Psychosoziale Beratung gerät mehr und mehr unter Druck. Ein aktuelles Beipiel für ihre Funktionalisierung hier
Kategorie: Demokratie
Krise der Schule und Bildung – nützlich für Kontrolle und Testindustrie?
Schule und Bildung zum Zweck der Erkenntnis und Aufklärung, zur Beförderung von Selbstbestimmung und demokratischer Verfügung scheint aus der Mode gekommen. Aber noch regen sich Stimmen gegen diesen Verfall.
Der Autor von „We feed the world“ und „Let’s make money“, Eugen Wagenhöfer, hat sich jetzt auch dem Thema Schule und Bildung gewidmet. Hier einige Hinweise zu seinem neuen Film „Alphabet“ von 3sat.
Dazu passend die ausführliche Kommentierung eines Lesers der diversen Bildungsstudien auf den Nachdenkseiten (Nr.21)
Ich wundere mich, warum die Bildungspolitik Schulleistungsvergleiche im Stile von PISA nicht kritischer hinterfragt. Auch die Die Kritik ist viel zu zahm. Diese Studien sind m.E. nicht nur wertlos, sondern dysfunktional:
- Rangplätze, die von der Testindustrie gern verwendet werden, weil sie in den Medienredaktionen begeistert aufgenommen werden, sind völlig sinnlose Messwerte. Würde die Politik sich auf solche “Messwerte” verlassen, wenn es sich um Entscheidungen über die Kostenvoranschläge für neue Schulgebäude handelt? Bringt man dann die Angebote nur in eine Rangreihe? Ist es nicht wichtig zu wissen, welche absoluten Kosten in Euro sich dahinter verbergen? Wir wissen nichts, was bei den Schultests der “mittlerere Rangplatz” wirklich bedeutet. Wenn, wie ich vermute, die Messwerte eng beieinander liegen und vielleicht sogar nicht wirklich fachliche Kompetenzen messen, sondern irgendetwas anderes, dann sollten wir nicht über den Unterricht in unseren Schulen diskutieren, sondern über die Testindustrie. Weiterlesen „Krise der Schule und Bildung – nützlich für Kontrolle und Testindustrie?“
Wie die Empirische Bildungsforschung intellektuelle Armut erzeugt
Oder: Wie schlampige Methodenanwendung Erkenntnis verhindert
Deshalb führt der Weg der immer stärkeren Standardisierung von Bildung – getragen von einem nicht hinterfragten Glauben an die mathematische Modellierbarkeit des menschlichen Geistes – das Schulsystem in eine Kultur der intellektuellen Armut.
So lautet das Fazit des Mathematik-Didaktikers Wolfram Meyerhöfer. Anschaulich macht er seine Kritik unter anderem folgendermaßen:
Wenn ein Kochlehrling A einen exzellenten Braten machen kann, ein andererLehrling B hingegen eine wunderbare Quiche, dann kann die Empirische Bildungsforschungnicht einfach das Essen genießen. Die Lehrlinge müssen unbedingt in eine Kompetenzreihenfolge gebracht werden, das ist das zentrale Ziel der Kompetenzmodelle. Dazu lässt man viele Lehrlinge Braten und Quiche herstellen. Wenn viele Lehrlinge einen guten Braten hinbekommen und wenige Lehrlinge eine gute Quiche, gilt der Quiche-Meister B als der bessere Koch. Dieses Ergebnis ist empirisch fundiert und nachgerade objektiv. Wenn Sie also Braten-Fan sind und im Exzellenz-Lokal der Empirischen Bildungsforscher essen, dann zeigt Ihr Unwille gegenüber dem schlechten Braten dem Forscher lediglich, dass der Empirie Ihres Gaumens keinerlei Signifikanz zukommt.
Wer sich nicht mit Geschmacksfragen und Meisterköchen zufrieden geben will, sollte den vollständigen Artikel lesen.
All das ein Hinweis darauf, dass Wissenschaftlichkeit nicht unbedingt Erkenntnis und Problemlösung schaffen, wohl aber Geldbeschaffung für eine gewinnorientierte „Bildungs“industrie. Das wirft die Frage auf, ob solche Forschung und die Anwendung ihrer Ergebnisse überhaupt noch mit dem Grundgesetz und mit den Landesverfassungen vereinbar sind.
Geht die „Empirische Bildungsforschung“ ihrem Ende entgegen?
Andreas Gruschka hat an der so genannten Empirischen Bildungsforschung jahrelang kritisiert, dass diese die Mikroprozesse des Lernens und Lehrens ignoriert beziehungsweise zum tatsächlichen Problemverstehen des Unterrichtens kaum etwas beiträgt. Und damit auch nicht zur Lösung. Gruschka selbst ist den subjektiven Lernprozessen akribisch auf die Spur gekommen – ohne das Getöse der großen Untersuchungen „um PISA herum“.
