Bildungsreform und Propaganda

Da ist Jochen Krautz mit „Bildungsreform und Propaganda“ mal wieder ein feiner Aufsatz gelungen, erschienen im Forum kritische Pädagogik. Er ist geeignet, die Dinge der Pädagogik und Bildungspolitik im besten Sinne aufzuklären. Wer die sogenannte Reformpolitik der letzten 15 Jahre verstehen will, weshalb sich nichts bessert und doch alles immer so weiter geht, sollte sich die Mühe machen und die 40 Seiten lesen. Die grundlegende These ist: Der Ökonomismus ist das Programm unterschiedlichster Organisationen, wie der OECD,  der Bertelsmann-Stiftung und anderer. Gezielt folgen sie einem Programm des ökonomischen Imperialismus, mal soft, mal hart. Oder anders ausgedrückt: Sie folgen einem Programm der Entdemokratisierung.

Gerade weil der Theorie der »Chicago School of Economics« keine Wirklichkeit entspricht,
dies nicht einmal beansprucht wird, kann sie nur mit kontrafaktischen Behauptungen
und durch Inszenierung in politische und ökonomische Wirklichkeit
überführt werden. (Vgl. Brodbeck 2010) Die Realität neoliberaler Theorie muss erst
hergestellt werden und sei es — wie Naomi Klein gezeigt hat — mit brutaler Gewalt.
(Vgl. Klein 2007) Gerade »die Theorie DES MARKTES ist nicht nur eine Theorie (angesiedelt im Diskursraum der Wissenschaft), sondern auch ein Propaganda-Ansatz,der die gesamte Kultur umkrempeln will.« (Ötsch 2009, S. 15)

Dabei knüpft die öffentliche Kommunikation der PISA-Ergebnisse gezielt an den Interessen
und Vorstellungen unterschiedlicher Gruppen an, die ihrerseits auf die neu
geschaffene Realität zugreifen, um eigene Interessen zu stützen. Ob pro oder contra
Gesamtschule, für oder gegen Sitzenbleiben, für individuelle Förderung oder
Klassenunterricht: Für und gegen alles Mögliche wurde und wird mit PISA argumentiert.
Dabei wird meist übersehen, welches reduktionistische Menschenbild man mit
der Bezugnahme auf PISA zugleich etablieren hilft, denn dieses hat jeder bereits akzeptiert,
der auch kontrovers über PISA diskutiert. (Vgl. Pongratz 2009, S. 114) Das
in Verfassungen und Richtlinien verankerte Verständnis vom Menschen als selbstbestimmter,
vernünftiger und dem Gemeinwohl verpflichteter Person wird so immer
weiter verdrängt.

Der Autor geht auch der Frage nach, welchen Sinn eine Absenkung des Bildungsniveaus haben könnte. Und weshalb mehr und mehr Widersprüche aufbrechen, die Ansätze für demokratisches Handeln liefern.   Selber lesen macht schlau.

Zunahme seelischer Probleme bei Kindern und Erwachsenen

Das wirft die Frage danach auf, wie wir leben, lernen und arbeiten wollen

Kurz vor den Weihnachtstagen berichtete das Hamburger Abendblatt am 20.12.2012 über »die Seelennöte der Hamburger Kinder«. Sie wollen so gar nicht zu Glanz und Glamour einer der reichsten Städte Deutschlands passen.
Das Blatt schrieb über die Studie »Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen: Die WHO-Jugendgesundheitsstudie für Hamburg«. Zum einen weisen die Ergebnisse darauf hin, dass es vielen Kindern in Deutschland nicht gut geht, zum anderen machen sie deutlich, dass es in Hamburg prozentual gesehen mehr Kindern schlecht geht als im Rest der Republik.
Laut Prof. Michael Schulte-Markwort, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) hänge das mit bestimmten »Risikokonstellationen« Hamburgs zusammen. »Diese Kinder und Jugendlichen kommen vor allem aus Familien mit niedrigem Einkommen, schlechten Bildungsstand oder Migrationshintergrund« wird eine andere Forscherin zitiert. Weiterlesen „Zunahme seelischer Probleme bei Kindern und Erwachsenen“

Wer gelangt wie unter welchen Umständen zur Partizipation?

Die Verhältnisse scheinen sich immer mehr dahin zu entwickeln, dass es die Eliten in Politik und Behörden sind, die die Linien der Politik der entscheiden und vorgeben. Das wäre nicht problematisch, wenn sie nicht Demokratie spielten, sondern sie praktizierten. Formal  geht selbstverständlich (fast) alles demokratisch korrekt zu. Tatsächlich aber stehen die Lobbyisten, auch in der Bildungspolitik, in den Staatskanzleien und Ministerien und füttern die Ministerialen mit Ideen. Sie sind nicht zuletzt von Steuerungsinteressen, vom Mantra der Kostenneutralität und Effizienz gekennzeichnet. Zusammen mit den prekärer werdenden Lebensbedingungen vieler Menschen führt das zur Verringerung der Bildungschancen, zur Vergiftung des Lernklimas in den Schulen, zu zerstörerischem Stress bei Lehrkräften und Schüler/innen.
Franz Walter, selbst aus kleinen Verhältnissen stammend, schrieb am Wochenende über Partizipation, ihre Bedingungen und Voraussetzungen.
Detlef Hensche, vor einigen Jahren Vorsitzender der IG Medien, schrieb über die politische Seite der Einflussnahme.
Mal wieder was zum Nachdenken.

Machtwirkung und Glücksversprechen

Die Einladung zum Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie leistet eine zugespitzte Bechreibung der Widersprüche im Bidlungssystem und sie macht neugierig auf den Kongress vom 7.3. bis 10.3.2013 in Berlin.

