Über das schwierige Verhältnis von Messen und Denken

Der hier empfohlene Artikel – ebenfalls  von der Gesellschaft für Bildung und Wissen geliefert – geht auf den vorangegangenen Artikel ein und setzt sich darüber hinaus mit der Zweifelhaftigkeit von Bildungsprognosen auseinander. Er hat den Titel: Wenn das Messen das Denken ersetzt.

Die in diesem und im vorangehenden Beitrag konstatierte Denkschwäche ist eine Schwäche mit Folgen. Die glatt polierte Oberfläche einer angeblichen Wissenschaftlichkeit ist eine schiefe Ebene, die die Akteure und Absolventen eines solchen Bildungssystems gefügig und ohnmächtig macht, sie ihrer Individualität und Verantwortungsfähigkeit beraubt. Wenngleich wir in ein solches System hineinsozialisert werden (sollen), gibt es keine Automatismen. Kommerzialisierung und Standardisierung von Bildung und Lernen stoßen auf den Eigensinn der Subjekte. Unter anderem kann das zu Demotivation und Lernversagen führen. Wir sollten im Hinterkopf behalten, dass es in solchem Fall nicht nur die Individuen sind, mit denen etwas nicht stimmen könnte – es könnte auch mit der (falschen) Vorstellung im System darüber, wie Lernen geht, zusammenhängen. Wenn Wolfram Meyerhöfer schreibt:

Kompetenzmodelle sind in der Empirischen Bildungsforschung immer Kompetenzstufenmodelle. Das liegt daran, dass das Ziel dieser Disziplin nicht ist, das Lernen zu verstehen und zu verbessern. Man müsste sich dann mit Lernen und Vergessen beschäftigen, mit Interesse und Langweile, mit Nutzen und Nutzlosigkeit, mit der Motivation und der Demotivation durch Schulnoten. Die Empirische Bildungsforschung will das Gelernte vermessen.
könnte es an der Psychologie und Schulpsychologie sein, Beiträge dazu zu leisten, das Lernen zu verstehen und mit der Individualisierung des Lernens vom Subjektstandpunkt ernst zu machen.

Wie die Empirische Bildungsforschung intellektuelle Armut erzeugt

Oder: Wie schlampige Methodenanwendung Erkenntnis verhindert

Deshalb führt der Weg der immer stärkeren Standardisierung von Bildung – getragen von einem nicht hinterfragten Glauben an die mathematische Modellierbarkeit des menschlichen Geistes – das Schulsystem in eine Kultur der intellektuellen Armut.

So lautet das Fazit des Mathematik-Didaktikers Wolfram Meyerhöfer. Anschaulich macht er seine Kritik unter anderem folgendermaßen:

Wenn ein Kochlehrling A einen exzellenten Braten machen kann, ein andererLehrling B hingegen eine wunderbare Quiche, dann kann die Empirische Bildungsforschungnicht einfach das Essen genießen. Die Lehrlinge müssen unbedingt in eine Kompetenzreihenfolge gebracht werden, das ist das zentrale Ziel der Kompetenzmodelle. Dazu lässt man viele Lehrlinge Braten und Quiche herstellen. Wenn viele Lehrlinge einen guten Braten hinbekommen und wenige Lehrlinge eine gute Quiche, gilt der Quiche-Meister B als der bessere Koch. Dieses Ergebnis ist empirisch fundiert und nachgerade objektiv. Wenn Sie also Braten-Fan sind und im Exzellenz-Lokal der Empirischen Bildungsforscher essen, dann zeigt Ihr Unwille gegenüber dem schlechten Braten dem Forscher lediglich, dass der Empirie Ihres Gaumens keinerlei Signifikanz zukommt.

Wer sich nicht mit Geschmacksfragen und Meisterköchen zufrieden geben will, sollte den vollständigen Artikel lesen.

All das ein Hinweis darauf, dass Wissenschaftlichkeit nicht unbedingt Erkenntnis und Problemlösung schaffen, wohl aber Geldbeschaffung für eine gewinnorientierte „Bildungs“industrie. Das wirft die Frage auf, ob solche Forschung und die Anwendung ihrer Ergebnisse überhaupt noch mit dem Grundgesetz und mit den Landesverfassungen vereinbar sind.

