Mächtige Akteure missachten methodische Grundlagen

PISA-Studien immer wieder in der Kritik

Schon als die ersten PISA-Studien zu Beginn der Nuller-Jahre herauskamen, wurde häufiger auf methodische Ungereimtheiten hingewiesen. Das änderte nichts daran, dass die angeblichen oder tatsächlichen katastrophalen Ergebnisse zum Anlass genommen wurden, Schule auf neue Weise zu trimmen. Es scheint so, als habe man eine dem Anschein nach wissenschaftliche und objektive Keule gebraucht, um die Lehrenden und Lernenden in eine neue Richtung zu drängen.

Und so geht es weiter: Schon 2019 erschien diese Kritik auf den Seiten der Gesellschaft für Bildung und Wissen. Offenbar geraten immer wieder und immer mehr Studien, die uns als wissenschaftlich und objektiv vorgestellt werden, in den Strudel der Beförderung einer bestimmten Gesellschaftsvorstellung, die sich ohne scheinwissenschaftliche Untermauerung kaum oder schwieriger umsetzen ließe.

Nicht weniger lässig oder gar manipulativ wird zurzeit mit methodischen Unzulänglichkeiten in der Berichterstattung über das Corona-Virus umgegangen. Dabei werden wir doch immer darauf hingewiesen, dass wir in einer wissensbasierten Gesellschaft leben. Wirklich?

Was sind Wissenschaften wert, wenn sie methodische Basics ignorieren?

Vor noch nicht allzu langer Zeit gingen Wissenschaftler’innen auf die Straße, um auf die Gefahren einer Einschränkung der Wissenschaften durch irrationale Lehren zu warnen. Das hing wohl mit dem Unhold Trump zusammen. Wo bleiben die warnenden Stimmen und Aufrufe angesichts der methodischen Mängel in Untersuchungen, deren wenig validen Ergebnisse für weitreichende politische Entscheidungen verwendet werden?

Bildung als Tauschhandel

PISA – hört das denn nie auf

Der schlechte Zustand der Schülerinnen und Schüler in unserem Land wird wieder einmal beklagt. PISA. Ach ja PISA. Es werden bald 20 Jahre sein, dass es so geht. Und immer wieder wird uns verkündet, dass es jetzt aber endlich losgehe. Wir ganz vorne. BRD ist jetzt Bildungsrepublik D. Famos. Und nun wieder das. Einige Punkte schlechter. Besessen von der Magie der Zahl, unberührt von Ungenauigkeiten der Messung, unberührt von der Frage, was da eigentlich gemessen wird, wird wieder Stimmung gemacht. Die verflüchtigt sich dann bald wieder. Bis zur nächsten PISA-Untersuchung.

Fatal: Zählen, Messen, Vergleichen

Man könnte so vieles machen: Sich fragen, was da gemessen wird. Sich fragen, was als Leistung gilt und wie sie in Zahlen gefasst werden kann. Und ob es nicht gerade der Fetisch des Messens, Zählens und Vergleichens sein könnte, der in die Abgründe des Versagens führt. Sie wissen nicht, was gemeint sein könnte? Lernen sollte einen Sinn haben, Fragen und Themen berühren, die mich betreffen. Geschieht das nicht? Immer weniger. Wie das?

Kompetenzorientierung

Zum Beispiel mit der Kompetenzorientierung. Da kommt es nicht auf die Inhalte an, mit denen man sich auseinanderzusetzen hätte. Die Inhalte dienen als Mittel zum Erwerb von Methoden. Das Lernen wird mehr und mehr kontextfrei. Der Knackpunkt dabei ist: Die Suggestion, etwas lernen zu können, ohne sich mit konkreten Inhalten beschweren zu müssen. So beschreibt es Ralf Klausnitzer im Freitag Nr. 48 vom 28.11.2019. Das Lernen für die Prüfung, für credit Points, entfremdet persönliches Erkenntnisinteresse und Lernen.
Sich auf einen Inhalt einzulassen, ist eher hinderlich. Das, was gelernt werden könnte oder sollte, zerbröselt zu bedeutungslosen Puzzlestücken. Sie ergeben keinen Sinn, schon gar nicht für das eigenen Leben. Bestenfalls sind sie kurzfristig für Prüfungen abrufbar.

Verstehen

Es geht ums Verstehen. »Verstehen ist schwer. Es gibt dafür keine Rezepte mit wohlfeilen Anweisungen«, schreibt Johannes Berning in der derselben Zeitung. Es scheint so, als käme es in Universitäten (immerhin die Ausbildungsstätten der Lehrer’innen) und Schulen immer weniger aufs Verstehen an. »Inhalte haben keinen Gebrauchswert mehr… Inhalte interessieren vielmehr nur noch ihres Tauschwerts wegen: Leistung gegen Guthaben.« Damit wird der geistige Leerlauf gepflegt und gepäppelt. »Erst verschwinden die Inhalte. Dann das Denken.« Da hilft keine Methodenverfeinerung. Sondern nur Denken. Mit Inhalten.

Weiterlesen „Bildung als Tauschhandel“

Passend zum vorangehenden Beitrag

Noch einmal: Kritik an PISA

PISA ist ein Mittel zur Einflussnahme auf die Schulpolitik, so könnte ein Fazit auseinem Interview in der Süddeutschen lauten.

