Zum vorangehenden Beitrag hier Originalveröffentlichungen von Lobbycontrol und Foodwatch
Kategorie: Bildungsverständnis
Wachsen die Chancen für eine Pädagogik und für eine Politik der Bildungsgerechtigkeit?
Es ist erstaunlich: In konservativen Zeitungen sind häufiger zweifelnde Stimmen zu hören. Blätter, die unentwegt der angeblichen Modernisierung der Schule das Wort redeten, indem sie gemeinsam mit herrschender Politik und Wirtschaftsverbänden »Leistung« verlangten, »Wettbewerbsfähigkeit« anmahnten, angebliche »Kuschelpädagogik« verurteilten, Standards und Kontrolle verlangten und der Illusion anhingen, Lernerfolg, Lebens- und Geschäftstüchtigkeit ließen sich messen, lassen nun sanfte Töne anklingen.
Plötzlich liest man in einem Leitartikel des Abendblatts vom 28.1.2013, dass mit den Bachelor- und Masterstudiengängen ein umfassendes Bildungsideal zerstört werde. Und es wird die Frage gestellt: »Was hat die Gesellschaft eigentlich davon, wenn Kinder erst zielorientiert durch die Schulzeit hetzen, um dann ebenso sehr auf das Ergebnis bedacht, in kürzeren, verschulten Studiengängen die Hochschulen zu durchlaufen und mit 22 Jahren als fertige Akademiker auf den Arbeitsmarkt zu drängen – auf diesem Weg aber kaum Lebenserfahrung sammeln und ihre Persönlichkeit ausbilden konnten? Wie verändert es unsere Gesellschaft? Und wollen wir das?« Weiterlesen „Wachsen die Chancen für eine Pädagogik und für eine Politik der Bildungsgerechtigkeit?“
Bildungsreform und Propaganda
Da ist Jochen Krautz mit „Bildungsreform und Propaganda“ mal wieder ein feiner Aufsatz gelungen, erschienen im Forum kritische Pädagogik. Er ist geeignet, die Dinge der Pädagogik und Bildungspolitik im besten Sinne aufzuklären. Wer die sogenannte Reformpolitik der letzten 15 Jahre verstehen will, weshalb sich nichts bessert und doch alles immer so weiter geht, sollte sich die Mühe machen und die 40 Seiten lesen. Die grundlegende These ist: Der Ökonomismus ist das Programm unterschiedlichster Organisationen, wie der OECD, der Bertelsmann-Stiftung und anderer. Gezielt folgen sie einem Programm des ökonomischen Imperialismus, mal soft, mal hart. Oder anders ausgedrückt: Sie folgen einem Programm der Entdemokratisierung.
Gerade weil der Theorie der »Chicago School of Economics« keine Wirklichkeit entspricht,
dies nicht einmal beansprucht wird, kann sie nur mit kontrafaktischen Behauptungen
und durch Inszenierung in politische und ökonomische Wirklichkeit
überführt werden. (Vgl. Brodbeck 2010) Die Realität neoliberaler Theorie muss erst
hergestellt werden und sei es — wie Naomi Klein gezeigt hat — mit brutaler Gewalt.
(Vgl. Klein 2007) Gerade »die Theorie DES MARKTES ist nicht nur eine Theorie (angesiedelt im Diskursraum der Wissenschaft), sondern auch ein Propaganda-Ansatz,der die gesamte Kultur umkrempeln will.« (Ötsch 2009, S. 15)Dabei knüpft die öffentliche Kommunikation der PISA-Ergebnisse gezielt an den Interessen
und Vorstellungen unterschiedlicher Gruppen an, die ihrerseits auf die neu
geschaffene Realität zugreifen, um eigene Interessen zu stützen. Ob pro oder contra
Gesamtschule, für oder gegen Sitzenbleiben, für individuelle Förderung oder
Klassenunterricht: Für und gegen alles Mögliche wurde und wird mit PISA argumentiert.
Dabei wird meist übersehen, welches reduktionistische Menschenbild man mit
der Bezugnahme auf PISA zugleich etablieren hilft, denn dieses hat jeder bereits akzeptiert,
der auch kontrovers über PISA diskutiert. (Vgl. Pongratz 2009, S. 114) Das
in Verfassungen und Richtlinien verankerte Verständnis vom Menschen als selbstbestimmter,
vernünftiger und dem Gemeinwohl verpflichteter Person wird so immer
weiter verdrängt.
Der Autor geht auch der Frage nach, welchen Sinn eine Absenkung des Bildungsniveaus haben könnte. Und weshalb mehr und mehr Widersprüche aufbrechen, die Ansätze für demokratisches Handeln liefern. Selber lesen macht schlau.
