Menschenrechte, Würde, Anerkennung

Mitgefühl und Anerkennung

Geflohene Kinder und Jugendliche arbeiten unter besonders komplizierten Bedingungen und Erfahrungen an ihrer Zukunft, gemeinsam mit Lehrern und vielen anderen Berufsgruppen. Für manch „Alteingessene“ ist das eine harte Probe: Haben sie nicht auch Anerkennung und Aufmerksamkeit verdient? Das haben sie, ganz sicher. Die neue Lage muss nicht in eine Konkurrenz um das knappe Gut Anerkennung und Aufmerksamkeit münden. Sie kann dazu anregen, lauter und offener als in der Vergangenheit, die Frage nach dem Sinn von Bildung, Wissen und Erziehung für alle zu stellen.

Für die Professionellen kann sich die Frage nach dem Grund und Motiv ihres Berufs noch einmal stellen

Oft steht am Beginn der beruflichen Laufbahn die Ahnung und das Wissen, dass Anleitung, Wissensvermittlung, Unterstützung und gekonntes Loslassen für Kinder und Jugendliche lebenswichtig sind; dieser Aufgabe möchte man sich verschreiben. Der Anfangsimpuls ist in der Regel ein humanistischer. Durch Bürokratisierung, Industrialisierung des Lehrens und Lernens und durch Verknappung von Mitteln entfremden wir uns jedoch unserer Ausgangsmotive und Kinder entfremden sich von ihrem Wunsch zu lernen und ihr Können zu erproben.

Weil wir (auch) viel reden müssen, haben Fragen und die Suche nach Antworten nach dem Sinn von Bildung und Wissen eine neue Berechtigung. Beispiel: Schule ist nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, sondern auch der Begegnung. Nicht zuletzt werden hier Antworten auf die Frage gegeben: Was zählt der Mensch?

Humanistische Ansprüche

In Parlamenten und Schulausschüssen, so in NRW am 13.4, geht es in diesen Tagen um die Strukturen, Inhalte und Ressourcen der Schulpolitik unter den neuen Bedingungen. Aber auch in den „Vorflüchtlingszeiten“ war vieles nicht gut, so dass Gelegenheit ist, der Schulpolitik eine neuen, humanistischen Ton zu geben.

So sehr in Verfassungen und Leitlinien von Berufsverbänden ein humanistischer Anspruch formuliert ist, so sehr weht denjenigen, die damit ernst machen wollen, der Wind ins Gesicht (1). Darf man so (2) oder so (3) („Die EU gehe „sehenden Auges illegal vor“, urteilt Michalski über die Umsetzung des Abschiebepakts mit der Türkei, den maßgeblich die deutsche Regierung ausgehandelt hat“) mit Menschen umgehen? Welche Signale werden damit für die neu Angekommenen, für die, die schon länger hier sind, für die vielfältig Engagierten gesetzt? Die große Politik ist ein einziger Affront für eine Politik der Menschlichkeit, an der sich viele versuchen. Die Politik unterläuft und untergräbt die Werte, für die sie angeblich steht. Eine fortwährende kognitive, emotionale und gesellschaftliche Dissonanz.

(1) Klaus-Jürgen Bruder, (Vorsitzender der Neuen Gesellschaft für Psychologie) im Interview

(2) Stellungnahme von Pro Asyl

(3) Bericht German Foreign Policy

Leseempfehlung: Verstehen nach Zahlen?

Vor einiger Zeit habe ich hier  auf das Buch »Neoliberale Identitäten« mit interessanten Texten hingewiesen. Ein Artikel scheint mir für den pädagogischen, schulpsychologischen und beraterischen Bereich sehr treffend, auch wenn er sich mit dem Arbeitsfeld der Psychotherapie befasst. Strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Schul- und Schulberatungsbereich sind offensichtlich.

Der Titel (»Verstehen nach Zahlen?«) weist auf ein Grundproblem der Psychotherapie – und eben auch pädagogischer und psychosozialer Arbeitsfelder – hin. Sie sollen sich nach dem Vorbild mechanistischer und industrialisierter Modelle rational und zweckorientiert, also ökonomisch effizient formieren (lassen). Giovanni Maio beschreibt prägnant und sprachmächtig, wohin das führt: zu einer Dehumanisierung der Patienten/Klienten/Schüler/Professionen. Gesundheit, Persönlichkeitsentwicklung, Autonomie, Mitgefühl sind auf diesem Weg der vermeintlichen Effizienzsteigerung nicht zu erreichen. Das Gegenteil ist zu befürchten. Die seelischen und sozialen Schäden werden zunehmen und die Aussichten auf individuellen und gesellschaftlichten Zusammenhalt schwinden dahin. Weiterlesen „Leseempfehlung: Verstehen nach Zahlen?“

Bildung und anderes als Investition und nicht als Kostenfaktor

In aller Kürze macht Hermannus Pfeiffer darauf aufmerksam, dass sich die Wirtschaftspolitik verändern muss, wenn die Wirtschaft nicht einbrechen und sich unser Leben nicht radikal verschlechtern soll. Niedrige und nur geringfügig steigende Löhne werden nicht mehr reichen, wenn die Exporte nicht mehr funktionieren (und die funktionieren nur so lange, wie sich „andere“ für „unsere“ Waren verschulden). Es könnte sein, dass sie sich das bald nicht mehr leisten können und wollen.

