Liebe Liebhaber des Einheitsabiturs

Da ist sie nun wieder die Zeit, die voller Anspannung sein kann. Die Zeit des Abiturs beschäftigt die Geister. Halten die Nerven das aus oder kann ich entspannt sein? Schüler und Schülerinnen steuern auf einen Wendepunkt in ihrem Leben zu – Schule aus und dann? Und die Eltern fragen sich, was aus der Zukunft ihrer Sprößlinge werden kann. Und alle wissen: hinter dem Tor gibt es ein Land voller Ungewissheit. Überhaupt: Was ist das Abitur wert? Welchen Stellenwert besitzt es im landesweiten und globalen Wettkampf?

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Kommunale Bildungslandschaften — Verführung und Reduktion

Kommunale Bildungslandschaften — von der pädagogischen Inspiration zu Kürzungen und zu Abbau von Beteiligung

Die Realität der „Bildungs“-Reformen (von den kommunalen Bildungslandschaften über Selbständigkeit, eigenverantwortliche Schule bis zur Selbstverwirklichung) wurde von vielen Menschen beobachtet, gefühlt, erlitten. Diese und andere Wirkungen blieben in den Sphären des Persönlichen und Subjektiven.

Nun gibt es erfreulicherweise eine Untersuchung, die in Bezug auf die kommunalen Bildungslandschaften Idee und Realität dieser „Reform“ in den Blick nimmt. Anika Duveneck hat sie als Buch veröffentlichen können. Die Nachdenkseiten führten vor Kurzem ein Interview mit der Autorin.

Konkret konnte ich nachweisen, dass vor allem jene Aspekte, des, wenn Sie so wollen, durchaus vielversprechenden Konzeptes umgesetzt wurden, die einen wettbewerbspolitischen Wert aufweisen, und dass der fachliche Wert von Maßnahmen wie einem erweiterten Bildungsverständnis und einer partizipativen Bildungssteuerung dem strukturell untergeordnet worden ist.

In den 2000 er Jahren tauchte der Begriff auf. Bertelsmann, Ministerien und Kommunen wollten glauben machen, dass mit ihren Konzepten die Vitalität in die Schulen einkehrt. Landschaften leben, für sie gibt es Karten und Aussichtspunkte, die einen die Eigenheiten und Wege des Landes erkennen lassen. So sollte es mit der Bildung aufwärts gehen.

»Kommunale Bildungslandschaften«, wie auch die Begriffe Verantwortung, Selbständige Schule, Selbstverwirklichung waren tatsächlich „Spins“ aus der Küche der neoliberalen Weltveränderer (manche nennen sie auch Putschisten). Tatsächlich betörten sie nicht wenige Kolleginnen und Kollegen, die glaubten, ihren humanistischen Ideen näherkommen zu können, wenn sie auf diesen Zug aufsprängen. Inzwischen sind die Steuerungstechnokraten fest im Sattel, die Beteiligungsangebote (Mitbestimmungsrechte wurden eingeschränkt) wieder zurückgefahren.

Was vielleicht an Selbständigkeit und Eigenverantwortung gewonnen war (oder den Anschein erweckte, dass es sie geben könte), wurde rasch durch knappe Mittel, Verdichtung der Arbeit, Kontrollaufgaben (über-) kompensiert.

 

Wütest du schon oder brütest du noch?

Über den Zusammenhang von Depression und Aggression und über die Dynamik des Verschweigens

Wieder einmal beschreibt Götz Eisenberg in einem Aufsatz, der den Zusammenhang von Subjekt und Gesellschaft am Beispiel von Katastrophe und Amok plausibel aufzeigt, dass es absolute Sicherheit nicht gibt. Und dass die Sicherheit, die wir haben können, wesentlich durch soziale Sicherheit und Bindung zu schaffen ist und nicht durch technische und bürokratische Kontrolle. Nicht zuletzt ist es eine Frage der Schule, welchen Zielen sie sich verpflichtet. Leistungsdruck, Erfolgszwang und Wettbewerbsorientierung tragen perspektivisch die Verachtung desjenigen in sich, der versagt. So gut es geht, mag er oder sie sich an den leuchtenden Zielen ausrichten. Was aber, wenn es nicht gut geht? Leicht können wir es dann mit mehr oder weniger versteckten Formen der Depression oder Aggression zu tun bekommen.

