? Ich: »Sie haben keine Idee von Fachlichkeit, sondern nur vom Helfen und Gutsein«, ist meine These. (Letztlich handelt es sich wohl um Charity, wie ich jetzt denke.) »Fachliche Bezüge existieren kaum und sind kein Band.«
Er spricht von einem Phänomen der Praxis: Hatten wir das nicht schon mal? Wie haben wir das damals gesehen und bearbeitet. Das werde aber kaum in Betracht gezogen. Die Alten winkten oft ab: Das kennen wir schon. So haben wir das immer gemacht. Die Jungen fühlen sich nicht ernst genommen. Und sie fühlten sich entwertet. Haben sie denn nichts Wichtiges gelernt? Es gibt schon einen professoralen Begriff dafür, der mir leider entfallen ist.
Die Verachtung des Historischen führt zu einer Entwertung menschlicher und fachlicher Erfahrung und Arbeit. Der Gedächtnisverlust ist gewollt und bequem. Er ist Ausdruck der Gefügigkeitserwartung staatlicher Steuerungs- und Kontrollinteressen. Sie werden auch vermittelt über „freie“ Träger weitergegeben. Das hohe Tempo und die Kontrolldichte sickern als vermeintlich unausweichbare Ereignisse in die Gehirne der Psychosozialen/Helfer ein: das Historische (wie haben wir das früher gesehen und gemacht, wie ist es „dazu“ gekommen?) und damit die Erkennbarkeit von Strukturen der Arbeit, die wiederum das Arbeitsergebnis beeinflussen, haben den Charakter von verzichtbarem Lusxus angenommen. Die Verachtung des Historischen und seine Tabuisierung sind bequem, weil sie den Alten die Anstrengung der Kritik und Aus-einander-setzung erspart. Die Jungen, die das zurecht empörend finden, verachten die Alten. Und werden scharf auf Reform. Die ein Staat oder eine Großorganisation gern verspricht. Natürlich im Sinn der Rationalisierung und intelligenten Steuerung, s. Schule, siehe Jugendhilfe.

Man müsse versuchen zu verstehen, was die Klienten bewege, in welchen Widersprüchen sie sich sähen, sagte der ambitionierte Berater. Nein, nein sagt der staatliche Finanzier, geschult in Steuerung und Verkennzifferung; Sie müssen ihn erfassen.

Ende der Pause

Des Kaisers neue Kleider

Schaut man sich an, wie die Inklusion umgesetzt wird, wie neue Beratungsorganisationen durch Rangeleien an Behördenschreibtischen gegründet werden, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Fachlichkeit spielt keine Rolle, sondern nur ein schwer nachvollziehbarer politischer Wille, wie aus gut unterrichteten Kreisen zu hören ist. Wer glaubt denn, dass so etwas aufgehen könnte?

»Aber die haben ja gar nichts an«, möchte man ausrufen, als sei man in Andersens Märchen. Der Schriftsteller Ingo Schulze zeigt in einer Rede auf, dass der Betrug geschickt inszeniert und allem Anschein nach weit verbreitet ist. Unterhaltsam und lesenswert.