Wenn Analyse nicht analysiert, sondern steuert …

Schon im Januar 2015 fand im NRW Landtag eine Anhörung zum Thema Qualitätsanalyse in der Schule statt. Auf der Website der Gesellschaft für Bildung und Wissen finden sich drei Stellungnahmen. Professor Jochen Krautz zeigt http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-2474.pdf, wie verwegen die Annahme ist, es gehe um Qualität. Tatsächlich gehe es um verdeckte Steuerung.

Bis in diese subtilen psychologischen Strategien zeigt sich der eigentliche Effekt der QA darin,Schulen und Lehrerschaft in Handeln und Einstellungen auf die politisch gewünschten Unterrichtskonzepte auszurichten. Derart wird Kontrolle nicht abgebaut, sondern nur verlagert: Fremdkontrolle soll zunehmend zur Selbstkontrolle gemäß den vorgegebenen Kriterien führen. Das Kontrollsystem kontrolliert dabei weniger die Qualität des Unterrichts, sondern die Qualitätskontrolleure kontrollieren die Selbstkontrolle von Lehrern und Schulen. Damit wird die im Schulgesetz verankerte pädagogische Eigenverantwortung aber gerade nicht gestärkt, sondern unterlaufen.

Wer sich für die Stellungnahmen anderer Personen und Verbände interessiert, wird hier fündig.

Jochen Krautz arbeitet heraus, dass das die Begrifflichkeiten des Qualitätsmanagments vom ökonomistischen Marktdenken durchtränkt sind und sie Bildung und Erziehung ein Regime auferlegen, welches ihrer Eigenart und Logik nicht gerecht wird. Für Schulpsycholog/inn/en und Berater/innen sind diese Überlegungen nicht uninteressant, weil sie mehr und mehr in den Sog des sog. Qualitätsmanagements hineingezogen werden und sich selbst mehr und mehr dieses Denkens bedienen – aus Überzeugung oder um Anschlussfähigkeit zu zeigen.

Die sonderpädagogische Formierung von Inklusion und Beratung

Worüber wir reden, wenn wir von Inklusion und Beratung reden

Ohne die Gründungsgeschichte der Sonderpädagogik und ihr Verhältnis zur allgemeinen Pädagogik sind die gegenwärtige Ausgestaltung der Inklusion und die Perspektiven von Beratung kaum zu verstehen

Ein Blick in die Geschichte ist lehrreich. Was waren die Entstehungsbedingungen für das, was wir heute vorfinden? Manchmal erscheint das Vorgefundene so selbstverständlich und in Stein geschlagen, dass man es sich kaum anders vorstellen kann. Man mag an den tatsächlichen oder vermeintlichen Unsinnigkeiten gegenwärtiger Regelungen und Gewohnheiten verzweifeln. Oder im Unbehagen steckenbleiben. Genaueres Hinschauen kann nicht selten zeigen, dass gegenwärtige Blockaden, Stillstände oder Einseitigkeiten ihre Ursprünge in eingefrorenen Dynamiken der Vergangenheit haben. Sie zu kennen ist noch nicht die Lösung, aber ihre Kenntnis und ihr Verstehen ist Voraussetzung für eine Lösung, für die Auflösung von Erstarrungen. (Da ist schon wieder mal ein Geheimnis der Psychologie entschlüsselt.)

So könnte es mit der Ausgestaltung der Inklusion und der Organisierung von Beratung und schulpsychologischer Beratung gehen. Das gilt für alle Bundesländer. Aber möglicherweise ganz besonders für Hamburg, weil hier von Politik und Behörde geradezu beschwörend immer wieder die Bindung von Beratung und Inklusion aufgerufen wird und gleichzeitig die Sonderpädagogisierung von Beratung und Inklusion stattfindet. Nicht zuletzt an solcher Stelle dürfte sich bemerkbar machen, was Dagmar Hänsel als „Glaubenssatz der Sonderpädagogik, dass die Förderung aller Kinder in ihrer Verschiedenheit zwingend sonderpädagogische Kompetenz erfordert, die wiederum an die sonderpädagogische Ausbildung gebunden wird(.)“ beschreibt.

Man konnte sich ja schon länger fragen, warum die Umsetzung der Inklusion in Deutschland stark mit der Sonderpädagogik verbunden ist, wo doch die Sonderpädagogik nicht unwesentlich für die Sonderschulsystematik stand und steht. Eine andere Herangehensweise ist vorstellbar, aber gleichwohl nicht nahe genug an der Schwelle zur Umsetzbarkeit: Wo es um Persönlichkeit, Einstellungsänderungen, Reflexion, Teamentwicklung etc. geht, könnte man sich durchaus vorstellen, dass Schulpsycholog/inn/en und in prozessorientierter Beratung ausgebildete Experten eine Rolle spielen. So ist es aber nicht gekommen – gerade nicht in Hamburg, wie auf dieser Website schon häufiger nachzulesen war. (Was nicht ausschließt, dass es in Hamburg immer auch Bemühungen gab und gibt, diesen Weg offen zu halten.)

Wenn Inklusion inhaltlich, aufsichtlich, politisch, strukturell sonderpädagogisch geprägt ist, hat das eine Vorgeschichte. Dies zeigt deutlich ein Interview, das Brigitte Schumann bei Bildungsklick mit Dagmar Hänsel führte.

Dagmar Hänsel ist ehemalige Professorin für Schulpädagogik mit den Arbeitsschwerpunkten Grundschule, Theorie und Geschichte der Sonderpädagogik und Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern. Weiterlesen „Die sonderpädagogische Formierung von Inklusion und Beratung“