Schulpolitik als Inszenierung – der Bürger als Showgast

Senator Ties Rabe kritisiert in der „Zeit“ vom 18.4.2013 das neue Buch von Richard David Precht. Von dem der Welt Kritiker schreibt, dass es auf keinen Fall hätte geschrieben werden sollen.

Sofakritiker schimpft Ties Rabe ihn. Das erinnert an den Genießer in der Etappe, der den Krieg in entspannter Lage verfolgt, während der Kämpfer und Held sich an der Front schlägt. Hui. Da geht es aber zur Sache. Rabe bedauert, dass Schulpolitik nur allzu oft ein Tummelfeld von Hysterikern und Vereinfachern sei. Viel Glaube, wenig Vernunft, konstatiert der sich empört zeigende Senator. „Und selbst?“ möchte man einwerfen. Keine Neigung zu Vereinfachungen in der Schulpolitik?

Zehn Tage später lesen wir im Abendblatt, dass er sich in einer Kontroverse mit 67 Schulleitern geschlagen habe („es redete nur einer: Schulsenator Ties Rabe (SPD)“). Diese Führungskraft und ihren Gestaltungswillen habe schon andere zu spüren bekommen. Vereinfachen durch Ignorieren, ganz unhysterisch. Was soll eine Versammlung, wenn es gar nicht um Dialog geht, sondern um  Verkündung?

Als betroffener Zuschauer wird man das Gefühl nicht los, dass sich hier zwei Streithähne beharken. Bildung, sagen wir besser Schulpolitik, als Bühne für Show und Selbstinszenierung. Zwei Menschen, die womöglich gar nicht so verschieden sind. In ihrer Eitelkeit unfähig zum Dialog und zur gemeinsamen Entwicklung mit anderen. Und beide biegen ab und untertunneln, wenn es in die Mühe der Ebene geht: Was ist uns Bildung wert, geht es um „Employabilty“, Schuldenbremse oder Emanzipation? Was sind die Kriterien guter Schule und guter Bildung? Da sind sie womöglich schon bei der nächsten Show. Wer das liest und dann das fragt doch, wie seriös mit einem umgegangen wird, und bei welcher Inszenierung er Zuschauer ist. Wir wissen ja: Es gibt eine NDR-Fußball-Show, eine Champions-League-Show. Wir sehen uns. In der Schul-Show. Bis dann.

Eindrücke vom Bundeskongress Schulpsychologie in Münster

Vielleicht täusche ich mich. Es schien mir, als sei ich einmal mehr auf einer Veranstaltung gewesen, auf der die Schulpsychologie verdeutlichen wollte: Liebe Bildungspolitiker und Bildungsplaner vergesst nicht die Schulpsychologie, wenn ihr wieder einmal – (es gab ja schon so viele) eure neue, diesmal die inklusive, Schulwelt baut. Wieder einmal wurde das bekannte Material in Stellung gebracht, welches wir haben oder zu haben meinen. Und wieder einmal wurde die Unzeitgemäßheit der Schule und ihrer Planer »bewiesen«, etwa indem Andreas Schleicher seine welt- und empiriegestützten Perspektiven präsentierte.
Einladungen zu Aktionismus, aber auch zu Überforderung: Was könnte »ich«, müsste »ich« nicht alles anpacken, wenn ich ein guter Schulpsychologe wäre? Was es nicht gab: Die Frage nach den Gesprächspartnern in Politik und Verwaltung, nach den dort herrschenden Vorstellungen und Menschenbildern in der inklusiven Schulwelt von morgen. Und die Frage danach, ob denn die angestrebten Umorganisationen (da, wo sie geplant sind) überhaupt sachlich begründbar sind.
In solcher Lage ist es sinnvoll, sich auf den Kern der Schulpsychologie zu besinnen. Und auf ihren dienstlichen, aufsichtlichen, organisationellen Rahmen, den sie braucht, um ihr Potenzial entfalten zu können.

Weiterlesen „Eindrücke vom Bundeskongress Schulpsychologie in Münster“

Gaul tot – endlich Zeit oder doch noch Debatte?

Diesen Blog wollte ich verfallen lassen, ihn bald ganz schließen. Zu wenig Resonanz. Zu viel zu tun im ganz normalen beruflichen Alltag, zu viel zu tun mit Arbeitsgruppen, in denen es darum ging, wie denn bei der Neuorganisation der Beratung schulpsychologische Standards zu sichern wären. Und nicht zu vergessen: die Ferien. Und überhaupt. Lohnt sich die Bloggerei, wofür das alles?

