Der Kampf um Demokratie und die eigene Angst


Die Schulministerin für NRW, Dorothee Feller, ruft in der Neuen Westfälischen dazu auf, dass Lehrer und Lehrerinnen, am besten mit ihren Schülerinnen und Schülern, zu Demos gegen rechts, gegen Rechtsextremismus, gegen Demokratiefeinde gehen sollen. Offensichtlich soll dieses Nudging, dieses Anstubsen und Schubsen Lehrer und Schüler in eine regierungsgenehme Richtung zu drängen. Von selbst kämen sie wohl nicht darauf, in eigener, freier und urteilsfähiger Entscheidungskraft zu Demonstrationen zu gehen, könnte man meinen.

Die Ministerin will sich an die Spitze einer Bewegung stellen, sie selbst habe kürzich an einer Demonstration teilgenommen, berichtet sie. Gutes bewirken, wo doch sonst so wenig gelingt, Wählerstimmen verloren zu gehen drohen, der Sinn und Zweck vieler politischer Entscheidungen so schlecht kommunizierbar erscheinen, die Menschen also einfach nicht begreifen wollen, wie gut die Regierenden es doch meinen.

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Wo stehen wir, wo steht ihr?

Wenn das möglich war, ist alles möglich

Michael Andrick findet Worte (»Bis heute ist da eine Scheu und eine dicht unter meinem Alltagsbewusstsein lauernde Beklemmung, eklig und tagdurchseuchend«), die auch mein Befinden wiedergeben. Wenn auch andere so empfinden, müsste es doch um die Frage gehen: Wie weitermachen? Können wir so weitermachen, als wäre nichts gewesen, als brauchten wir uns nur mal eben zu schütteln? Und dann auf zum nächsten Casus belli?

Wir Bürger müssen erst mal wieder lernen, angstfrei und ergebnisoffen zu diskutieren. Dann kommen die Ideen, wie wir unser Gemeinwesen wieder vertrauenswürdiger machen können, von ganz allein. Ich schreibe jetzt ein kurzes Buch über Spaltung und Versöhnung, um mitzuhelfen.

Was darf noch gesagt werden?

Einen bedenkenswerten Kommentar

kann man im Handelsblatt lesen (Auszug):

Polarisierung, Aggression und Hysterisierung sind die Merkmale dieser Fehlentwicklung. Wer hätte schon gedacht, dass Kriterien der Vernunft auf einmal ebenso eine nachgelagerte Rolle spielen wie Motive der individuellen Freiheit, etwa der Meinungs- und Kunstfreiheit? Oder dass das „Brüderlichkeit“-Gebot der Französischen Revolution wie ein nostalgisches Relikt aus besseren Tagen des Bürgertums erscheint?

Nachdenken über Medien

«Die Zeitungsspalten sind öffentliche Informationsträger. Wenn diejenigen, die sie kontrollieren, sich das Recht herausnehmen, zu bestimmen, was zu welchem Zweck berichtet werden soll, dann kommt der demokratische Prozess zum Erliegen (…) Denn die Zeitung ist im wahrsten Sinne des Wortes die Bibel der Demokratie, das Buch, aus dem heraus ein Volk sein Handeln bestimmt.»

Wenn Menschen nicht mehr wagen, öffentlich ihre Meinung zu äussern, weil sie Angst haben, von der «Öffentlichen Meinung» abzuweichen, dann ist etwas faul an unserer Demokratie. Wenn das Denken «von Panik verkümmert» sei, so formulierte Walter Lippmann, dann hätten die Menschen auch Angst vor Ideen.

Quelle: Infosperber

Blick in die unteren Klassen

Wovon reden wir, wenn wir von den bildungsfernen Schichten reden? Wenn wir etwas von ihnen verstehen, was bleibt übrig, wenn wir damit beschäftigt sind, Schülerinnen und Schüler in die bestehende Ordnung hineinzuprozessieren?

