Da ist sie nun wieder die Zeit, die voller Anspannung sein kann. Die Zeit des Abiturs beschäftigt die Geister. Halten die Nerven das aus oder kann ich entspannt sein? Schüler und Schülerinnen steuern auf einen Wendepunkt in ihrem Leben zu – Schule aus und dann? Und die Eltern fragen sich, was aus der Zukunft ihrer Sprößlinge werden kann. Und alle wissen: hinter dem Tor gibt es ein Land voller Ungewissheit. Überhaupt: Was ist das Abitur wert? Welchen Stellenwert besitzt es im landesweiten und globalen Wettkampf?
Schlagwort: Individualisierung
Forcierter Abbau von Bildung im Namen der Bildung
Also zunächst muss die Analyse klar sein: PISA ist wissenschaftlich fragwürdig und politisch an Partikularinteressen orientiert. Wer darauf Empfehlungen zur Vergrößerung von Schulklassen oder zur Entlohnung von Lehrern aufbaut, handelt wider bessere Einsicht und gegen das Allgemeinwohl. Es ist mehr als absurd, aus einer derart verzerrten und interessierten Darstellung der Bildungswirklichkeit irgendwelche politischen Handlungen abzuleiten.
Eine größere Klarheit über die Grundlinien „unserer“ Bildungspolitik als in in diesem Interview mit Matthias Burchardt ist in solcher Kürze nicht zu bekommen.
Es ist erschreckend, wie die Politiker sich mehr und mehr in den Dienst der Ökonomisierung stellen und menschliche Werte zum Einsparpotenzial werden.
Über das schwierige Verhältnis von Messen und Denken
Der hier empfohlene Artikel – ebenfalls von der Gesellschaft für Bildung und Wissen geliefert – geht auf den vorangegangenen Artikel ein und setzt sich darüber hinaus mit der Zweifelhaftigkeit von Bildungsprognosen auseinander. Er hat den Titel: Wenn das Messen das Denken ersetzt.
Die in diesem und im vorangehenden Beitrag konstatierte Denkschwäche ist eine Schwäche mit Folgen. Die glatt polierte Oberfläche einer angeblichen Wissenschaftlichkeit ist eine schiefe Ebene, die die Akteure und Absolventen eines solchen Bildungssystems gefügig und ohnmächtig macht, sie ihrer Individualität und Verantwortungsfähigkeit beraubt. Wenngleich wir in ein solches System hineinsozialisert werden (sollen), gibt es keine Automatismen. Kommerzialisierung und Standardisierung von Bildung und Lernen stoßen auf den Eigensinn der Subjekte. Unter anderem kann das zu Demotivation und Lernversagen führen. Wir sollten im Hinterkopf behalten, dass es in solchem Fall nicht nur die Individuen sind, mit denen etwas nicht stimmen könnte – es könnte auch mit der (falschen) Vorstellung im System darüber, wie Lernen geht, zusammenhängen. Wenn Wolfram Meyerhöfer schreibt:
Kompetenzmodelle sind in der Empirischen Bildungsforschung immer Kompetenzstufenmodelle. Das liegt daran, dass das Ziel dieser Disziplin nicht ist, das Lernen zu verstehen und zu verbessern. Man müsste sich dann mit Lernen und Vergessen beschäftigen, mit Interesse und Langweile, mit Nutzen und Nutzlosigkeit, mit der Motivation und der Demotivation durch Schulnoten. Die Empirische Bildungsforschung will das Gelernte vermessen.
Kompetenzorientierung und Individualisierung – Strategien der Macht?
Sind Kompetenzorientierung und Individualisierung nicht gut und wünschenswert? Sie sind es nicht von vornherein und umstandslos schreibt Andreas Hellgermann. Wird nicht nach ihren Inhalten und Zielen gefragt, erfüllen sie viele Merkmale der Herrschaftsausübung und Fremdbestimmung.
Nicht umsonst, so stellt Ehrenberg fest, ist die Depression das paradigmatische Krankheitsbild der Postmoderne. Wir müssen uns fragen, inwiefern wir in der Schule maßgeblich dazu beitragen, dieses »erschöpfte Selbst« bzw. den Menschentypus, der irgendwann einmal erschöpft sein wird, zu produzieren.