Steuerung in der Bildungspolitik

Jochen Krautz im Interview

Wem es tatsächlich um die Weiterentwicklung von Humanität, Demokratie und einer gerechten Wirtschaftsordnung geht, der kann nicht zusehen, dass die Grundlagen dafür derart untergraben werden, wie dies derzeit geschieht. Weder „homo oeconomicus“ noch Erleichterungspädagogik haben etwas mit guter Bildung zu tun, dagegen müsste es gerade von progressiver Seite eigentlich einen Aufschrei geben. Insofern muss man auch all die rot-grünen Landesregierungen schon einmal fragen, welche Ziele sie eigentlich verfolgen. Eine Lösung für die vorhandene Misere versprechen jedenfalls weder Titelinflation noch Ökonomisierung. Was wir stattdessen brauchen, sind Schulen, die ermutigen und – statt auszugrenzen -einbeziehen. Diese Schulen aber, die alle Kinder und Jugendlichen auch zu Leistung und Teilhabe ermutigen, brauchen bessere Ressourcen, mehr Lehrer, mehr Zeit und Ruhe, diese Arbeit auch zu leisten etc.

Das ist nur ein kurzes Zitat aus einem einem längeren Interview, das vor Kurzem auf den Nachdenkseiten  veröffentlicht wurde. Jochen Krautz wurde hier schon öfter erwähnt. Er beschreibt präzise, wie das Schul- und Hochschulwesen mehr und mehr durch angebliche Wirtschaftlichkeit, die sich nicht zuletzt in einer Entwertung von Pädagogik und Beziehungsarbeit ausdrückt, verkommt. Was als unvermeidliche (alternativlose) so genannte Sparpolitik oder Optimierung von Schule und Hochschule daherkommt, ist letztlich die Abschaffung einer Pädagogik und Psychologie, die Menschen als Subjekte und damit als Gestalter ihrer Person und Umwelt betrachtet – stattdessen sollen sie sich darin üben, freiwillig tun, was von ihnen verlangt wird.

Man prüfe, inwieweit die eigenen Arbeitsbedingungen nach solchen Leitlinien „reformiert“ werden. Das Interview mit Jochen Krautz und seine Artikel sind dabei hilf- und lehrreich.

Geht die „Empirische Bildungsforschung“ ihrem Ende entgegen?

Andreas Gruschka hat an der so genannten Empirischen Bildungsforschung jahrelang kritisiert, dass diese die Mikroprozesse des Lernens und Lehrens ignoriert beziehungsweise zum tatsächlichen Problemverstehen des Unterrichtens kaum etwas beiträgt. Und damit auch nicht zur Lösung. Gruschka selbst ist den subjektiven Lernprozessen akribisch auf die Spur gekommen – ohne das Getöse der großen Untersuchungen „um PISA herum“.

Die Gründung einer Organisation der Empirischen Bildungsforschung deutet er nicht als besondere Stärke. Vielmehr sieht er sie im Niedergang begriffen. Nicht zuletzt deshalb, weil sich bei den staatlichen, neoliberalen Abnehmern der Forschungsergebnisse Zweifel durchsetzten über die Relevanz der Forschungsergebnisse. Seine Position ist nachzulesen beim Forum Kritische Pädagogik und hier als pdf

Nicht zuletzt ist der Artikel lesenswert, weil er sich mit dem Bildungsforscher Baumert auseinandersetzt

Bildung als Selektionshebel

Franz Walter hinterfragt den alten Leitgedanken, dass Bildung und Wissen der Schlüssel zu gesellschaftlichem Aufstieg seien. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Rede von der Chancengesellschaft für viele ein leeres Versprechen bleibt. Es diene der Verschleierung von rigiden Macht- und Abschottungskämpfen

Dazu passt dieser Artikel über soziale Gerechtigkeit.

Was ist Inklusion und wie geht sie?

Die Umsetzung der Inklusion läuft nicht glatt. Für die einen ist es ein verkapptes Sparmodell, für andere ist es eine Chance zur Humanisierung der Schule. Brigitte Schumann hält die Ansätze in NRW und Hamburg letztlich für den Versuch, das Menschenrecht auf Inklusion zu unterlaufen. In der praktischen Ausgestaltung der Inklusion entdeckt sie den Versuch der Sonderpädagogik, ihr altes Terrain zu sichern und auszubauen

Der Sonderpädagoge Stefan Romey aus Hamburg hält in der hlz, Mitgliederzeitung der GEW, dagegen.

Die Umsetzung der Inklusion ist mit reichlich Konflikten verbunden. Das machte offenbar eine Maßnahme, die zur Beruhigung beitragen soll, notwendig. Der Hamburger Schulsenator berief vier Ombudsleute – von denen drei sonderpädagoigscher Provenzienz sind. Inklusion also doch eine sonderpädagogische Angelegenheit?

