Psychoanalyse und Terrorismus

Radikalisierung als Form der Selbsttherapie

Jenseits der Strategien von Überwachung und Repression − mehr dem Ziel der Entdemokratisierung und Machtsicherung als der Demokratie und Emanzipation dienend − tauchen in Spezialsendungen der Medien gelegentlich Informationen auf, die das Nachdenken anregen. So heute im Deutschlandfunk in dessen Religionssendung.

Die Dschihadisten von heute kommen nicht umsonst vor allem aus den ehemaligen Kolonialländern Frankreich, Großbritannien und Belgien. Und die ehemaligen Kolonialmächte beteiligen sich bis heute an den Kriegen in vielen muslimisch geprägten Regionen. Diese Kontinuität bewirkt, dass die Idee des Krieges viele junge Menschen mobilisiert. Laut der dschihadistischen Theorie führt der Westen seine ‚Kreuzzüge‘ gegen den Islam bis heute fort.

Der Psychoanalytiker und Islamwissenschaftler Fethi Benslama spricht sich gegen ein Konzept der De-Radikalisierung aus. Das hält er für »Gehirnwäsche«. Solche Umerziehungsmaßnahmen, wie sie auch oft in Anti-Gewalt-Maßnahmen hiesiger Art vorkommen dürften, verkennen die tiefen, historisch und psychisch angelegten Verhaltens- und Erlebensweisen. Ernsthafte Arbeit der Persönlichkeits- und Institutionenentwicklung, jenseits der Funktionalitätskonzepte, wie sie heute − leider gerade auch in Schule − verbreitet sind, benötigt einen anderen Rahmen.

Weiterer Literaturhinweis

Hinweis auf Interview mit Arno Gruen

Bildung spaltet – mit staatlicher Förderung

Wie Verfassung und Inklusionsgebot unterlaufen werden

„Die gegenwärtige Verwaltungspraxis ignoriert diese verfassungsrechtlichen Vorgaben teilweise in einer Weise, die unseres Erachtens als ‚Missachtung‘ bezeichnet werden muss. Dies ist nicht nur aus rechtsstaatlicher Sicht besorgniserregend, sondern fördert eine Entwicklung, welche die ohnehin problematische soziale Segregation in den Schulen weiter forciert.“

Unerwartet krass fällt das Fazit einer Untersuchung aus, über die die taz berichtet.

Neues Buch, die alte Anstrengung

Zu meinem neuen Buch

Printversion,   als epub

Wer sich mit meinen Themen der letzten Jahre ein wenig auskennt, wird nicht überrascht sein: Es geht um das bedrohte Subjekt und seine Unterwerfung unter die Steuerungsansprüche aus Staat und Ökonomie. Beratung ist daran eifrig beteiligt. Um genauer zu sein: Auch hier gibt es Subjekte, zum Beispiel die Beraterinnen und Berater, die den Schwenk mitvollziehen. Ein Grund dürfte sein: Es gibt keine eigene fachliche Identität, die ein Bewusstsein des eigenen Faches in ihrer Umwelt hat. So verschmilzt die Fachlogik mit der bürokratischen und politischen Logik. Kurz befasse ich mich auch damit, wie es sich mit der schulpsychologischen Identität in einem Umfeld verhält, in dem auch andere Berufsgruppen beratend tätig sind. Löscht Beratung Identitäten aus …, oder gibt es andere Wege?

Besonders intensiv habe ich mich im zweiten Teil des Buchs mit der „Schülerkontrolle“ – ja das ist die echte Bezeichnung, sie gab es (ich erwähne das, weil manche Leute mich ungläubig anschauen) – befasst. In deren Rahmen und Tradition ist die Hamburger Schulberatung groß geworden – und hat sie meiner Meinung nach nicht überwinden können. Auch davon ausgehend stelle ich einige Überlegungen an, wie sich Beratung unterschiedlich entwickelte. Dabei geht es mir nicht darum, eine Entwicklung als gelungen zu identifizieren und sie zu übertragen. Eher geht es mir darum zu zeigen, dass nichts in der Geschichte der Beratung selbstverständlich ist und schon gar nicht „humanistisch“. Wir Berater/innen sollten sie kennen und die Gründe für die Ansprüche, die an sie gestellt werden. Sie sind nicht immer gut, weder die Ansprüche noch die Gründe.

 

Objekte können kein Potenzial entfalten

Hüther: Das ist einfach, als ob man einen kleinen Hebel umlegt, indem man kein Mitglied der Gemeinschaft, also jetzt zum Beispiel in Ihrem Team, oder aber in der Familie oder in der Schule oder wo immer sie sind, indem keiner den anderen länger zum Objekt seiner – und jetzt kommt es – seiner Bewertungen, seiner Erwartungen, seiner Maßnahmen, seiner Belehrungen und so weiter macht. In dem Augenblick, wo man das tut, kommt es im Hirn desjenigen, der sich da so erlebt, dass er so zum Objekt gemacht wird, zu einer Aktivierung von genau denselben Bereichen, die auch dann aktiviert werden, wenn der körperliche Schmerzen hat.