Diese Gesellschaft setzt nach Katastrophen, wie der gerade erlebten, auf den Ausbau technisch-instrumenteller Sicherheit, auf Überwachungs- und Kontrolltechniken, an denen gewisse Industrien gut verdienen. Dabei böte allein soziale Sicherheit langfristig erheblich mehr Schutz. Soziale Sicherheit ist ein dynamischer Faktor, der im Wesentlichen durch das in einer Gesellschaft herrschende Klima bestimmt wird, das zwischenmenschliche Akzeptanz und Vertrauen erzeugt oder eben eher unterbindet. Der vom Wettbewerbswahn entfesselte Sozialdarwinismus erzeugt eher ein Klima des Misstrauen und der gegenseitigen Verfeindung.

Aber auch in einer freieren, weniger repressiven Gesellschaft werden wir mit gewissen Risiken leben müssen. Wer nach perfekter, lückenloser Sicherheit strebt, kommt darin um.

Schlägt die Verrohung des ökonomischen Mainstreams auf Schulen durch?

 Dieses Nützlichkeitsdenken unterminiert aber gleichzeitig unsere sozialen und ethischen Werte, da es diese Werte unter den Vorbehalt der ökonomischen Nützlichkeit stellt. Galt die Menschenwürde einstmals als unbedingtes Grundrecht, so droht sie, nur doch dort gewährt zu werden, wo sie „nützt“. Damit sind jene Werte, die als unbedingt gelten sollen, nicht mehr unbedingt, d. h. sie stehen nur noch einem Teil der Menschen zu – nämlich jenen, die wir als „nützlich“ empfinden. Analog dazu wird also Solidarität zunehmend nur noch dort praktiziert, wo es uns ökonomisch nützt bzw. wo sie sich „verwerten“ lässt.

Wir sind als Berater/innen oder Lehrer/innen immer wieder damit konfrontiert, dass Schüler/innen schlecht für einen Lernprozess motiviert sind, der ihnen doch ihre Zukunft sichern soll. Oder wir sind erschüttert, dass Schüler sich so wenig sozial verhalten. Die einen piesacken und provozieren die anderen. Andere verzweifeln an der Rohheit ihrer Klassenkameraden, die sie gar nicht als solche erleben können. Ermunterung und soziales Lernen sind dann erste Alternativen. Vielleicht kommen diese Heilmittel aber auch zu flach daher, weil sie wichtige Teile der gesellschaftlichen und ökonomischen Realität nicht wahrhaben wollen. Will sagen: die Drastik der erlebten Verhältnisse schlägt die pädagogischen und psychologischen Absichten dieser oder jener Maßnahme.
Auf diese Idee wird derjenige kommen, der das Interview mit dem Volkswirt und Wirtschaftsethiker Sebastian Thieme liest. Er untersucht die Menschenbilder, die den herrschenden ökonomischen Theorien zugrunde liegen, wie sie Denken und Fühlen umformen. Ein Ergebnis: je prekärer die Lebenssituation, um so tiefer die Entsolidarisierung.
Schule ist in den vergangenen Jahren zielstrebig – auch im Namen der Wettbewerbsfähigkeit – in das Hamsterrad des Optimierungsgebots eingebaut worden – mit fatalen Folgen für die real existierenden Subjekte. Damit tut sich nicht selten ein Widerspruch zwischen den emanzipatorischen Restansprüchen der Schule und den Absichten der meisten Professionellen im Schulsystem einerseits und den Forderungen der Wettbewerbsgläubigen andererseits auf.