Wer über die strategische und gesellschaftliche Bedeutung von PISA Hypothesen sucht und sich einen Reim auf das immer wiederkehrende Getöse um Durchschnitte und Rangplätze machen möchte, findet in einem Interview, das die Wirtschaftswoche mit Professor Volker Ladenthin führte, reichlich Anregung. Ein Fazit ist: Was PISA misst, ist nicht das, was die Bundesländer in ihren Verfassungen als Ziele von Bildung definieren. Und weiter: Die Auswechselung der Inhalte und Ziele ist ohne öffentliche Debatte und ohne parlamentarische Beschlüsse vonstatten gegangen.
Kategorie: Kontexte Schule u. Schulpsychologie
Schlägt die Verrohung des ökonomischen Mainstreams auf Schulen durch?
Dieses Nützlichkeitsdenken unterminiert aber gleichzeitig unsere sozialen und ethischen Werte, da es diese Werte unter den Vorbehalt der ökonomischen Nützlichkeit stellt. Galt die Menschenwürde einstmals als unbedingtes Grundrecht, so droht sie, nur doch dort gewährt zu werden, wo sie „nützt“. Damit sind jene Werte, die als unbedingt gelten sollen, nicht mehr unbedingt, d. h. sie stehen nur noch einem Teil der Menschen zu – nämlich jenen, die wir als „nützlich“ empfinden. Analog dazu wird also Solidarität zunehmend nur noch dort praktiziert, wo es uns ökonomisch nützt bzw. wo sie sich „verwerten“ lässt.
Wir sind als Berater/innen oder Lehrer/innen immer wieder damit konfrontiert, dass Schüler/innen schlecht für einen Lernprozess motiviert sind, der ihnen doch ihre Zukunft sichern soll. Oder wir sind erschüttert, dass Schüler sich so wenig sozial verhalten. Die einen piesacken und provozieren die anderen. Andere verzweifeln an der Rohheit ihrer Klassenkameraden, die sie gar nicht als solche erleben können. Ermunterung und soziales Lernen sind dann erste Alternativen. Vielleicht kommen diese Heilmittel aber auch zu flach daher, weil sie wichtige Teile der gesellschaftlichen und ökonomischen Realität nicht wahrhaben wollen. Will sagen: die Drastik der erlebten Verhältnisse schlägt die pädagogischen und psychologischen Absichten dieser oder jener Maßnahme.
Auf diese Idee wird derjenige kommen, der das Interview mit dem Volkswirt und Wirtschaftsethiker Sebastian Thieme liest. Er untersucht die Menschenbilder, die den herrschenden ökonomischen Theorien zugrunde liegen, wie sie Denken und Fühlen umformen. Ein Ergebnis: je prekärer die Lebenssituation, um so tiefer die Entsolidarisierung.
Schule ist in den vergangenen Jahren zielstrebig – auch im Namen der Wettbewerbsfähigkeit – in das Hamsterrad des Optimierungsgebots eingebaut worden – mit fatalen Folgen für die real existierenden Subjekte. Damit tut sich nicht selten ein Widerspruch zwischen den emanzipatorischen Restansprüchen der Schule und den Absichten der meisten Professionellen im Schulsystem einerseits und den Forderungen der Wettbewerbsgläubigen andererseits auf.
Wie die Empirische Bildungsforschung intellektuelle Armut erzeugt
Oder: Wie schlampige Methodenanwendung Erkenntnis verhindert
Deshalb führt der Weg der immer stärkeren Standardisierung von Bildung – getragen von einem nicht hinterfragten Glauben an die mathematische Modellierbarkeit des menschlichen Geistes – das Schulsystem in eine Kultur der intellektuellen Armut.
So lautet das Fazit des Mathematik-Didaktikers Wolfram Meyerhöfer. Anschaulich macht er seine Kritik unter anderem folgendermaßen:
Wenn ein Kochlehrling A einen exzellenten Braten machen kann, ein andererLehrling B hingegen eine wunderbare Quiche, dann kann die Empirische Bildungsforschungnicht einfach das Essen genießen. Die Lehrlinge müssen unbedingt in eine Kompetenzreihenfolge gebracht werden, das ist das zentrale Ziel der Kompetenzmodelle. Dazu lässt man viele Lehrlinge Braten und Quiche herstellen. Wenn viele Lehrlinge einen guten Braten hinbekommen und wenige Lehrlinge eine gute Quiche, gilt der Quiche-Meister B als der bessere Koch. Dieses Ergebnis ist empirisch fundiert und nachgerade objektiv. Wenn Sie also Braten-Fan sind und im Exzellenz-Lokal der Empirischen Bildungsforscher essen, dann zeigt Ihr Unwille gegenüber dem schlechten Braten dem Forscher lediglich, dass der Empirie Ihres Gaumens keinerlei Signifikanz zukommt.