„Kannst du nicht ein Inputreferat für unsere Gewerkschaftsgruppe machen?“ Na gut, ich mach’s. Dann: Absage. Zu wenig Anmeldungen. Siehste. Aber wie die unfertigen Gedanken, die unvollständige Gestalt abschließen? Alles was ich sagen wollte oder vielleicht hätte sagen können, aufschreiben. Die Sache verschickt. „Au. Das ist aber interessant.“ Na gut. Vielleicht ist der Gaul noch nicht tot und jemand kann mit dem Aufsatz etwas anfangen.

Was könnte der Sicherung einer qualifizierten Beratung helfen?

  • Eigene Telefonnummer und eigener Eingang für Beratung
  • Etablierung von Beratung als anspruchsvolles und voraussetzungsreiches Mittel für persönliche und organisationelle Entwicklung
  • Kenntlichmachen und offener Umgang mit unterschiedlichen Beratungsverständnissen (etwa Pädagogik – Psychologie), gegebenenfalls mit ihrem organisatorischen Niederschlag
  • Strukturelle Repräsentanz des Tätigkeitsfeldes Beratung auf mehreren Leitungsebenen
  • Entwicklung einer Kultur der Beratung
  • Kontinuierliche und systematische Reflexion über die Beratungsarbeit und ihre Bedingungen
  • Enge Kooperation mit benachbarten Fachgebieten auf der Basis von Eigenständigkeit
  • Regelmäßiger Austausch mit vorgesetzten Ebenen
  • Rechenschaftslegung, Evaluation und Planung mit vorgesetzten Ebenen
  • Keine Vermischung der Beratung mit unterrichtlichen und schulaufsichtlichen Aufgaben.

Ist die geschützte Beratung am Ende?

Schulpsychologische (und andere) Beratung findet und fand in der Regel in Einrichtungen statt, die in ihrem Zweck eindeutig erkennbar sind/waren. Der besondere Schutz von Privatgeheimnissen ist ihnen in ihren Grundlagen eingeschrieben. Ohne ihn könnte der Zweck der Einrichtung nicht erfüllt werden. Der Charakter besonderer Vertraulichkeit ist mit solchen Einrichtungen eng verbunden. Die Geheimnisse des Ratsuchenden werden dem Berater / der Beraterin als Person mitgeteilt – nicht der Institution, sie werden in einer persönlichen Beziehung offengelegt.

Weiterlesen „Ist die geschützte Beratung am Ende?“

Pädagogische und politische Diskurse im Gestus der Rechtschaffenheit

Die Guten. Das sind doch wir

Das Denken und Reden über zeitgemäßes Handeln findet in Formen und Strukturen statt, die sich bereichsübergreifend ähneln. Ein Beispiel sind eine konkrete schulische Praxis und die Einlassung des Bundesaußenministers. Sie benutzen beide die Vorstellung, Menschen wollten leistungslos sich einen Vorteil erschleichen. Dem gelte es, einen Riegel aus Konsequenz und Fordern entgegenzustellen. Beide verkennen die tatsächlichen Leistungen der Schuldner. Weiterlesen „Pädagogische und politische Diskurse im Gestus der Rechtschaffenheit“

Steuerung statt demokratischer Entwicklung. Ergebnis: Frust und Reibungsverlust

Dem Anschein nach gibt es eine einzige und damit selbstverständlich »alternativlose« Form der Beratungsorganisation, die im Zuge der Inklusionsumsetzung zu realisieren ist, wenn REBUS und neuerdings die Fusion der REBUS mit den noch zu gründenden Bildungszentren propagiert werden. Alles soll effizienter werden, Eigenständigkeiten sollen gewahrt bleiben – warum dann die Fusion? – Alles wird vorbildlicher, und noch dazu für die ganze Republik. Was in den wenigen Diskussionsgelegenheiten erkennbar wird, ist, dass die Fusion eine politische Vorgabe ist. Einen inhaltlichen Entwicklungsprozess durch Kommunikation gibt es nicht.
Wie bei Reformen der Schule häufig geht es nicht darum, endlich die Bedingungen für ein personenbezogenes Lernen zu schaffen, sondern darum, Steuerung und Kontrolle im Schulsystem zu erhöhen, und zwar im Sinne eines unternehmerischen, auf Rentabilität orientierten Modells. Im Namen der Übersichtlichkeit und des Abbaus von bürokratischem Wildwuchs, werden Organisationen geschaffen, die Eingriffe und Steuerung erleichtern (sollen). Das spricht manche Wünsche, auch pädagogische, sowie Ressentiments an: Muss nicht wirklich etwas geschehen angesichts der wachsendenden Störungen im Schulsystem? – In diesem Sinne hat sich dann auch Beratung zu formieren. Weiterlesen „Steuerung statt demokratischer Entwicklung. Ergebnis: Frust und Reibungsverlust“

Schulpsychologie zwischen medizinischem Modell und Prozessberatung

„Schulpsycholog-innen unterstützen Menschen in Schulen dabei, miteinander Lernprozesse zu entwickeln und umzusetzen.“ Und Rückmeldungen über gestörte Prozesse hätte sie zu geben — und nicht über gestörte Personen. Das ist für Volker Bohn eine Perspektive der Schulpsychologie. Damit könnte sie sich aus ihrer Verhakelumg im medizinischen Modell und aus einer Tradition der »Besonderung« befreien. (jm)

Seit wann ist Schulpsychologie inklusiv?