Noch einmal Digitalisierung in der Schule

bei der Gesellschaft  für Bildung und Wissen reinzuschauen lohnt immer wieder

Bildung ist notwendig an ein Subjekt gebunden. Bildung ist weder Speicherformat noch Objekt oder messbare Größe, sondern Merkmal einer Persönlichkeit. Es ist aber charakteristisch für einen technokratischen Bildungsbegriff, wenn der Bertelsmann-Konzern unter der Überschrift „Wachstum Education“ damit wirbt, dass dank Digitalisierung „Bildung auch online in guter Qualität ausgeliefert werden kann.“

Nicht vertreten sind Kinderärzte, Pädagogen, Lernpsychologen oder Neurowissenschaftler, die die Folgen der Nutzung dieser Bildschirmmedien (Smartphone, Tablet) untersuchen.

Forcierter Abbau von Bildung im Namen der Bildung

Also zunächst muss die Analyse klar sein: PISA ist wissenschaftlich fragwürdig und politisch an Partikularinteressen orientiert. Wer darauf Empfehlungen zur Vergrößerung von Schulklassen oder zur Entlohnung von Lehrern aufbaut, handelt wider bessere Einsicht und gegen das Allgemeinwohl. Es ist mehr als absurd, aus einer derart verzerrten und interessierten Darstellung der Bildungswirklichkeit irgendwelche politischen Handlungen abzuleiten.


Eine größere Klarheit über die Grundlinien „unserer“ Bildungspolitik als in in diesem Interview mit Matthias Burchardt ist in solcher Kürze nicht zu bekommen.
Es ist erschreckend, wie die Politiker sich mehr und mehr in den Dienst der Ökonomisierung stellen und menschliche Werte zum Einsparpotenzial werden.

Schluss mit PISA

fordern zahlreiche Bildungsexperten.

Denn auf Dauer behindern die daraus entstehehnden Lernformen kritisches Denken und Unterrichten. Sie verderben den Charakter. Zudem mangelt es dem PISA-Komplex an demokratischer Legitimation.

Hier ist die Petition nachzulesen

Wer will, kann sie auf diesem Weg unterschreiben

Hinweis gefunden bei nachdenkseiten.de

PISA als Putsch

Wer über die strategische und gesellschaftliche Bedeutung von PISA Hypothesen sucht und sich einen Reim auf das immer wiederkehrende Getöse um Durchschnitte und Rangplätze machen möchte, findet in einem Interview, das die Wirtschaftswoche mit Professor Volker Ladenthin führte, reichlich Anregung. Ein Fazit ist: Was PISA misst, ist nicht das, was die Bundesländer in ihren Verfassungen als Ziele von Bildung definieren. Und weiter: Die Auswechselung der Inhalte und Ziele ist ohne öffentliche Debatte und ohne parlamentarische Beschlüsse vonstatten gegangen.

Bildungsreform und Propaganda

Da ist Jochen Krautz mit „Bildungsreform und Propaganda“ mal wieder ein feiner Aufsatz gelungen, erschienen im Forum kritische Pädagogik. Er ist geeignet, die Dinge der Pädagogik und Bildungspolitik im besten Sinne aufzuklären. Wer die sogenannte Reformpolitik der letzten 15 Jahre verstehen will, weshalb sich nichts bessert und doch alles immer so weiter geht, sollte sich die Mühe machen und die 40 Seiten lesen. Die grundlegende These ist: Der Ökonomismus ist das Programm unterschiedlichster Organisationen, wie der OECD,  der Bertelsmann-Stiftung und anderer. Gezielt folgen sie einem Programm des ökonomischen Imperialismus, mal soft, mal hart. Oder anders ausgedrückt: Sie folgen einem Programm der Entdemokratisierung.

Gerade weil der Theorie der »Chicago School of Economics« keine Wirklichkeit entspricht,
dies nicht einmal beansprucht wird, kann sie nur mit kontrafaktischen Behauptungen
und durch Inszenierung in politische und ökonomische Wirklichkeit
überführt werden. (Vgl. Brodbeck 2010) Die Realität neoliberaler Theorie muss erst
hergestellt werden und sei es — wie Naomi Klein gezeigt hat — mit brutaler Gewalt.
(Vgl. Klein 2007) Gerade »die Theorie DES MARKTES ist nicht nur eine Theorie (angesiedelt im Diskursraum der Wissenschaft), sondern auch ein Propaganda-Ansatz,der die gesamte Kultur umkrempeln will.« (Ötsch 2009, S. 15)

Dabei knüpft die öffentliche Kommunikation der PISA-Ergebnisse gezielt an den Interessen
und Vorstellungen unterschiedlicher Gruppen an, die ihrerseits auf die neu
geschaffene Realität zugreifen, um eigene Interessen zu stützen. Ob pro oder contra
Gesamtschule, für oder gegen Sitzenbleiben, für individuelle Förderung oder
Klassenunterricht: Für und gegen alles Mögliche wurde und wird mit PISA argumentiert.
Dabei wird meist übersehen, welches reduktionistische Menschenbild man mit
der Bezugnahme auf PISA zugleich etablieren hilft, denn dieses hat jeder bereits akzeptiert,
der auch kontrovers über PISA diskutiert. (Vgl. Pongratz 2009, S. 114) Das
in Verfassungen und Richtlinien verankerte Verständnis vom Menschen als selbstbestimmter,
vernünftiger und dem Gemeinwohl verpflichteter Person wird so immer
weiter verdrängt.

Der Autor geht auch der Frage nach, welchen Sinn eine Absenkung des Bildungsniveaus haben könnte. Und weshalb mehr und mehr Widersprüche aufbrechen, die Ansätze für demokratisches Handeln liefern.   Selber lesen macht schlau.