Wer sich nicht mit Geschmacksfragen und Meisterköchen zufrieden geben will, sollte den vollständigen Artikel lesen.
All das ein Hinweis darauf, dass Wissenschaftlichkeit nicht unbedingt Erkenntnis und Problemlösung schaffen, wohl aber Geldbeschaffung für eine gewinnorientierte „Bildungs“industrie. Das wirft die Frage auf, ob solche Forschung und die Anwendung ihrer Ergebnisse überhaupt noch mit dem Grundgesetz und mit den Landesverfassungen vereinbar sind.
Ohne Moos nix los
Bildung, wie auch Schulpsychologie sind trotz aller mehr oder weniger verdeckter Privatisierungen noch immer öffentliche Angelegenheit. Immer wieder wird kritisiert, dass der der Bildungsbereich unterfinanziert ist. (Darüber hinaus gibt die inhaltliche Ausrichtung staatlicher Schulpolitik reichlich Anlass für Kritik). Zudem ist es bisher nicht gelungen, wenn es denn überhaupt ernsthaft angestrebt wird, die Chancen armer Kinder auf Bildung zu erhöhen. Geld und seine Verteilung spielt nach wie vor eine bedeutsame Rolle. Dazu einige HInweise:
Die Welt der Reichen
Steuerpolitik
Beratungsverständnisse – zahlreich und verwirrend
Manche Beratungsorganisationen, wie die Beratungsabteilungen der Hamburger ReBBZ, versuchen sich in der Quadratur des Kreises. Mit anderen Worten: Sie versuchen sich darin, jenseits aller guten Fachlichkeit der Beratungsprofessionalität die reflexive, freiwillige, ergebnisoffene sogenannte Prozessberatung und die steuernde, administrative, an der Durchsetzung staatlicher Interessen orientierte Einflussnahme von Behörden in einer Organisation unterzubringen.
Gut erkennbar wird das an der Bearbeitung von Schulpflichtverletzungen, die in bestimmten Fällen in den Aufgabenbereich der Beratungsabteilung fallen. Das Beratungsverständnis der Behörde wird im Punkt »Beratung von Eltern und Schülerinnen und Schülern« erkennbar. Es heißt dort: »Beratung ist durch Beratung von Eltern und Schülerinnen und Schülern sicherzustellen« – »im Beratungsprozess ist zu verdeutlichen« – Schulbesuch ist »für die weitere Lebensperspektive erforderlich« – einer Rechtspflicht ist zu genügen – die Zeit ist begrenzt. Diese »Beratung obliegt der Schule«, heißt es weiter.
Das könnte den Berater, der die Prozessberatung gesichert sehen möchte, beruhigen. Jedoch wird in bestimmten Fällen das Verfahren an die Beratungsabteilung des ReBBZ weitergegeben. Und damit muss der Berater/die Beraterin sich das in der Richtlinie niedergelegte Beratungsverständnis zu eigen machen. Im Übrigen wird das ReBBZ tätig, als sei es Schule (obwohl die Beratungsabteilung für die unabhängige Beratung stehen soll,) nämlich dann, wenn an der Schule keine Sozialpädagogik oder Schulsozialarbeit vertreten ist.
So wie in den »Richtlinien zum Umgang mit Schulpflichtverletzungen« Beratung aufgefasst wird, hat sie den Charakter von Belehrung und Inpflichtnahme – anders als die Prozessberatung es verlangt.
Für potenzielle Nachfrager nach Beratung ist der Doppelcharakter und die Signalwirkung dieser Aufgabenstellungen irritierend und lähmend. Gleiches gilt für die Berater selbst, die Schwierigkeiten haben dürften, die widersprüchlichen Rollen- und Settingfragen aufzuösen.
Steuerung in der Bildungspolitik
Jochen Krautz im Interview
Wem es tatsächlich um die Weiterentwicklung von Humanität, Demokratie und einer gerechten Wirtschaftsordnung geht, der kann nicht zusehen, dass die Grundlagen dafür derart untergraben werden, wie dies derzeit geschieht. Weder „homo oeconomicus“ noch Erleichterungspädagogik haben etwas mit guter Bildung zu tun, dagegen müsste es gerade von progressiver Seite eigentlich einen Aufschrei geben. Insofern muss man auch all die rot-grünen Landesregierungen schon einmal fragen, welche Ziele sie eigentlich verfolgen. Eine Lösung für die vorhandene Misere versprechen jedenfalls weder Titelinflation noch Ökonomisierung. Was wir stattdessen brauchen, sind Schulen, die ermutigen und – statt auszugrenzen -einbeziehen. Diese Schulen aber, die alle Kinder und Jugendlichen auch zu Leistung und Teilhabe ermutigen, brauchen bessere Ressourcen, mehr Lehrer, mehr Zeit und Ruhe, diese Arbeit auch zu leisten etc.
