Geschichte(n) und Professionalität in der Psychologie

Es lohnt sich, ab und an in das Journal für Psychologie zu schauen

Leider habe ich das in den letzten Monaten nicht beherzigt. Deshalb ist mir ein wichtiges Themenheft entgangen: PsychologInnen prekär. Der Entwicklung des Faches in den letzten Jahrzehnten geht Heiner Keupp nach. Das erschöpfte Selbst der Psychologie lautet sein Aufsatz. Anregend für die berufliche Orientierung von jung und alt und für Berufsverbände, finde ich. Wie und wofür wollen wir arbeiten? Ein Beitrag zum Professionalitätsverständnis − unter vielerlei Gesichtspunkten lässt sich der Text lesen.

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Ebenfalls übersehen (von mir) und vielversprechend

das Themenheft Reflexivität der Beratung

Neues Buch, die alte Anstrengung

Zu meinem neuen Buch

Printversion,   als epub

Wer sich mit meinen Themen der letzten Jahre ein wenig auskennt, wird nicht überrascht sein: Es geht um das bedrohte Subjekt und seine Unterwerfung unter die Steuerungsansprüche aus Staat und Ökonomie. Beratung ist daran eifrig beteiligt. Um genauer zu sein: Auch hier gibt es Subjekte, zum Beispiel die Beraterinnen und Berater, die den Schwenk mitvollziehen. Ein Grund dürfte sein: Es gibt keine eigene fachliche Identität, die ein Bewusstsein des eigenen Faches in ihrer Umwelt hat. So verschmilzt die Fachlogik mit der bürokratischen und politischen Logik. Kurz befasse ich mich auch damit, wie es sich mit der schulpsychologischen Identität in einem Umfeld verhält, in dem auch andere Berufsgruppen beratend tätig sind. Löscht Beratung Identitäten aus …, oder gibt es andere Wege?

Besonders intensiv habe ich mich im zweiten Teil des Buchs mit der „Schülerkontrolle“ – ja das ist die echte Bezeichnung, sie gab es (ich erwähne das, weil manche Leute mich ungläubig anschauen) – befasst. In deren Rahmen und Tradition ist die Hamburger Schulberatung groß geworden – und hat sie meiner Meinung nach nicht überwinden können. Auch davon ausgehend stelle ich einige Überlegungen an, wie sich Beratung unterschiedlich entwickelte. Dabei geht es mir nicht darum, eine Entwicklung als gelungen zu identifizieren und sie zu übertragen. Eher geht es mir darum zu zeigen, dass nichts in der Geschichte der Beratung selbstverständlich ist und schon gar nicht „humanistisch“. Wir Berater/innen sollten sie kennen und die Gründe für die Ansprüche, die an sie gestellt werden. Sie sind nicht immer gut, weder die Ansprüche noch die Gründe.

 

Pausengespräch

Wovon reden wir, wenn wir von Beratung reden?

Nicht ums Verstehen geht es, sondern ums Erfassen

Ich Berichte über meinen Zustand als Pensionär. »Die Kontakte reißen ab. Ich kann mir dabei zusehen, wie ich bedeutungslos werde. Erst viele Versprechungen (à la „ich melde mich“), eigene Versuche enden an der Mauer des Kalenders auf der anderen Seite. Mein Gesprächspartner erklärt das als üblich. Diese ‚Wir-Sehen-Uns‘-Bekundungen seien Freundlichkeiten, die dem schnellen Tagesgeschäft nicht standhielten. Es müsse ja gar nicht um rein Freundschaftliches gehen. Das fachliche Interesse ende doch nicht an Altersgrenze – oder doch? Er erzählt von Organisationen, die Traditionen von Treffen der Ex-Mitglieder abhalten. Interessanterweise allesamt nicht psychosozial.
Vielleicht eine vorschnelle Annahme: Warum nicht die psychosozialen Menschen? Ich: »Sie haben keine Idee von Fachlichkeit, sondern nur vom Helfen und Gutsein«, ist meine These. (Letztlich handelt es sich wohl um Charity, wie ich jetzt denke.) »Fachliche Bezüge existieren kaum und sind kein Band.«
Er spricht von einem Phänomen der Praxis: Hatten wir das nicht schon mal? Wie haben wir das damals gesehen und bearbeitet. Das werde aber kaum in Betracht gezogen. Die Alten winkten oft ab: Das kennen wir schon. So haben wir das immer gemacht. Die Jungen fühlen sich nicht ernst genommen. Und sie fühlten sich entwertet. Haben sie denn nichts Wichtiges gelernt? Es gibt schon einen professoralen Begriff dafür, der mir leider entfallen ist.
Die Verachtung des Historischen führt zu einer Entwertung menschlicher und fachlicher Erfahrung und Arbeit. Der Gedächtnisverlust ist gewollt und bequem. Er ist Ausdruck der Gefügigkeitserwartung staatlicher Steuerungs- und Kontrollinteressen. Sie werden auch vermittelt über „freie“ Träger weitergegeben. Das hohe Tempo und die Kontrolldichte sickern als vermeintlich unausweichbare Ereignisse in die Gehirne der Psychosozialen/Helfer ein: das Historische (wie haben wir das früher gesehen und gemacht, wie ist es „dazu“ gekommen?) und damit die Erkennbarkeit von Strukturen der Arbeit, die wiederum das Arbeitsergebnis beeinflussen, haben den Charakter von verzichtbarem Lusxus angenommen. Die Verachtung des Historischen und seine Tabuisierung sind bequem, weil sie den Alten die Anstrengung der Kritik und Aus-einander-setzung erspart. Die Jungen, die das zurecht empörend finden, verachten die Alten. Und werden scharf auf Reform. Die ein Staat oder eine Großorganisation gern verspricht. Natürlich im Sinn der Rationalisierung und intelligenten Steuerung, s. Schule, siehe Jugendhilfe.

Man müsse versuchen zu verstehen, was die Klienten bewege, in welchen Widersprüchen sie sich sähen, sagte der ambitionierte Berater. Nein, nein sagt der staatliche Finanzier, geschult in Steuerung und Verkennzifferung; Sie müssen ihn erfassen.

Ende der Pause