Die sozialpsychologischen Themen der politischen Coronakrise treten hervor

Eine Politik der maßlosen Steuerung und Repression

kommt an ihre Grenzen, vielleicht an ihr Ende. Was nicht heißt, dass die Politiker und Medienleute bereit wären zur Aufarbeitung, vielleicht sogar für dieses oder jenes – und seien es „nur“ die gezielten und absichtsvollen Verunglimpfungen und Beschimpfungen von Menschen, die nicht im Gleichschritt mitlaufen wollten – um Entschuldigung zu bitten.

Es ist auch uns zu erforschen und zu verstehen, was da in den vergangenen Jahren passiert ist und welche Rolle das für die zukünftige Gestaltung der Gesellschaft bedeuten kann. Michael Ley leistet mit einem Aufsatz dazu einen anregenden Beitrag:

Das Corona-Regime ist auch deshalb auf so breiter Basis akzeptiert worden, weil es dieser depressiven Grundstimmung einen allgemeinen Ausdruck verleihen konnte. Bleiben Sie zu Hause, so hieß das Motto, das die Bundesregierung angesichts einer angeblich bevorstehenden Katastrophe ausgegeben hatte. Das ist aber auch das Motto, dem sich die Depression verschreibt, wenn sie den Rückzug in vertraute und bekannte Welten der Lust am Ausprobieren und am Entdecken einer reichhaltigen Wirklichkeit vorzieht.

Der Austausch mit den Menschen fehlt

Eines seiner Ergebnisse: Die Menschen wollen nicht mehr und können nicht mehr. Die Stimmung der Niedergeschlagenheit rühre daher, »dass der Austausch mit den Menschen fehlt.«

Psychische Folgen II

Wer sich weiter mit den Folgen der Corona-Politik auseinandersetzen möchte, findet hier vermutlich „Futter“. Es handelt sich zum Einen um einen Beitrag von Ulrich Teusch, auf den ich schon gestern hingewiesen habe. Er verdient es aber, separat erwähnt zu werden. Unter anderem geht es darum, ob und unter welchen Gesichtspunkten es „erlaubt“ ist, heutige Entwicklungen mit früheren zu vergleichen. Vielleicht sollten wir genauer hinschauen, was Protagonisten gemeint haben könnten und ihnen nicht sofort moralisch kommen?

Ich glaube, das darf man nicht. Ich vermute vielmehr, dass Jana etwas ganz anderes im Sinn hatte. Sie wollte zum Ausdruck bringen, dass sie nunmehr – nach mehrmonatigen Erfahrungen mit einem repressiven Maßnahmenstaat – besser nachempfinden könne, wie es damals Sophie Scholl zumute gewesen sein muss. Jana glaubte jetzt zu verstehen, wie es sich „anfühlt“, unter permanentem Druck, in Unsicherheit und Angst zu leben.

Zum anderen geht es um einen Beitrag von Roland Rottenfußer:

Wir müssen verstehen, warum wir leiden, und dass in aller Regel nicht wir selbst dafür verantwortlich sind. Wenn wir das diffuse Unbehagen, das uns in diesen Tagen ergreift, aufschlüsseln und besser zu verstehen lernen, finden wir auch Wege, damit es uns besser geht.

»Warum wir den Mut brauchen, psychische Erkrankungen wieder in ihrem gesellschaftlichen Gesamtkontext zu sehen.«

heißt es im Artikel, auf den hier verlinkt wird.

Erfreulich, dass ein Artikel, der sich gegen die Gesellschaftsblindheit der Psychologie und Psychiatrie wendet, an prominenter Stelle, wie Spektrum, erscheinen kann.

Um so bedauerlicher, dass ein Denken dieser Art in deutschen Studiengängen, geschweige denn in Schulbehörden nur schwer zu finden ist.

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Unter den fünf, für das Ausstellen einer Depression erforderlichen Symptomen, muss gemäß DSM-5 zwingend eins der beiden Hauptsymptome auftauchen: Depressive Stimmung oder Verlust von Interesse und Freude.[1] Ist dies nicht der Fall, so ist es der Definition nach auch keine Depression. Für die Diagnose ist dabei die Ursache der Symptome unerheblich, es kommt lediglich auf ihre Präsenz oder Abwesenheit an. Dies macht es auch nebensächlich, ob die Symptome inmitten einer schweren Lebenskrise auftreten oder ohne äußeren, erkennbaren Grund. In beiden Fällen gilt die Person als depressiv erkrankt, diagnostiziert mit einer psychischen Störung.