Beratung zwischen Subjektstärkung und Optimierungszwängen

Die Zeiten ändern sich – und mit ihr die Schulberatung, wie ich in meinem neuen Aufsatz Steuerung optimiert – Beratung und Subjekt tot? zu zeigen versuche. Obwohl es in vielerlei Hinsicht „aufs Subjekt ankommt“, soll es gemäß Standards funktionieren. Und mit ihr die Schulberatung. Zumindest mancherorts. Wachsamkeit ist angesagt.

Nicht nur Schule, sondern auch die ihr nachgelagerte Schulberatung steht unter Veränderungsdruck. So widersprüchlich, schlecht vorbereitet und umgesetzt die Reformen erscheinen mögen, verfolgen sie doch einen Zweck. Sie sind Stationen der Wende zur unternehmerischen Schule, die wie ein Betrieb geführt wird. Die »Employability« am Markt soll der Zweck von Schule sein, nicht der den Menschen »bildende« Prozess im Sinne von Verstehen und kritischer, eigenständiger Urteilsfähigkeit. Weiterlesen „Beratung zwischen Subjektstärkung und Optimierungszwängen“

Schulpolitik als Inszenierung – der Bürger als Showgast

Senator Ties Rabe kritisiert in der „Zeit“ vom 18.4.2013 das neue Buch von Richard David Precht. Von dem der Welt Kritiker schreibt, dass es auf keinen Fall hätte geschrieben werden sollen.

Sofakritiker schimpft Ties Rabe ihn. Das erinnert an den Genießer in der Etappe, der den Krieg in entspannter Lage verfolgt, während der Kämpfer und Held sich an der Front schlägt. Hui. Da geht es aber zur Sache. Rabe bedauert, dass Schulpolitik nur allzu oft ein Tummelfeld von Hysterikern und Vereinfachern sei. Viel Glaube, wenig Vernunft, konstatiert der sich empört zeigende Senator. „Und selbst?“ möchte man einwerfen. Keine Neigung zu Vereinfachungen in der Schulpolitik?

Zehn Tage später lesen wir im Abendblatt, dass er sich in einer Kontroverse mit 67 Schulleitern geschlagen habe („es redete nur einer: Schulsenator Ties Rabe (SPD)“). Diese Führungskraft und ihren Gestaltungswillen habe schon andere zu spüren bekommen. Vereinfachen durch Ignorieren, ganz unhysterisch. Was soll eine Versammlung, wenn es gar nicht um Dialog geht, sondern um  Verkündung?

Als betroffener Zuschauer wird man das Gefühl nicht los, dass sich hier zwei Streithähne beharken. Bildung, sagen wir besser Schulpolitik, als Bühne für Show und Selbstinszenierung. Zwei Menschen, die womöglich gar nicht so verschieden sind. In ihrer Eitelkeit unfähig zum Dialog und zur gemeinsamen Entwicklung mit anderen. Und beide biegen ab und untertunneln, wenn es in die Mühe der Ebene geht: Was ist uns Bildung wert, geht es um „Employabilty“, Schuldenbremse oder Emanzipation? Was sind die Kriterien guter Schule und guter Bildung? Da sind sie womöglich schon bei der nächsten Show. Wer das liest und dann das fragt doch, wie seriös mit einem umgegangen wird, und bei welcher Inszenierung er Zuschauer ist. Wir wissen ja: Es gibt eine NDR-Fußball-Show, eine Champions-League-Show. Wir sehen uns. In der Schul-Show. Bis dann.

Die neoliberalen Deformen in Schule werden nicht erkannt

Im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen verlaufen Entwicklungen in der Schule zeitverzögert. Während vielerorts Kritik am neoliberalen Denken und Handeln nicht mehr zu leugnen ist, ist diese Kritik in der Schule noch längst nicht angekommen. Zum einen, weil neoliberale Veränderungskonzepte, die vor 15 bis 20 Jahren angestoßen wurden, erst jetzt in die Schule Einzug halten, und zum anderen, weil sie als solche nicht erkannt werden. Denn es gelingt den entsprechenden »Reformbemühungen«, sich notwendige Veränderung und berechtigte Kritik an den bestehenden schulischen Zuständen zunutze zu machen. So wird Schule zu einer maßgebenden Agentur des Neoliberalismus, und es besteht die Gefahr, auf dem Weg über Bildung und Erziehung Gesellschaft noch langfristiger zu durchdringen und generationenübergreifend zu prägen.

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