Gewalt und Verachtung − gängige Mittel der Durchsetzung

Wenn die Politik sich überrascht von der Gewalt gibt, ist das ein Täuschungsmanöver. Wer wollte, konnte es besser wissen

Ein Interview mit Wilhelm Heitmeyer zeigt das

Wir haben auch auf das Phänomen einer „rohen Bürgerlichkeit“ hingewiesen, weil wir feststellten, dass sich hinter der glatten Fassade wohlgesetzter Worte oft ein Jargon der Verachtung verbirgt. In neuerer Zeit zeigt sich auch die Tendenz, Menschengruppen nach Kriterien der Effizienz, Verwertbarkeit und Nützlichkeit zu bewerten. Das sind Gesichtspunkte, die in der kapitalistischen Wirtschaft funktional sind. Das Fatale ist, dass sich diese Maxime in die sozialen Lebenswelten hineingefressen haben. Es ist eine der verhängnisvollsten Entwicklungen der letzten Jahren. Der Kapitalismus ist übergriffig geworden.

Was meinen Sie, wenn Sie von Integration sprechen?

In unserem Verständnis geht es erstens darum, ob jemand Zugang zu den Funktionssystemen wie z. B. Arbeit hat und dadurch Anerkennung erwerben und genießen kann. Zweitens stellt sich die Frage, ob man als Einzelner oder als Gruppe bei öffentlichen Angelegenheiten eine Stimme hat und wahrgenommen wird, denn dadurch entsteht moralische Anerkennung als Bürger. Drittens geht es um die Anerkennung der individuellen Integrität und die der eigenen Gruppe, um dadurch emotionale Anerkennung und Zugehörigkeit zum Gemeinwesen zu entwickeln.

Auch viele der sogenannten seit Generationen hier lebenden Deutschen sind nicht integriert, insbesondere was die Anerkennungsgefühle und –erfahrungen angeht.

Der Vormarsch pharmakologischer Verhaltenssteuerung − kein Problem?

Götz Eisenberg konstatiert einen »pharmakologischen Seelenmord«

In der Bildung und in den Berufsverbänden der Psychologinnen und Berater spielt die pharmakalogisch und medizinisch fundierte Verhaltensoptimierung keine Rolle. Diese Form der »Optimierung«  bricht jedoch mit allem, was Bildung und Berufsverbände als Ziel und Zweck von Schule beschreiben. Dennoch halten sich Kritik und Verurteilung in engen Grenzen, sowohl von staatlicher Seite als auch von der Seite der Professionen.

Eltern beschreiten den Weg zu Arzt und Apotheker auch deswegen, weil sie sich selbst an den Modus der pharmakologischen Moderation von Konflikten gewöhnt haben und bei jeder Gelegenheit irgendein Medikament einnehmen. Das als „Unternehmer seiner selbst“ konzipierte Subjekt muss bei Strafe des Untergangs lernen, sein als Störfaktor auftretendes Seelenleben mittels Drogen und Medikamenten zu regulieren und auf Vordermann zu bringen.

Sind die Verstrickung und Verwobenheit, vielleicht auch die mehr oder weniger geahnte Komplizenschaft der Institutionen und Menschen größer als wir wahrhaben wollen? Können wir den »pharmakologischen Seelenmord« hinnehmen, obwohl die vermeintliche Optimierung doch tief in die Körper und Persönlichkeiten eingreift?

Götz Eisenberg breitet unterschiedliche Facetten des Themas aus und regt an, die eigenen und gesellschaftlichen Werte / Leitlinien des Unterrichtens und Beratens zu hinterfragen

 

 

Über den Zusammenhang von technokratischer Steuerung, Gewalt und Stillstand

gilt eben nicht minder, dass die Implementierung managerialer Steuerungsmodelle in die gesellschaftlichen Einrichtungen, also vom Bildungs- und Gesundheitswesen, über Medien, Kultureinrichtungen, Kirchen, Politik, Verbände und Gewerkschaften, eine wesentliche Ursache dafür sein dürften, dass deren Unvermögen, eine Spannung zum herrschenden Regime aufzubauen, inzwischen kaum mehr zu übersehen ist. Ihre Widerstandfähigkeit wurde durch langanhaltende und gründliche Transformationsprozesse fast vollständig getilgt.

