Der Vormarsch pharmakologischer Verhaltenssteuerung − kein Problem?

Götz Eisenberg konstatiert einen »pharmakologischen Seelenmord«

In der Bildung und in den Berufsverbänden der Psychologinnen und Berater spielt die pharmakalogisch und medizinisch fundierte Verhaltensoptimierung keine Rolle. Diese Form der »Optimierung«  bricht jedoch mit allem, was Bildung und Berufsverbände als Ziel und Zweck von Schule beschreiben. Dennoch halten sich Kritik und Verurteilung in engen Grenzen, sowohl von staatlicher Seite als auch von der Seite der Professionen.

Eltern beschreiten den Weg zu Arzt und Apotheker auch deswegen, weil sie sich selbst an den Modus der pharmakologischen Moderation von Konflikten gewöhnt haben und bei jeder Gelegenheit irgendein Medikament einnehmen. Das als „Unternehmer seiner selbst“ konzipierte Subjekt muss bei Strafe des Untergangs lernen, sein als Störfaktor auftretendes Seelenleben mittels Drogen und Medikamenten zu regulieren und auf Vordermann zu bringen.

Sind die Verstrickung und Verwobenheit, vielleicht auch die mehr oder weniger geahnte Komplizenschaft der Institutionen und Menschen größer als wir wahrhaben wollen? Können wir den »pharmakologischen Seelenmord« hinnehmen, obwohl die vermeintliche Optimierung doch tief in die Körper und Persönlichkeiten eingreift?

Götz Eisenberg breitet unterschiedliche Facetten des Themas aus und regt an, die eigenen und gesellschaftlichen Werte / Leitlinien des Unterrichtens und Beratens zu hinterfragen

 

 

Die Homogenisierung der Welt

Was ist gesund und reif – und wer?

Die fünfte Version des DSM – Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – steht vor ihrer Veröffentlichung. Götz Eisenberg setzt sich kritisch mit dem DSM auseinander, welches nicht nur in der Psychiatrie  Wirkung entfaltet. Vielfach orientieren sich auch Psychologen und andere Beratungsberufe an diesem Konzept. Durchaus zu unrecht und jedenfalls mit problematischen Folgen. Hier ein kurzer Auszug aus seinem Kommentar:

Unter der befriedeten Oberfläche unseres Alltagslebens vollzieht sich ein permanenter Krieg, der umso beschwerlicher ist, als er sich nicht genau bestimmen lässt. In Form von Nervosität, Ärger und Gereiztheit werden wir vom Alltag pausenlos mobilisiert, aber für eine unsichtbare Schlacht und gegen einen Feind, der sich schwer ausmachen lässt. Herrschaft tarnt sich als Technik, Ausbeutung und Unterdrückung verstecken sich hinter Marktgesetzen und Sachzwängen. Wir haben es nicht mit einem einzelnen Gegner zu tun, sondern mit tausend undeutlichen Widrigkeiten, auf die unser Körper ganz von allein reagiert, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Unser Leben ist zugleich unruhig und monoton, wir sind erschöpft und gleichzeitig stößt uns nichts zu. Der Stress ist ein sprachloser Schmerz, der keine Geschichten macht und keine Ideen schenkt. Depressiv wird, hat Sloterdijk einmal gesagt, „wer Gewichte trägt, ohne zu wissen wozu.“

 

Soziales Leid in individuelles Scheitern und Krankheit verwandeln

Passend zum vorangehenden Beitrag schreibt Götz Eisenberg auf den Nachdenkseiten darüber, wie psychosoziale Helfer/innen dazu beitragen, soziale Konflikte zu individualisieren oder in individuelle Krankheit („Medizinisierung“) zu verwandeln. Stattdessen regt er dazu an, die „unbewusst-psychosomatische Revolte auf den „politischen Begriff“ zu bringen und in bewussten Widerstand zu transformieren“.

Ein Thema, das auch die Beschäftigten im Bildungsbereich angeht. Allerdings wird darüber kaum diskutiert und die Fach- und Berufsverbände schweigen überwiegend – ganz im Gegensatz zu den hohen Ansprüchen, die die Fachfrau und der Fachmann für die eigene Ethik in Anschlag bringt.