Kompetenzorientierung und Individualisierung – Strategien der Macht?
Sind Kompetenzorientierung und Individualisierung nicht gut und wünschenswert? Sie sind es nicht von vornherein und umstandslos schreibt Andreas Hellgermann. Wird nicht nach ihren Inhalten und Zielen gefragt, erfüllen sie viele Merkmale der Herrschaftsausübung und Fremdbestimmung.
Nicht umsonst, so stellt Ehrenberg fest, ist die Depression das paradigmatische Krankheitsbild der Postmoderne. Wir müssen uns fragen, inwiefern wir in der Schule maßgeblich dazu beitragen, dieses »erschöpfte Selbst« bzw. den Menschentypus, der irgendwann einmal erschöpft sein wird, zu produzieren.
Machtwirkung und Glücksversprechen
Die Einladung zum Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie leistet eine zugespitzte Bechreibung der Widersprüche im Bidlungssystem und sie macht neugierig auf den Kongress vom 7.3. bis 10.3.2013 in Berlin.
„Wir sind Zeugen und Mitwirkende einer Transformation von Bildung und Erziehung, die historisch wohl ohne Beispiel ist und die Spanne vom Säugling bis zur lebenslangen Qualitätssicherung und Zertifizierung „erfasst“ und „nutzt“.“
„Die bedrängte Mittelschicht muss sowohl um die eigene als auch die Karriere ihrer Sprösslinge fürchten und macht deswegen tüchtig mit bei der Konkurrenz. In der trügerischen Hoffnung, den eigenen Sprösslingen bessere Startvorteile zu verschaffen machen die Eltern sich zu Botschaftern der Bildungsoffensive in der eigenen Familie.“
Eine kleine Übersicht zu Ergebnissen der Bildungsforschung
Die Frankfurter Rundschau berichet einigermaßen regelmäßig
über Ergebnisse der Schul- und Bildungsforschung
zum Beispiel fasst Peter Struck Ergebnisse zusammen
Kompetenzorientierung: Methoden statt Bedeutung und Inhalt
Auf http://www.bildung-wissen.eu ist ein weiterer Artikel mit Kritik zur Kompetenzorientierung erschienen.
Lehren als Lernbehinderung
Ein Vortrag von Klaus Holzkamp aus dem Jahre 1991: Lehren als Lernbehinderung?
Es geht unter anderem darum zu klären, in welchem Verhältnis Lehren und Lernen stehen. Wer ist Subjekt in diesem Prozess und wie? Man könnte nach zwanzig Jahren meinen, die Schule sei weiter. Weiter darin, dem Schüler mehr Verantwortung zuzugestehen. Rhetorisch ist die Schule heute zweifellos weiter. Aber geht es nicht immer noch darum, die Individuen dazu zu bringen, das freiwillig zu tun, was sie tun sollen? Und auch der Kritik an der modernen Kompetenzorientierung ist zu entnehmen, dass Schüler nach wie vor »defensiv« lernen und dass das moderne Lernen unter den Bedingungen intensivierter Rationalisierung und Steuerung durchaus nicht emanzipatorisch geworden ist.
Zukunft der Bildung
Bildung – gibt’s die noch?
Zumindest gibt es noch einige Wissenschaftler und Praktiker, die an ihren Wert erinnern, Definitionen unternehmen und sie von Ausbildung abgrenzen. Schule bewegt sich mehr und mehr in Richtung Ausbildung. Funktionalisierung statt Sinngebung ist die Folge, ebenso wie der Verlust von Persönlichkeit(sbildung) und Eigensinn. Stattdessen Orientierung an Standards und am Lernen für den Test. »Zehn Thesen zur Debatte um kompetenzorientierte Bildungsstandards« liefern Diskussionsstoff.
Wenn Bildung mit Werteerziehung zu tun hat(te) und mit einem Gewinn an Autonomie der Person, mit emanzipatorischen Potenzialen der Schule, so sind die heutigen Zustände eine Verkümmerung. Nicht zuletzt daraus entstehen Probleme, die allseits beklagt werden und mit wachsender Kontrolle gelöst werden sollen. Der Kongress »Irrwege der Unterrichtsreform« war ein Plädoyer für die Inhalte, für Wissen und eine Gegenrede gegen Häppchenpädagogik, Modularisierung und Methodenfetischisierung.
»Die Persönlichkeit des Lehrers soll herausgehalten werden«hieß es in einem Beitrag. Eine Bemerkung, die psychologische Berater hellhörig machen sollte — nicht zuletzt deshalb, weil es notwendig sein könnte, die eigene Ethik in der modernen Schule zu hinterfragen. Welche Zusammenschlüsse brauchen die professionellen Berater des Schulsystems, um ihre Ansprüche zu retten und – welche sind das?