Man könnte diesen Glaubwürdigkeitsverlust des Neoliberalismus, der von der Assimilation kultureller Sinnfiguren förmlich lebt, aber selbst keinen Sinn hervorzubringen vermag, eigentlich genüsslich verfolgen, wenn nicht bereits relevante Institutionen des öffentlichen Lebens, die Aufklärung oder gar einen Gegenentwurf leisten könnten, selbst kontaminiert, funktionalisiert und damit korrumpiert, weil bis zur Unkenntlichkeit entstellt, wären.

Die Wissenschaft beispielsweise hat sich im Zuge von Ökonomisierung und Bologna längst von den Leitideen der Bildung und Wahrheitsfindung losgesagt, die Kirchen haben durch Unternehmensberatungen das ökonomistische Regime importiert und konterkarieren die gelegentliche Kapitalismuskritik von den Kanzeln durch Ausbeutung der eigenen Angestellten und manageriales Steuern. Die Gewerkschaften sind längst hierarchische Apparate, …

Beispielsweise verwenden wir viel Energie darauf, die Bologna-Studiengänge endlich zum Funktionieren zu bringen, anstatt, was seit Jahren überfällig wäre, darüber nachzudenken, inwiefern diese Konzeption überhaupt einen Sinn hat oder nicht vielmehr die für Bildung und Emanzipation notwendigen Grundlagen per se zerstört.

Das vollständige Interview mit Matthias Burchardt findet sich hier auf den Nachdenkseiten

Gewaltprävention: Umdenken. Umdenken? Umdenken!

Denn im Wortschatz der Mächtigen stehen Reflexion, Empathie, Verständigungswille, Ausgleich sowie Konfliktforschung nicht an oberster Stelle

Wir messen mit zweierlei Maßstäben. Wir beklagen den Blutzoll, den uns „der Islam“ auferlegt. Tatsache ist aber, dass Täter mit christlichem oder jüdischem Glaubenshintergrund im letzten Jahrhundert ungleich mehr Muslime getötet haben als umgekehrt Christen und Juden durch muslimische Gewalttäter umgekommen sind.

Diese Zitate stammen aus einem Artikel von Peter Vonnahme, einem Richter im Ruhestand. Der Artikel ist hier vollständig nachzulesen

Kongressteilnehmer protestieren gegen Politik der Bundesregierung

Vom 3. bis 6. März 2016 fand in Berlin der Kongress „Migration und Rassismus“ der Neuen Gesellschaft für Psychologie statt. Die Teilnehmer meldeten sich mit zwei Protestnoten zu Wort

Die Kongressteilnehmer_innen sehen keine Anstrengungen der politisch Verantwortlichen, die Fluchtursachen tatsächlich zu beseitigen. Denn dies hieße für Nato und EU im Nahen Osten und Afrika, wirtschaftliche und politische Einflussnahme, kriegerische Interventionen und
Waffenlieferungen zu beenden.
.
 .

Die zweite Stellungnahme kritisiert das Asylpaket II:

Die Menschenwürde und das Recht auf Unversehrtheit von Leib und und Leben werden verletzt
.

Auch der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen hatte sich gegen den Gesetzentwurf des Asylpakets 2 ausgesprochen:

Klicke, um auf 151202_asylverfahren.pdf zuzugreifen

Leider etwas versteckt

findet sich in Report Psychologie ein kurzer Bericht über die haltlose Lage der Geflüchteten im Asylverfahren

Psychologische und sozialpsychologische Muster der „besorgten Bürger“

Kurz und knapp beschreibt Sascha Lobo auf Spiegel online zentrale Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmuster der „besorgten Bürger“. Sehr hilfreich für alle, die mit ihnen zu tun haben. Sein Text kann helfen, auch sie zu verstehen. Was nicht heißt, ihre Ansichten gutzuheißen. Die Überlegungen verweisen darauf, welche Mängel unsere politische und gesellschaftlich Praxis hat: Was sind die Voraussetzungen für Empathie?