Das ist nur ein kurzes Zitat aus einem einem längeren Interview, das vor Kurzem auf den Nachdenkseiten veröffentlicht wurde. Jochen Krautz wurde hier schon öfter erwähnt. Er beschreibt präzise, wie das Schul- und Hochschulwesen mehr und mehr durch angebliche Wirtschaftlichkeit, die sich nicht zuletzt in einer Entwertung von Pädagogik und Beziehungsarbeit ausdrückt, verkommt. Was als unvermeidliche (alternativlose) so genannte Sparpolitik oder Optimierung von Schule und Hochschule daherkommt, ist letztlich die Abschaffung einer Pädagogik und Psychologie, die Menschen als Subjekte und damit als Gestalter ihrer Person und Umwelt betrachtet – stattdessen sollen sie sich darin üben, freiwillig tun, was von ihnen verlangt wird.
Man prüfe, inwieweit die eigenen Arbeitsbedingungen nach solchen Leitlinien „reformiert“ werden. Das Interview mit Jochen Krautz und seine Artikel sind dabei hilf- und lehrreich.
Schulpsychologie als Unterstützungssystem für Schule
Anfang der 1990 er Jahre wurde in der deutschen Schulpsychologie heftig diskutiert. Sollte sich die Schulpsychologie damit zufrieden geben, die Schäden, die Schule am Kind anrichtet, am Kind zu reparieren? Oder sollte sie nicht ihr Potenzial für die Entwicklung der Schule, für die Unterstützung der in ihnen arbeitenden Lehrer nutzen? Die Beantwortung der zweiten Frage mit einem Ja löste den so genannten Paradigmenwechsel der Schulpsychologie aus. Er wurde in den Bundesländern unterschiedlich aufgegriffen. Die Zeiten dafür waren nicht schlecht. In vielen Kultus- und Schulministerien waren Einsicht und der politische Wille vorhanden, dass Schule als System einen erheblichen Entwicklungsbedarf hatte und dass es auch darum gehen sollte, die Rolle von Person und Persönlichkeit im pädagogischen Prozess anzuerkennen. Und somit auch der Schulpsychologie einen Platz einzuräumen. Lehrerberatung, Supervision und ähnliche Beratungsformen gehörten damit in vielen Ländern zum Spektrum schulpsychologischer Angebote. Damit öffnete sich die Schulpsychologie auch deutlicher als zuvor zu Fachrichtungen der Organisations-, Sozial- und Arbeitspsychologie.
Eine neue Entwicklung gegenüber dem Beginn der 90 er Jahre ist, dass Schule und Schulpsychologie mehr und mehr im Sinne des Wirschaftsstandorts Deutschland ausgerichtet und funktionalisiert werden. Die Fremdorientierung an „Employability“ und Betriebswirtschaflichkeit im Sinne der aktuellen Kriterien wirtschaftlicher Nützlichkeit schafft heute wieder neue Bedingungen. Die emanzipatorischen Ansätze des Paradigmenwechsels sind heute gefährdet durch „Unverständnis“ für die unterschiedlichen Belange und Aufgaben von Beratung und Schule. Das aber ist ein anderes Thema.
Den Artikel von Helmut Heyse aus dem Jahre 1992, erschienen in der Zeitschrift Pädagogische Führung des Luchterhand-Verlags, habe ich bei Aufräumarbeiten entdeckt. Wenn es Einwände gegen die Veröffentlichung gibt, bitte ich um Nachricht.
Gebrochen – und gleichgültig tun. Hat das etwas mit Bildung zu tun?
Frau Merkel als Widerspiegelung der Mehrheit oder der gleichgültige Sozialcharakter
Zwei Artikel, die für den Kontext von Bildung und Persönlichkeitsentwicklung von Belang sein könnten. Nicht zuletzt unter dem Aspekt: Was tun Institutionen und diejenigen, die ihn ihnen arbeiten?
Vereinnahmung der Bildung durch Konzerninteressen
Zum vorangehenden Beitrag hier Originalveröffentlichungen von Lobbycontrol und Foodwatch
Schule und Kindergarten als Orte der Markenbindung
Geldknappheit und Privatisierung eröffnen Konzernen die Möglichkeit, die Bewusstseinsbildung an Schulen zu beeinflussen, das Vertrauen in Lehrer wird zu Werbezwecken benutzt