Bildung als Tauschhandel

PISA – hört das denn nie auf

Der schlechte Zustand der Schülerinnen und Schüler in unserem Land wird wieder einmal beklagt. PISA. Ach ja PISA. Es werden bald 20 Jahre sein, dass es so geht. Und immer wieder wird uns verkündet, dass es jetzt aber endlich losgehe. Wir ganz vorne. BRD ist jetzt Bildungsrepublik D. Famos. Und nun wieder das. Einige Punkte schlechter. Besessen von der Magie der Zahl, unberührt von Ungenauigkeiten der Messung, unberührt von der Frage, was da eigentlich gemessen wird, wird wieder Stimmung gemacht. Die verflüchtigt sich dann bald wieder. Bis zur nächsten PISA-Untersuchung.

Fatal: Zählen, Messen, Vergleichen

Man könnte so vieles machen: Sich fragen, was da gemessen wird. Sich fragen, was als Leistung gilt und wie sie in Zahlen gefasst werden kann. Und ob es nicht gerade der Fetisch des Messens, Zählens und Vergleichens sein könnte, der in die Abgründe des Versagens führt. Sie wissen nicht, was gemeint sein könnte? Lernen sollte einen Sinn haben, Fragen und Themen berühren, die mich betreffen. Geschieht das nicht? Immer weniger. Wie das?

Kompetenzorientierung

Zum Beispiel mit der Kompetenzorientierung. Da kommt es nicht auf die Inhalte an, mit denen man sich auseinanderzusetzen hätte. Die Inhalte dienen als Mittel zum Erwerb von Methoden. Das Lernen wird mehr und mehr kontextfrei. Der Knackpunkt dabei ist: Die Suggestion, etwas lernen zu können, ohne sich mit konkreten Inhalten beschweren zu müssen. So beschreibt es Ralf Klausnitzer im Freitag Nr. 48 vom 28.11.2019. Das Lernen für die Prüfung, für credit Points, entfremdet persönliches Erkenntnisinteresse und Lernen.
Sich auf einen Inhalt einzulassen, ist eher hinderlich. Das, was gelernt werden könnte oder sollte, zerbröselt zu bedeutungslosen Puzzlestücken. Sie ergeben keinen Sinn, schon gar nicht für das eigenen Leben. Bestenfalls sind sie kurzfristig für Prüfungen abrufbar.

Verstehen

Es geht ums Verstehen. »Verstehen ist schwer. Es gibt dafür keine Rezepte mit wohlfeilen Anweisungen«, schreibt Johannes Berning in der derselben Zeitung. Es scheint so, als käme es in Universitäten (immerhin die Ausbildungsstätten der Lehrer’innen) und Schulen immer weniger aufs Verstehen an. »Inhalte haben keinen Gebrauchswert mehr… Inhalte interessieren vielmehr nur noch ihres Tauschwerts wegen: Leistung gegen Guthaben.« Damit wird der geistige Leerlauf gepflegt und gepäppelt. »Erst verschwinden die Inhalte. Dann das Denken.« Da hilft keine Methodenverfeinerung. Sondern nur Denken. Mit Inhalten.

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Pausengespräch

Wovon reden wir, wenn wir von Beratung reden?

Nicht ums Verstehen geht es, sondern ums Erfassen

Ich Berichte über meinen Zustand als Pensionär. »Die Kontakte reißen ab. Ich kann mir dabei zusehen, wie ich bedeutungslos werde. Erst viele Versprechungen (à la „ich melde mich“), eigene Versuche enden an der Mauer des Kalenders auf der anderen Seite. Mein Gesprächspartner erklärt das als üblich. Diese ‚Wir-Sehen-Uns‘-Bekundungen seien Freundlichkeiten, die dem schnellen Tagesgeschäft nicht standhielten. Es müsse ja gar nicht um rein Freundschaftliches gehen. Das fachliche Interesse ende doch nicht an Altersgrenze – oder doch? Er erzählt von Organisationen, die Traditionen von Treffen der Ex-Mitglieder abhalten. Interessanterweise allesamt nicht psychosozial.
Vielleicht eine vorschnelle Annahme: Warum nicht die psychosozialen Menschen? Ich: »Sie haben keine Idee von Fachlichkeit, sondern nur vom Helfen und Gutsein«, ist meine These. (Letztlich handelt es sich wohl um Charity, wie ich jetzt denke.) »Fachliche Bezüge existieren kaum und sind kein Band.«
Er spricht von einem Phänomen der Praxis: Hatten wir das nicht schon mal? Wie haben wir das damals gesehen und bearbeitet. Das werde aber kaum in Betracht gezogen. Die Alten winkten oft ab: Das kennen wir schon. So haben wir das immer gemacht. Die Jungen fühlen sich nicht ernst genommen. Und sie fühlten sich entwertet. Haben sie denn nichts Wichtiges gelernt? Es gibt schon einen professoralen Begriff dafür, der mir leider entfallen ist.
Die Verachtung des Historischen führt zu einer Entwertung menschlicher und fachlicher Erfahrung und Arbeit. Der Gedächtnisverlust ist gewollt und bequem. Er ist Ausdruck der Gefügigkeitserwartung staatlicher Steuerungs- und Kontrollinteressen. Sie werden auch vermittelt über „freie“ Träger weitergegeben. Das hohe Tempo und die Kontrolldichte sickern als vermeintlich unausweichbare Ereignisse in die Gehirne der Psychosozialen/Helfer ein: das Historische (wie haben wir das früher gesehen und gemacht, wie ist es „dazu“ gekommen?) und damit die Erkennbarkeit von Strukturen der Arbeit, die wiederum das Arbeitsergebnis beeinflussen, haben den Charakter von verzichtbarem Lusxus angenommen. Die Verachtung des Historischen und seine Tabuisierung sind bequem, weil sie den Alten die Anstrengung der Kritik und Aus-einander-setzung erspart. Die Jungen, die das zurecht empörend finden, verachten die Alten. Und werden scharf auf Reform. Die ein Staat oder eine Großorganisation gern verspricht. Natürlich im Sinn der Rationalisierung und intelligenten Steuerung, s. Schule, siehe Jugendhilfe.

Man müsse versuchen zu verstehen, was die Klienten bewege, in welchen Widersprüchen sie sich sähen, sagte der ambitionierte Berater. Nein, nein sagt der staatliche Finanzier, geschult in Steuerung und Verkennzifferung; Sie müssen ihn erfassen.

Ende der Pause