Europapolitik als Blaupause für Gewalt und Mobbing

Die große Bühne der Europapolitik bot in den letzten Wochen und Monaten reichlich Anschauungsmaterial dafür, wie Feindseligkeit und Aggression, Verachtung und Demütigung erzeugt werden. Nicht zu vergessen Manipulation und Desinformation. Ob die Lehrer und Lehrerinnen die Wirkungen von Politik und Medien in ihre Erziehungsaufgabe integrieren (können)? Eigentlich müssten sich die Zuständigen (und Nichtzuständigen) für Gewaltprävention besorgt zu Worte melden. Ebenso die Senatoren und Minister/innen, die für Schule und Erziehung Verantwortung tragen. In Verfassungen und Schulgesetzen wird großes Gewicht auf Verständigung und Menschenwürde gelegt. Wo bleiben die Aufrufe zur Mäßigung?

Die taz greift den Skandal der schwarzen Pädagogik auf

In der Aggressionsforschung wird beobachtet, dass jemand, der sich im Recht fühlt und eine ungleiche Beziehung zum Gegner aufbaut – in diesem Fall die eines Erwachsenen zu einem Kind – sich auch berechtigt fühlt zu strafen. „Hat man einen anderen Menschen erst einmal abgewertet, fällt es leichter, ihm wehzutun“, schreibt der Psychologe Elliot Aronson. Und in der Sozialpsychologie wurde nachgewiesen, dass Empathie und Aggression eine negative Korrelation eingehen, soll heißen, je weniger Empathie eine Person aufbaut, desto mehr greift sie auf aggressive Verhaltensweisen zurück. Hilfe an ein Land daran zu knüpfen, dass es wirtschaftlich ausblutet, ist Aggression.

Wem nutzt eigentlich der ganze Irrsinn?

Für einen „höheren“ Zweck werden volkswirtschaftliche Grundwahrheiten missachtet. Im Kern geht es um Plünderung

Den gemeinsamen Nenner dieser Interessen bildet das, was der britische Sozialwissenschaftler David Harvey einmal die „Ökonomie der Enteignung“ genannt hat: In der kriselnden Weltwirtschaft wird die Klassenmacht der ökonomischen Eliten – ihr Reichtum, ihre Privilegien, ihre politische Macht – nicht mehr in erster Linie durch den Kreislauf von Investition, Produktion, Verkauf, Profit und Reinvestition aufrecht erhalten, sondern durch Enteignung, durch Plünderung ganzer Volkswirtschaften.

Denn je erfolgreicher diese Einzelinteressen durchgesetzt werden, desto instabiler werden die Ökonomie und das politische System: Die Kaufkraft schwindet, wichtige Infrastrukturen zerfallen, Staaten werden in politische Wirren gestürzt, die Krise verstärkt sich, die Akteure werden noch rücksichtloser, um ihre Anteile an der Beute zu sichern, und so weiter.

Die postdemokratischen Souveräne in Brüssel und Berlin werden – wenn die Bürger sie nicht daran hindern – Europa ins wirtschaftliche Chaos und in die politische Spaltung treiben. Die neuen Nationalismen sind überall auf dem Vormarsch. Am Horizont zeichnet sich das düstere Bild eines wirtschaftlich implodierenden Europas ab, in dem alle Beteiligten gegeneinander kämpfen. Es wäre das Vermächtnis der großen Koalitionen in Brüssel und Berlin, von Angela Merkel und Sigmar Gabriel, Jean-Claude Juncker und Martin Schulz – und all den willigen oder fahrlässigen Helfershelfern auf konservativer und sozialdemokratischer Seite.

Hier kann man den vollständigen Artikel nachlesen

„Aus der Welt gefallen“

so lautete der Titel eines kürzlich  von Götz Eisenberg veröffentlichten Artikels. Es ging darin um eine Nachbetrachtung zum Absturz der German Wings Maschine im März 2015.