„Wir sind Zeugen und Mitwirkende einer Transformation von Bildung und Erziehung, die historisch wohl ohne Beispiel ist und die Spanne vom Säugling bis zur lebenslangen Qualitätssicherung und Zertifizierung „erfasst“ und „nutzt“.“

„Die bedrängte Mittelschicht muss sowohl um die eigene als auch die Karriere ihrer Sprösslinge fürchten und macht deswegen tüchtig mit bei der Konkurrenz. In der trügerischen Hoffnung, den eigenen Sprösslingen bessere Startvorteile zu verschaffen machen die Eltern sich zu Botschaftern der Bildungsoffensive in der eigenen Familie.“

Hier geht es zur vollständigen Beschreibung

Von der Bildung zu Education-Angeboten

Bildung als Geschäft

„Wolfgang Lieb: Dass die OECD als eine der Marktwirtschaft und dem Wettbewerb verpflichtete Organisation sich auch in die Bildungspolitik einmischt, ist legitim. Schlimm wird es erst, wenn eine solche Organisation ohne demokratische Legitimation und vor allem ohne, dass dies in einem offenen Dialog mit Bildungsexperten der jeweiligen Länder erfolgt, ihre undurchschaubaren und selbstgesetzten normativen Ansprüche auf internationaler Ebene bildungspolitisch durchsetzen kann. Die OECD hat mit PISA ein didaktisches und bildungstheoretisches Kompetenz-Konzept international durchgesetzt, das rein funktionale Fähigkeiten misst, nämlich die Anpassungsfähigkeit an den ökonomischen Bedarf. Nicht mehr die demokratisch und diskursiv entwickelten Richtlinien für die Bildungsinhalte an den Schulen, sondern der Wettbewerb um die Rangplätze beim PISA-Test wird so zum Maßstab für den Bildungserfolg.“ Hier geht es zum vollständigen Artikel.

Die Unzulänglichkeit der bildungspolitischen Großforschungsprojekte

Der Nutzen der pädagogischen Großforschungsprojekte ist zweifelhaft

Die Geschichte vom Messen und Wiegen, die die Sau nicht fetter machen, ist bekannt. Ähnliches könnte man von den Großforschungsprojekten sagen, die die – industriellen? – Megastrukturen der Bildung untersuchen, daraus (Um-) Steuerungsaktivitäten machen, deren Ausrichtung vage und deshalb auch nicht selten einen ideologischen oder manipulativen Charakter haben. Die subjektiven Mikroprozesse des Lehrens und Lernens, des Erziehens etc. werden nur wenig beforscht. Wenn doch Lernen eine persönliche Angelegenheit ist, müsste auf diesem Sektor doch sehr viel mehr geschehen. Darauf hat kürzlich die GEW aufmerksam gemacht.

Wie ergiebig solche Forschung sein kann, zeigt beispielhaft die Frankfurter Präventionsstudie

Meines Wissens zum ersten Mal auf die Interessenlastigkeit der Großforschung zulasten der Erforschung der konkreten, individuellen Prozesse hat Andreas Gruschka hingewiesen. Von ihm finden sich aktuelle Veröffentlichungen hier.

Auch das klingt anregend. Und und hier etwas zur älteren Auseinandersetzung mit Klippert . Und  hier über bürgerliche Kälte

Inklusion mit Schulpsychologie in einer spaltenden Gesellschaft

Inklusion in einer spaltenden Gesellschaft – wie geht das?

Faktoren SchulpsycologieAngst, Entsolidarisierung und individueller Klassenkampf erleben einen Aufschwung. Eine Schulpsychologie und eine Schule, die ernsthaft Inklusion wollen, können das nicht ignorieren. Inklusion hieße dann auch so etwas, wie Re-Solidarisierung, Sensibilität für soziale Sicherheit, vor allem für die junge und mittlere Generation. So gesehen muss eine Schulpsychologie, die für Inklusion steht, ihre eigene Kontexte (er-) kennen – und darüber sprechen.

Eindrücke vom Bundeskongress Schulpsychologie in Münster

Vielleicht täusche ich mich. Es schien mir, als sei ich einmal mehr auf einer Veranstaltung gewesen, auf der die Schulpsychologie verdeutlichen wollte: Liebe Bildungspolitiker und Bildungsplaner vergesst nicht die Schulpsychologie, wenn ihr wieder einmal – (es gab ja schon so viele) eure neue, diesmal die inklusive, Schulwelt baut. Wieder einmal wurde das bekannte Material in Stellung gebracht, welches wir haben oder zu haben meinen. Und wieder einmal wurde die Unzeitgemäßheit der Schule und ihrer Planer »bewiesen«, etwa indem Andreas Schleicher seine welt- und empiriegestützten Perspektiven präsentierte.
Einladungen zu Aktionismus, aber auch zu Überforderung: Was könnte »ich«, müsste »ich« nicht alles anpacken, wenn ich ein guter Schulpsychologe wäre? Was es nicht gab: Die Frage nach den Gesprächspartnern in Politik und Verwaltung, nach den dort herrschenden Vorstellungen und Menschenbildern in der inklusiven Schulwelt von morgen. Und die Frage danach, ob denn die angestrebten Umorganisationen (da, wo sie geplant sind) überhaupt sachlich begründbar sind.
In solcher Lage ist es sinnvoll, sich auf den Kern der Schulpsychologie zu besinnen. Und auf ihren dienstlichen, aufsichtlichen, organisationellen Rahmen, den sie braucht, um ihr Potenzial entfalten zu können.

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