An markanten Beispielen, wie der Deutung psychischer Erkrankungen von Frauen, zeigt die Autorin, wie zeit- und gesellschaftsgebunden psychologische Diagnostik sein kann:

Aus heutiger Sicht auf damalige Verhältnisse ist wohl allen klar, dass die Umstände an den Pranger gestellt werden müssen, nicht die Frauen selbst. Es wäre fatal, wenn jene Hausfrauen sich still und leise mit der Krankheit Depression identifiziert hätten, anstatt für bessere Lebensbedingungen auf die Straße zu gehen.

Lesenswert.

»Das erschöpfte Selbst der Psychologie«

Psycholog’inn’en in der Ohnmachtsfalle?

Kürzlich war in Hamburg eine Vorlesung von Heiner Keupp zu hören. Das erschöpfte Selbst der Psychologie. Für die Überwindung ihrer Gesellschaftsblindheit«, war sein Thema. Ich war verblüfft, als ich eine Woche zuvor eine Einladung erhielt. Wie aus der Zeit gefallen wirkte es, von so einer Veranstaltung an einer Uni zu hören. (Hier ein ähnlicher Text von Heiner Keupp, hinzugefügt am 29.1.2018)

Heiner Keupp berichtete über die Entwicklung der Psychologie in den letzten 30, 40 Jahren. Über den Aufbau einer Gemeindepsychiatrie in Hamburg, den er mitbetrieb, über ähnliche Initiativen in anderen Städten, zum Beispiel München, wo Heiner Keupp lange Jahre als Professor arbeitete. Er blickte auf ein Werk zurück, das Spuren hinterlassen habe. Tatsächlich gibt es die Irrenhäuser von „damals“ nicht mehr; stattdessen gibt es ein komplexes System gemeindenaher sozialpsychiatrischer Hilfen.  (Hier seine Standpunkte zur Entwicklung der Sozialpsychiatrie)

Seine Bemühungen und die vieler Gleichgesinnter galten einer Humanisierung der „Welt“. Sie wollten Beiträge zu mehr Selbstbestimmung der Menschen leisten. Diese brachten in der Patientenbewegung ihre eigenen Vorstellungen und Bedürfnisse ein, nicht selten zur Irritation der Professionellen.

Aber irgendwann riss der Faden des emanzipatorisch gemeinten Projekts

Weiterlesen „»Das erschöpfte Selbst der Psychologie«“

Wütest du schon oder brütest du noch?

Über den Zusammenhang von Depression und Aggression und über die Dynamik des Verschweigens

Wieder einmal beschreibt Götz Eisenberg in einem Aufsatz, der den Zusammenhang von Subjekt und Gesellschaft am Beispiel von Katastrophe und Amok plausibel aufzeigt, dass es absolute Sicherheit nicht gibt. Und dass die Sicherheit, die wir haben können, wesentlich durch soziale Sicherheit und Bindung zu schaffen ist und nicht durch technische und bürokratische Kontrolle. Nicht zuletzt ist es eine Frage der Schule, welchen Zielen sie sich verpflichtet. Leistungsdruck, Erfolgszwang und Wettbewerbsorientierung tragen perspektivisch die Verachtung desjenigen in sich, der versagt. So gut es geht, mag er oder sie sich an den leuchtenden Zielen ausrichten. Was aber, wenn es nicht gut geht? Leicht können wir es dann mit mehr oder weniger versteckten Formen der Depression oder Aggression zu tun bekommen.