„Nimmt man ein Symptom allzu schnell unter Beschuss ohne seine Bedeutung im seelischen Gesamthaushalt eines Menschen begriffen zu haben, bringt man ihn in Gefahr.“

Darum geht es oft genug auch in der schulischen Beratungsarbeit. Jedoch scheint die Neigung, sich der Mühe des Verstehens zu unterziehen, abzunehmen. Zu groß ist der Schrecken und die Überforderung als dass man sie glaubt aushalten zu können. Zu groß sind die Zwänge und Forderungen des Alltags aus Lernzielkontrollen, Inspektionen, Fristen und sonstigen Ansprüchen. Die Neigung nimmt zu, sich für Außergewöhnliches nicht zuständig zu halten. Dabei sind Lehrer/innen, Kolleg/inn/en, Eltern wichtige Brückenbauer zu weitergehender Hilfe. Sie sind Menschen in Not (relativ) am nächsten, wichtige Vertrauens- und Bindungspersonen, die sich nicht vom verzweifelten Menschen abwenden sollten. Das kann eine weitere Kränkung sein, die „das Fass zum Überlaufen bringt“.

Der Valorisierte trägt in sich die Gewissheit, dass die Dinge kommen können und er das Leben und seine Widrigkeiten meistern wird. Wem es hingegen an Zuwendung und verlässlicher Anwesenheit der Bezugspersonen mangelt, der fühlt sich nicht hinreichend sicher genug gehalten und entwickelt anstelle eines Urvertrauens Misstrauen und Angst.

Lehrer/innen und Eltern sowieso sind wichtige Bezugs- und Bindungspersonen für Schüler. Für Schüler oft natürlicher und selbstverständlicher als Experten von außen. Letzere können die Hauptbezugspersonen nicht ersetzen. Sie stellen oft eine wichtige, wenn auch zwiespältige, Verbindung zur Welt (und vielleicht zu wirksamer Hilfe) dar. Aber die Bezugspersonen brauchen Rat und Unterstützung durch Berater/innen bei der Einordnung „merkwürdigen“ und „verrückten“ Verhaltens, um diese Haltearbeit tun zu können, bis ggf. weitergehende Hilfe greifen kann. Oft sind es Ängste der Bezugspersonen, alleingelassen zu werden (wie bei den Verzweifelten selbst), wenn sie nach den Experten rufen, oder wenn sie darauf verweisen, dass sie „das“ nicht leisten könnten. Wir sollten gemeinsam „drin“ und „dran“ bleiben. Supervision und Beratung für die Professionellen hilft dabei.

Das Diagnostizieren, mit dem wir heute so schnell bei der Hand sind und worauf wir uns so viel zugutehalten, erweist sich als ein Instrument, mit dem die Gesellschaft Störungen und Gefährdungen ihres Zusammenlebens gerade nicht zu verstehen lernt, sondern abdeckt, abriegelt und administrativ in den Griff zu bekommen versucht. Diagnosen befriedigen das Ordnungs- und Kausalitätsbedürfnis der Wissenschaft und der professionellen Helfer sowie den Wunsch, in einem bisher undurchschaubaren, chaotischen, gefährlichen, vielleicht auch angstauslösenden Bereich Ordnung zu schaffen durch Einordnen und Klassifizieren: „Aha, das ist es also!“ Diagnosen rücken den Patienten zurecht für den medizinisch-psychiatrischen Apparat und seine Normalisierungstechniken. Vor allem bahnen sie den Weg für die Verschreibung von Medikamenten, woran die Pharmaindustrie ein großes Interesse hat. Unser Anliegen sollte deshalb nicht sein, ein Symptom schnellstmöglich zu beseitigen, sondern den Versuch zu unternehmen, seine Bedeutung aus der Vielschichtigkeit des jeweiligen Menschen und seiner Lebensgeschichte heraus zu verstehen.

Hier geht es zum vollständigen Artikel von Götz Eisenberg