Die sonderpädagogische Formierung von Inklusion und Beratung

Worüber wir reden, wenn wir von Inklusion und Beratung reden

Ohne die Gründungsgeschichte der Sonderpädagogik und ihr Verhältnis zur allgemeinen Pädagogik sind die gegenwärtige Ausgestaltung der Inklusion und die Perspektiven von Beratung kaum zu verstehen

Ein Blick in die Geschichte ist lehrreich. Was waren die Entstehungsbedingungen für das, was wir heute vorfinden? Manchmal erscheint das Vorgefundene so selbstverständlich und in Stein geschlagen, dass man es sich kaum anders vorstellen kann. Man mag an den tatsächlichen oder vermeintlichen Unsinnigkeiten gegenwärtiger Regelungen und Gewohnheiten verzweifeln. Oder im Unbehagen steckenbleiben. Genaueres Hinschauen kann nicht selten zeigen, dass gegenwärtige Blockaden, Stillstände oder Einseitigkeiten ihre Ursprünge in eingefrorenen Dynamiken der Vergangenheit haben. Sie zu kennen ist noch nicht die Lösung, aber ihre Kenntnis und ihr Verstehen ist Voraussetzung für eine Lösung, für die Auflösung von Erstarrungen. (Da ist schon wieder mal ein Geheimnis der Psychologie entschlüsselt.)

So könnte es mit der Ausgestaltung der Inklusion und der Organisierung von Beratung und schulpsychologischer Beratung gehen. Das gilt für alle Bundesländer. Aber möglicherweise ganz besonders für Hamburg, weil hier von Politik und Behörde geradezu beschwörend immer wieder die Bindung von Beratung und Inklusion aufgerufen wird und gleichzeitig die Sonderpädagogisierung von Beratung und Inklusion stattfindet. Nicht zuletzt an solcher Stelle dürfte sich bemerkbar machen, was Dagmar Hänsel als „Glaubenssatz der Sonderpädagogik, dass die Förderung aller Kinder in ihrer Verschiedenheit zwingend sonderpädagogische Kompetenz erfordert, die wiederum an die sonderpädagogische Ausbildung gebunden wird(.)“ beschreibt.

Man konnte sich ja schon länger fragen, warum die Umsetzung der Inklusion in Deutschland stark mit der Sonderpädagogik verbunden ist, wo doch die Sonderpädagogik nicht unwesentlich für die Sonderschulsystematik stand und steht. Eine andere Herangehensweise ist vorstellbar, aber gleichwohl nicht nahe genug an der Schwelle zur Umsetzbarkeit: Wo es um Persönlichkeit, Einstellungsänderungen, Reflexion, Teamentwicklung etc. geht, könnte man sich durchaus vorstellen, dass Schulpsycholog/inn/en und in prozessorientierter Beratung ausgebildete Experten eine Rolle spielen. So ist es aber nicht gekommen – gerade nicht in Hamburg, wie auf dieser Website schon häufiger nachzulesen war. (Was nicht ausschließt, dass es in Hamburg immer auch Bemühungen gab und gibt, diesen Weg offen zu halten.)

Wenn Inklusion inhaltlich, aufsichtlich, politisch, strukturell sonderpädagogisch geprägt ist, hat das eine Vorgeschichte. Dies zeigt deutlich ein Interview, das Brigitte Schumann bei Bildungsklick mit Dagmar Hänsel führte.

Dagmar Hänsel ist ehemalige Professorin für Schulpädagogik mit den Arbeitsschwerpunkten Grundschule, Theorie und Geschichte der Sonderpädagogik und Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern. Weiterlesen „Die sonderpädagogische Formierung von Inklusion und Beratung“

RTI – Inklusionsmotor oder „old school“ der Sonderpädagogik?

Seit letztem Jahr drängt das so genannte RTI (Response to intervention) – Konzept an die Fachöffentlichkeit. Professor Christian Huber stellte es beim Landesverband Schulpsychologie NRW vor. Einige Monate später hatte es beim Bundeskongress der Sektion Schulpsychologie in Münster einen prominenten Platz. Und nun berichtet Brigitte Schumann, Bildungsjournalistin und frühere Grünen-Abgeordnete im NRW-Landtag, von einer Vorstellung des Konzepts bei der Grünen-Landtagsfraktion in NRW.

Nimmt man den Inhalt, wie er in der Zeitschrift für Heilpädagogik, 8/2012 dargestellt wurde, handelt es sich um einen sonderpädagogischen Ansatz, der die Inklusion lernschwacher Kinder beflügeln soll. Warum er unter Schulpsychologen so breit vorgestellt wurde – und wie Schulpsychologen über ihn denken –  ist mir nicht klar. 

Brigitte Schumann kritisiert den RTI-Ansatz – und sie stützt sich dabei auf weitere Experten – als Teil der „old school“ der Sonderpädagogik: defizitorientiert, fern davon die Eigenart und Persönlichkeit in Rechnung zu stellen. Das könnte Schulpsychologen aufhorchen und sie fragen lassen, wie sie ihre Rolle im RTI-Konzept sehen, sollte es denn tatsächlich eine zentrale Orientierung für die Schule sein/werden. Eine Frage könnte  sein: Wo bleibt bei allem Messen und flächendeckenden Kontrollieren/Beobachten die „gute Pädagogik“ und das Subjekt?