Von Volker Bohn, Schulpsychologe in Niedersachsen

Die aktuelle Inklusionsdebatte kommt, hierzulande nicht „von innen“, nicht aus den Schulen, Gewerkschaften, Parteien, Hochschulen, Verbänden, usw., sondern ist ebenso wie bei der PISA-Debatte Reaktion auf eine externe Intervention. Bei PISA war es die OECD, in Sachen Inklusion die entsprechende UN-Resolution von 2007, vom Bundestag ratifiziert 2009.
In Sachen Inklusion scheint die einhellige Reaktion darin zu bestehen, dass die UN-Resolution ‚offene Türen’ einrenne, dass ‚man sowieso schon immer dafür gewesen sei: Integration oder Inklusion – alles nur zum Besten für die Behinderten!
Tatsächlich? Weiterlesen „Schulpsychologie zwischen medizinischem Modell und Prozessberatung“

Erfahrungen artikulieren

Bei so viel Steuerungswillen, Struktursetzung ohne Diskussion, wie beispielsweise in Hamburg, aber auch in anderen Bundesländern, ist eine Frage: Was kann der / die Einzelne tun? Ist er oder sie ausgeliefert? Ist das Abwarten die einzig mögliche Lösung?

Ich glaube nicht. Viele Kolleginnen und Kollegen haben in den vergangenen Jahren oder Monaten mehr oder weniger mühselig sich Standpunkte erarbeitet. Für sich selbst, gemäß eigenen, inneren Leitlininien, für die Kollegen in der eigenen Organisation und in Auseinandersetzung mit ihnen, für die anfragenden Eltern und Lehrkräfte.

Bedauerlicherweise münden diese Erfahrungen bisher nicht überall in eine Diskussion über sie, in ein gemeinsames Berufsprofil. Ein solches gemeinsames Berufsprofil könnte die individuellen Bemühungen in der Wirkung verstärken, vielleicht sogar beflügeln. Der Ort, von dem aus ich handle — mein haltender Rahmen — , Status und Selbstsicherheit könnten profitieren und die Arbeit „flüssiger“ machen.

In den individuellen Erfahrungen, in ihrer Zusammenfassung liegt das Potenzial, für die Mitgestaltung neu zu bildender Organisationen.

Demokratie am Ende – oder mehr Demokratie wagen?

In zahlreichen Organisationsentwicklungsansätzen ist die Rede davon, dass es darum gehe, die die Erfahrungen und Potenziale der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einzubeziehen. Nicht selten mündete dies darin, Spielwiesen für Interessierte einzurichten. Nicht selten walzte später eine Maschine von Sachzwängen über zarte Pflänzchen der Beteiligung hinweg. Parallel wurden in nicht wenigen Bundesländern die die Mitbestimmungsrechte eingeschränkt (in NRW wurden sie nach der letzten Wahl von Rotgrün teilweise wieder hergestellt).

Was in Fragen der Finanz- und Europapolitik immer mal wieder zu hören ist, ist eine Klage über den Demokratiemangel: In Hinterzimmern würden keine oder nur schwach legitimierte Ausschüsse anordnen und verfügen, so der Ex-SPD-Europapolitiker Günter Verheugen. Gleiches lässt sich aber auch in der Bildungspolitik beobachten. Schulen und neueinzurichtende Dienststellen und Abteilungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Umsetzung der Inklusion, sehen sich zu einer Manövriermasse von Politik und Verwaltungen degradiert. Was in Schule noch ohne Widerstand hingenommen wird, entwickelt sich an anderen Stellen gegenteilig. Der Anti-S21-Virus wird zu einer Horror-Vision der Großstragegen, die zu wissen meinen, was gut und richtig ist. Inzwischen gibt es offen Forderungen, die demokratischen Rechte einzuschränken, mit Sympathie in zahlreichen Medien verbreitet.

Das ist ein Hinweis darauf, dass Ziele wie Inklusion, Bildungsgerechtigkeit, Bildung als Mittel der Emanzipation und auch Beratung als Mittel emanzipatorischer (Selbst-) Aufklärung auf eine breite Bewegung für Bildung angewiesen sind. Das Denken in Kategorien von Wahlperioden, der Zuständigkeit von Parteien greift zu kurz. Vorbild: die Anti-Atombewegung – oder die Bewegung gegen S21. Kleiner scheint es nicht zu gehen.