Wie geht es der Schulpsychologie in Niedersachsen?

Der Charakter von Schulpsychologie und Beratung ändert sich. Zu sehen ist das auch in Niedersachsen. Volker Bohn schreibt darüber:

Meine These: Eine Reihe von Arbeitsfeldern, die noch bis in die 1990er Jahre hinein wesentlich von Schulpsychologie in Niedersachsen entwickelt und gestaltet worden sind, ist inzwischen großenteils als Pädagogische Beratung wiederzufinden: Förderdiagnostik/Lernstörungen, psychosoziale (Entwicklungs-)Störungen, Qualifizierungsprojekte für Schulleitungen und Schulentwicklungsberatung

Um nicht der „Zwangsberatung“ verdächtigt zu werden, reklamiert Pädagogische Beratung demzufolge ähnlich wie die Psychologische Beratung „Unabhängigkeit, Freiwilligkeit und Verschwiegenheit“ für sich. Allerdings eben nur „ähnlich“: Anders als die Psychologische Beratung ist sie in den schulfachlichen Dezernaten in der Schulverwaltung eingegliedert(*FN* Nach anfänglichem Zögern ist dann auch die Schulentwicklungsberatung mit einbezogen worden, also in die auch fachlich weisungsabhängige Verwaltungshierarchie.

Bildung als Selektionshebel

Franz Walter hinterfragt den alten Leitgedanken, dass Bildung und Wissen der Schlüssel zu gesellschaftlichem Aufstieg seien. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Rede von der Chancengesellschaft für viele ein leeres Versprechen bleibt. Es diene der Verschleierung von rigiden Macht- und Abschottungskämpfen

Dazu passt dieser Artikel über soziale Gerechtigkeit.

Die Hattie-Studie eignet sich nicht zur Erlösung von den Problemen der Schule

Zu reden ist über die Hattie-Studie, die nicht zuletzt von der »Zeit« (hier und aktuell hier) mit viel Sympathie ins Volk getragen wurde. Sie war für eine Vermarktung gut geeignet. Sie kommt sensationsheischend und im revolutionären Gestus daher: Jetzt aber Schluss mit den esoterischen Empfehlungen der heimischen Pädagogen. Sie spekuliert auf einen antibürokratischen Komplex in Leser-, Eltern- und Lehrerschaft. Sie legt nahe, die pädagogischen und sonstigen Probleme der Schule ließen sich beheben oder mindern, wenn wir im Wesentlichen auf den Unterricht, also auf den Lehrer schauten. Mit der so genannten Hattie-Metaanalyse, eine Studie, die die Ergebnisse einer Vielzahl von Studien zusammenfasst, lässt sich vor allem neoliberal kostengünstig und frei von Sinnfragen des Lehrens und Lernens Schule (weiter)machen – Schluss mit dem Gedöns von Schulstrukturreformen, kleinen Klassen etcetera. Die schwerwiegenden methodischen Pferdefüße werden erst später sichtbar, wenn der erste Coup – »wir haben die Lösung« – gelandet ist.
Georg Lind, wie vor ihm schon Hans Brügelmann und Ewald Terhart zeigen auf unterschiedliche Weise, wo die Grenzen der Hattie-Studie liegen. Ihre Beiträge sind eine Bereicherung für jedes Methodenseminar in Pädagogik und Psychologie.

Die Beiträge der Wissenschaftler wurden der Website Forum kritische Pädagogik entnommen

Die Homogenisierung der Welt

Was ist gesund und reif – und wer?

Die fünfte Version des DSM – Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – steht vor ihrer Veröffentlichung. Götz Eisenberg setzt sich kritisch mit dem DSM auseinander, welches nicht nur in der Psychiatrie  Wirkung entfaltet. Vielfach orientieren sich auch Psychologen und andere Beratungsberufe an diesem Konzept. Durchaus zu unrecht und jedenfalls mit problematischen Folgen. Hier ein kurzer Auszug aus seinem Kommentar:

Unter der befriedeten Oberfläche unseres Alltagslebens vollzieht sich ein permanenter Krieg, der umso beschwerlicher ist, als er sich nicht genau bestimmen lässt. In Form von Nervosität, Ärger und Gereiztheit werden wir vom Alltag pausenlos mobilisiert, aber für eine unsichtbare Schlacht und gegen einen Feind, der sich schwer ausmachen lässt. Herrschaft tarnt sich als Technik, Ausbeutung und Unterdrückung verstecken sich hinter Marktgesetzen und Sachzwängen. Wir haben es nicht mit einem einzelnen Gegner zu tun, sondern mit tausend undeutlichen Widrigkeiten, auf die unser Körper ganz von allein reagiert, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Unser Leben ist zugleich unruhig und monoton, wir sind erschöpft und gleichzeitig stößt uns nichts zu. Der Stress ist ein sprachloser Schmerz, der keine Geschichten macht und keine Ideen schenkt. Depressiv wird, hat Sloterdijk einmal gesagt, „wer Gewichte trägt, ohne zu wissen wozu.“

 

Soziales Leid in individuelles Scheitern und Krankheit verwandeln

Passend zum vorangehenden Beitrag schreibt Götz Eisenberg auf den Nachdenkseiten darüber, wie psychosoziale Helfer/innen dazu beitragen, soziale Konflikte zu individualisieren oder in individuelle Krankheit („Medizinisierung“) zu verwandeln. Stattdessen regt er dazu an, die „unbewusst-psychosomatische Revolte auf den „politischen Begriff“ zu bringen und in bewussten Widerstand zu transformieren“.