Diese Gesellschaft setzt nach Katastrophen, wie der gerade erlebten, auf den Ausbau technisch-instrumenteller Sicherheit, auf Überwachungs- und Kontrolltechniken, an denen gewisse Industrien gut verdienen. Dabei böte allein soziale Sicherheit langfristig erheblich mehr Schutz. Soziale Sicherheit ist ein dynamischer Faktor, der im Wesentlichen durch das in einer Gesellschaft herrschende Klima bestimmt wird, das zwischenmenschliche Akzeptanz und Vertrauen erzeugt oder eben eher unterbindet. Der vom Wettbewerbswahn entfesselte Sozialdarwinismus erzeugt eher ein Klima des Misstrauen und der gegenseitigen Verfeindung.

Aber auch in einer freieren, weniger repressiven Gesellschaft werden wir mit gewissen Risiken leben müssen. Wer nach perfekter, lückenloser Sicherheit strebt, kommt darin um.

Depression – das erschöpfte Selbst. Eine Ausstellung

In Hamburg gibt es für wenige Wochen eine Ausstellung — Krankheit als Metapher —, die Depression und ihre Entstehung in einen sozialen Kontext stellt. Der Bericht in der taz ist informativ und anregend. Im Unterschied zu den gängigen Interpretationsweisen, wie sie nicht zuletzt in Schule eine Rolle spielen, gilt der diagnostische und therapeutische Blick nicht allein dem überforderten Individuum. Auf die Einengungen und Unzulänglichkeiten des Depressionsbegriffs bin ich hier schon einmal eingegangen.

Macht das Leben in der Stadt psychisch krank?

Immer mehr Menschen leben in Städten. Und immer mehr Menschen in Städten sind psychisch krank. Stressfaktoren, die in Städten bedeutsamer zu sein scheinen als auf dem Land sind Enge, Angst vor Ausgrenzung, Verlust an Kontrolle über das eigene Leben. Welche Möglichkeiten gibt es Städte stressfrei(er) zu gestalten? Diesen Fragen geht eine Sendung des Deutschlandradio Kultur nach. Man kann die Sendung nachhören und nachlesen.

Kompetenzorientierung und Individualisierung – Strategien der Macht?

Sind Kompetenzorientierung und Individualisierung nicht gut und wünschenswert? Sie sind es nicht von vornherein und umstandslos schreibt Andreas Hellgermann. Wird nicht nach ihren Inhalten und Zielen gefragt, erfüllen sie viele Merkmale der Herrschaftsausübung und Fremdbestimmung.

Nicht umsonst, so stellt Ehrenberg fest, ist die Depression das paradigmatische Krankheitsbild der Postmoderne. Wir müssen uns fragen, inwiefern wir in der Schule maßgeblich dazu beitragen, dieses »erschöpfte Selbst« bzw. den Menschentypus, der irgendwann einmal erschöpft sein wird, zu produzieren.

 

Die Homogenisierung der Welt

Was ist gesund und reif – und wer?

Die fünfte Version des DSM – Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – steht vor ihrer Veröffentlichung. Götz Eisenberg setzt sich kritisch mit dem DSM auseinander, welches nicht nur in der Psychiatrie  Wirkung entfaltet. Vielfach orientieren sich auch Psychologen und andere Beratungsberufe an diesem Konzept. Durchaus zu unrecht und jedenfalls mit problematischen Folgen. Hier ein kurzer Auszug aus seinem Kommentar:

Unter der befriedeten Oberfläche unseres Alltagslebens vollzieht sich ein permanenter Krieg, der umso beschwerlicher ist, als er sich nicht genau bestimmen lässt. In Form von Nervosität, Ärger und Gereiztheit werden wir vom Alltag pausenlos mobilisiert, aber für eine unsichtbare Schlacht und gegen einen Feind, der sich schwer ausmachen lässt. Herrschaft tarnt sich als Technik, Ausbeutung und Unterdrückung verstecken sich hinter Marktgesetzen und Sachzwängen. Wir haben es nicht mit einem einzelnen Gegner zu tun, sondern mit tausend undeutlichen Widrigkeiten, auf die unser Körper ganz von allein reagiert, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Unser Leben ist zugleich unruhig und monoton, wir sind erschöpft und gleichzeitig stößt uns nichts zu. Der Stress ist ein sprachloser Schmerz, der keine Geschichten macht und keine Ideen schenkt. Depressiv wird, hat Sloterdijk einmal gesagt, „wer Gewichte trägt, ohne zu wissen wozu.“