Die Gründung einer Organisation der Empirischen Bildungsforschung deutet er nicht als besondere Stärke. Vielmehr sieht er sie im Niedergang begriffen. Nicht zuletzt deshalb, weil sich bei den staatlichen, neoliberalen Abnehmern der Forschungsergebnisse Zweifel durchsetzten über die Relevanz der Forschungsergebnisse. Seine Position ist nachzulesen beim Forum Kritische Pädagogik und hier als pdf
Nicht zuletzt ist der Artikel lesenswert, weil er sich mit dem Bildungsforscher Baumert auseinandersetzt
Verfehlen die optimierten Ausbildungskonzepte systematisch Verantwortung und Persönlichkeit?
In „abgelegenen“ Sendereihen des Radios tauchen gelegentlich Themen auf, die in den Mittelpunkt der Diskussion gehörten, zumindest bei Psychologen. Es hat zumindest den Anschein, dass diese kaum noch Verteidiger der Persönlichkeit, des Subjekts etc. sind. In der Schul- und Arbeitsverwaltung scheinen sie sich den Optimierungskonzepten der Rationalisierer auszuliefern – oder es fehlen ihnen die Worte und Begriffe für das, was da geschieht. Gerade wer es mit der Verbessserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, mit verantwortlichem Umgang mit Mensch und Natur ernst meint, kommt um die Stärkung von Persönlichkeit und Individualität nicht herum. Die aber werden von modernen Ausbildungskonzepten systematisch untergraben, wie der Unternehmensberater Thilo Baum zeigt. Hier zum Nachhören.
Nicht zuletzt im Zusammenhang der Umsetzung der Inklusion, der kaum reflektierten Inklusionsverständnisse, die ihr zugrunde liegen, ist es interessant, sich mit den Optimierungskonzepten in verschiedenen Epochen zu befassen. Systematik und Reihenuntersuchungen faszinieren nicht selten Menschen mit Allmachtsgefühlen und Kontrollansprüchen, nicht selten mit eben dem Anspruch, die Welt verbessern zu wollen. Dahinter hat dann das konkrete Individuum zurückzutreten. Perfektheits- und Reinheitsforderungen, wie auch ihre zentral(istisch)e Umsetzung durch Politik und williger Wissenschaft können unterschiedliche Formen annehmen, wie eine Sendung im DLF zeigt.
Vereinnahmung der Bildung durch Konzerninteressen
Zum vorangehenden Beitrag hier Originalveröffentlichungen von Lobbycontrol und Foodwatch
Bildung als Selektionshebel
Franz Walter hinterfragt den alten Leitgedanken, dass Bildung und Wissen der Schlüssel zu gesellschaftlichem Aufstieg seien. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Rede von der Chancengesellschaft für viele ein leeres Versprechen bleibt. Es diene der Verschleierung von rigiden Macht- und Abschottungskämpfen
Dazu passt dieser Artikel über soziale Gerechtigkeit.
Beratung zwischen Subjektstärkung und Optimierungszwängen
Die Zeiten ändern sich – und mit ihr die Schulberatung, wie ich in meinem neuen Aufsatz Steuerung optimiert – Beratung und Subjekt tot? zu zeigen versuche. Obwohl es in vielerlei Hinsicht „aufs Subjekt ankommt“, soll es gemäß Standards funktionieren. Und mit ihr die Schulberatung. Zumindest mancherorts. Wachsamkeit ist angesagt.
Nicht nur Schule, sondern auch die ihr nachgelagerte Schulberatung steht unter Veränderungsdruck. So widersprüchlich, schlecht vorbereitet und umgesetzt die Reformen erscheinen mögen, verfolgen sie doch einen Zweck. Sie sind Stationen der Wende zur unternehmerischen Schule, die wie ein Betrieb geführt wird. Die »Employability« am Markt soll der Zweck von Schule sein, nicht der den Menschen »bildende« Prozess im Sinne von Verstehen und kritischer, eigenständiger Urteilsfähigkeit. Weiterlesen „Beratung zwischen Subjektstärkung und Optimierungszwängen“
Die neoliberalen Deformen in Schule werden nicht erkannt
Im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Bereichen verlaufen Entwicklungen in der Schule zeitverzögert. Während vielerorts Kritik am neoliberalen Denken und Handeln nicht mehr zu leugnen ist, ist diese Kritik in der Schule noch längst nicht angekommen. Zum einen, weil neoliberale Veränderungskonzepte, die vor 15 bis 20 Jahren angestoßen wurden, erst jetzt in die Schule Einzug halten, und zum anderen, weil sie als solche nicht erkannt werden. Denn es gelingt den entsprechenden »Reformbemühungen«, sich notwendige Veränderung und berechtigte Kritik an den bestehenden schulischen Zuständen zunutze zu machen. So wird Schule zu einer maßgebenden Agentur des Neoliberalismus, und es besteht die Gefahr, auf dem Weg über Bildung und Erziehung Gesellschaft noch langfristiger zu durchdringen und generationenübergreifend zu prägen.
Gut zu lesen
Leben und Arbeiten mit Wissen (Wissensarbeit)
Zwischen Autonomie und Burnout
Kapitalismus
Journalismus
Die Zeit ruft
zur Revolution im Lehrerzimmer
Und hier noch einmal ein Hinweis zu