Hier eine kleine Presseschau

Der Stolz der Arbeiterklasse

Das Existenzminimum ist ein Minimum ist ein Minimum

Die Grenzen der Freiheit

Die sozial geformte Individualisierung

Angsterzeugung als Herrschaftsmittel

»Demokratie geht nämlich nicht nur mit einem Versprechen einer gesellschaftlichen Selbstbestimmung einher, sondern auch mit einem Versprechen einer größtmöglichen Freiheit von gesellschaftlicher Angst. Demokratie bedeutet also den Verzicht auf eine der wirksamsten Herrschaftstechniken überhaupt: der systematischen Erzeugung gesellschaftlicher Angst.«

In einem ausführlichen und interessanten Interview stellt der Psychologe Rainer Mausfeld einen Zusammenhang zwischen Neoliberalismus, Angst (-erzeugung), Demokratie und Macht her. Das wirft Fragen und Anreize zum Nachdenken auf, zum Beispiel: Welche Rolle spielt Schule in diesem Prozess, welche Rolle übernimmt Schulpsychologie und -beratung dabei?

Kein Bildungsthema — jedoch von hohem Bildungswert

Feige, hinterhältig, menschenfeindlich, auf jeden Fall undemokratisch und zivilisatorisch niedrig stehend, werden von unseren politischen Leistungsträgern Menschen beschrieben, die einen Anschlag verüben, die sich rücksichtslos durchsetzen und nur ihre eigenen, absurden Ziele verfolgen. Gern werden das offene Visier, der Mut, die Risikobereitschaft, Offenheit, ja Weltoffenheit verlangt − nicht zuletzt von Schülerinnen und Schülern.

Da kommen einem die Tränen, wenn man liest, wie die Regierungsfraktionen ein Grundrecht kassiert haben. Sie haben das Grundrecht, das sie störte, einfach einem ganz anderen Gesetz aufgeschnallt und ihm so die Weihen der Mehrheit gegeben. So kann man natürlich auch die Demokratie in die Tonne kloppen. Nur bitte dann nicht mehr jammern, wenn sich Schüler und andere ganz hinterhältig und feige nur noch für ihren eigenen, persönlichen Vorteil interessieren. Und bitte, bitte, keine moralinen Reden mehr von offener Auseinandersetzung, Mut zur Offenheit und zum Risiko.

Mehr dazu hier und

hier

 

Psychoanalyse und Terrorismus

Radikalisierung als Form der Selbsttherapie

Jenseits der Strategien von Überwachung und Repression − mehr dem Ziel der Entdemokratisierung und Machtsicherung als der Demokratie und Emanzipation dienend − tauchen in Spezialsendungen der Medien gelegentlich Informationen auf, die das Nachdenken anregen. So heute im Deutschlandfunk in dessen Religionssendung.

Die Dschihadisten von heute kommen nicht umsonst vor allem aus den ehemaligen Kolonialländern Frankreich, Großbritannien und Belgien. Und die ehemaligen Kolonialmächte beteiligen sich bis heute an den Kriegen in vielen muslimisch geprägten Regionen. Diese Kontinuität bewirkt, dass die Idee des Krieges viele junge Menschen mobilisiert. Laut der dschihadistischen Theorie führt der Westen seine ‚Kreuzzüge‘ gegen den Islam bis heute fort.

Der Psychoanalytiker und Islamwissenschaftler Fethi Benslama spricht sich gegen ein Konzept der De-Radikalisierung aus. Das hält er für »Gehirnwäsche«. Solche Umerziehungsmaßnahmen, wie sie auch oft in Anti-Gewalt-Maßnahmen hiesiger Art vorkommen dürften, verkennen die tiefen, historisch und psychisch angelegten Verhaltens- und Erlebensweisen. Ernsthafte Arbeit der Persönlichkeits- und Institutionenentwicklung, jenseits der Funktionalitätskonzepte, wie sie heute − leider gerade auch in Schule − verbreitet sind, benötigt einen anderen Rahmen.

Weiterer Literaturhinweis

Hinweis auf Interview mit Arno Gruen