Ein Thema, das auch die Beschäftigten im Bildungsbereich angeht. Allerdings wird darüber kaum diskutiert und die Fach- und Berufsverbände schweigen überwiegend – ganz im Gegensatz zu den hohen Ansprüchen, die die Fachfrau und der Fachmann für die eigene Ethik in Anschlag bringt.

Zunahme seelischer Probleme bei Kindern und Erwachsenen

Das wirft die Frage danach auf, wie wir leben, lernen und arbeiten wollen

Kurz vor den Weihnachtstagen berichtete das Hamburger Abendblatt am 20.12.2012 über »die Seelennöte der Hamburger Kinder«. Sie wollen so gar nicht zu Glanz und Glamour einer der reichsten Städte Deutschlands passen.
Das Blatt schrieb über die Studie »Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen: Die WHO-Jugendgesundheitsstudie für Hamburg«. Zum einen weisen die Ergebnisse darauf hin, dass es vielen Kindern in Deutschland nicht gut geht, zum anderen machen sie deutlich, dass es in Hamburg prozentual gesehen mehr Kindern schlecht geht als im Rest der Republik.
Laut Prof. Michael Schulte-Markwort, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) hänge das mit bestimmten »Risikokonstellationen« Hamburgs zusammen. »Diese Kinder und Jugendlichen kommen vor allem aus Familien mit niedrigem Einkommen, schlechten Bildungsstand oder Migrationshintergrund« wird eine andere Forscherin zitiert. Weiterlesen „Zunahme seelischer Probleme bei Kindern und Erwachsenen“

Wer gelangt wie unter welchen Umständen zur Partizipation?

Die Verhältnisse scheinen sich immer mehr dahin zu entwickeln, dass es die Eliten in Politik und Behörden sind, die die Linien der Politik der entscheiden und vorgeben. Das wäre nicht problematisch, wenn sie nicht Demokratie spielten, sondern sie praktizierten. Formal  geht selbstverständlich (fast) alles demokratisch korrekt zu. Tatsächlich aber stehen die Lobbyisten, auch in der Bildungspolitik, in den Staatskanzleien und Ministerien und füttern die Ministerialen mit Ideen. Sie sind nicht zuletzt von Steuerungsinteressen, vom Mantra der Kostenneutralität und Effizienz gekennzeichnet. Zusammen mit den prekärer werdenden Lebensbedingungen vieler Menschen führt das zur Verringerung der Bildungschancen, zur Vergiftung des Lernklimas in den Schulen, zu zerstörerischem Stress bei Lehrkräften und Schüler/innen.
Franz Walter, selbst aus kleinen Verhältnissen stammend, schrieb am Wochenende über Partizipation, ihre Bedingungen und Voraussetzungen.
Detlef Hensche, vor einigen Jahren Vorsitzender der IG Medien, schrieb über die politische Seite der Einflussnahme.
Mal wieder was zum Nachdenken.

Für das Gemeinwohl arbeiten

Wir schimpfen auf den Staat und die Politiker und die Beamten machen wir als faule Sesselfurzer runter, denen es nur um einen sicheren Job geht. Und wer in der privaten Wirtschaft viel Geld macht, den bewundern wir womöglich auch noch als tollen Hecht, den sein „Erfolg“ sexy macht. Gleichzeitig wünschen wir uns eine funktionierende Verwaltung mit kompetenten Mitarbeitern und Beamte, die es etwa in Fragen der Finanzmarktregulierung mit den schwerreichen Bankvorständen, ihren hunderten Top-Anwälten und ihren finanzkräftigen Lobbys aufnehmen können. All das geht aber nicht zusammen. Das niedrige Sozialprestige, das wir Staatsdienern zubilligen, macht es zusätzlich unattraktiv für ehrgeizige und gleichzeitig idealistische junge Menschen, einen Job für das Gemeinwesen anzunehmen. Man sollte das ändern.

Ein Kommentar von Robert Misik

Die Unzulänglichkeit der bildungspolitischen Großforschungsprojekte

Der Nutzen der pädagogischen Großforschungsprojekte ist zweifelhaft

Die Geschichte vom Messen und Wiegen, die die Sau nicht fetter machen, ist bekannt. Ähnliches könnte man von den Großforschungsprojekten sagen, die die – industriellen? – Megastrukturen der Bildung untersuchen, daraus (Um-) Steuerungsaktivitäten machen, deren Ausrichtung vage und deshalb auch nicht selten einen ideologischen oder manipulativen Charakter haben. Die subjektiven Mikroprozesse des Lehrens und Lernens, des Erziehens etc. werden nur wenig beforscht. Wenn doch Lernen eine persönliche Angelegenheit ist, müsste auf diesem Sektor doch sehr viel mehr geschehen. Darauf hat kürzlich die GEW aufmerksam gemacht.

Wie ergiebig solche Forschung sein kann, zeigt beispielhaft die Frankfurter Präventionsstudie

Meines Wissens zum ersten Mal auf die Interessenlastigkeit der Großforschung zulasten der Erforschung der konkreten, individuellen Prozesse hat Andreas Gruschka hingewiesen. Von ihm finden sich aktuelle Veröffentlichungen hier.

Auch das klingt anregend. Und und hier etwas zur älteren Auseinandersetzung mit Klippert . Und  hier über bürgerliche Kälte