Wer es ernst meint mit der Umgestaltung der Schule, sollte dieses Interview mit Gerald Hüther lesen.

Wie die Idee der Selbstbestimmung zerrieben wird

Zeitgleich sind in der taz und auf den Nachdenkseiten

zwei interessante Artikel erschienen. In der Bestandsaufnahme beunruhigend.

Das mathematisch-technizistische Weltbild immunisiert sich vor Kritik, indem es eigene Wertfreiheit und Neutralität suggeriert. Das diesem Denken eingeschriebene Muster lässt sich mit einer nicht endenden Optimierung sämtlicher Prozesse beschreiben. Diese Ideologie kann die Welt nur aus der Warte des Berechenbarmachens betrachten.

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Der eine (auf den Nachdenkseiten) mit einer Perspektive:

Google und Co. müssten dafür noch nicht einmal zerschlagen werden. Was wir bräuchten, wäre eine internationale Daten-Überwachungsagentur, die Einblick in die Algorithmen bekommt und der – hier wird es besonders pikant – die Überschüsse aus dem Geschäft mit den Daten zustehen. Denn hier schließt sich der Kreis: Wenn eine „Schrittgebühr“ schon unabwendbar ist, dann sollte sie doch zumindest, wie jede andere Steuer auch, der Allgemeinheit zu Gute kommen. Dies ist auch deshalb notwendig, da die genannten Konzerne sich momentan ja durch zahlreiche Steuertricks nahezu komplett der Besteuerung entziehen.

Mehr vom Nachdenkseiten-Artikel lesen

Aufmarsch der Wirtschafts“experten“ in der Schule

Die Zeitschrift „Erziehung & Wissenschaft“ der GEW mit zahlreichen Artikeln zum Wirtschaftslobbyismus in Schule

Man kann ja mit der GEW und mit anderen Gewerkschaften unzufrieden sein. Aber dass sie auch wertvolle Informationen liefern zeigt das Dezember-Heft 2016 (in der Liste mit Datum vom 1.12.2016). Ein kurzer Auszug aus der Einführung:

Sich mit dem Vormarsch der Wirtschaft an Schulen kritisch
auseinanderzusetzen, ist unentbehrlich. Warum? Weil bereits
hier eine Denkwelt verbreitet wird, die ebenso gefährlich
falsch wie unverändert mächtig ist. „Der homo oeconomicus
ist tot“, titelte die Financial Times Deutschland (FTD)
am 14. März 2001. Inzwischen gibt es diese Zeitung leider
nicht mehr, aber „der Kerl“ lebt immer noch: Der Mensch, so
will es die neoliberale Theorie, denkt, tut und fühlt, was ihm
wirtschaftlich nützt. Er ist nicht das vernünftige und empathische,
sondern das berechnende Wesen. Diese Botschaft geistert
durch Sprache und Köpfe vieler Leitartikler, Professoren
und Politiker, fast aller Manager und Unternehmer. Tausend
Mal widerlegt von wenigen kritischen Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern …

Bedenkenswert auch das Statement „Evaluation statt Tests“, hier ebenfalls mit einem Auszug:

Ein echtes Bildungsmonitoring müsste deshalb jede Schule in
die Lage versetzen, individuelle wie kollektive Lernfortschritte
ebenso wie das Schulklima regelmäßig zu evaluieren. Hier
ist die Wissenschaft gefragt, Instrumente gemeinsam mit den
Schulen zu entwickeln und die Lehrkräfte dabei methodisch
zu begleiten.
Politik ist gefragt, die Rahmenbedingungen (Zeit, Freiräume,
personelle und materielle Ressourcen) dafür zu schaffen.
Auf Durchschnittswerte von Leistungstests können wir getrost
verzichten.

Kommunale Bildungslandschaften — Verführung und Reduktion

Kommunale Bildungslandschaften — von der pädagogischen Inspiration zu Kürzungen und zu Abbau von Beteiligung

Die Realität der „Bildungs“-Reformen (von den kommunalen Bildungslandschaften über Selbständigkeit, eigenverantwortliche Schule bis zur Selbstverwirklichung) wurde von vielen Menschen beobachtet, gefühlt, erlitten. Diese und andere Wirkungen blieben in den Sphären des Persönlichen und Subjektiven.

Nun gibt es erfreulicherweise eine Untersuchung, die in Bezug auf die kommunalen Bildungslandschaften Idee und Realität dieser „Reform“ in den Blick nimmt. Anika Duveneck hat sie als Buch veröffentlichen können. Die Nachdenkseiten führten vor Kurzem ein Interview mit der Autorin.

Konkret konnte ich nachweisen, dass vor allem jene Aspekte, des, wenn Sie so wollen, durchaus vielversprechenden Konzeptes umgesetzt wurden, die einen wettbewerbspolitischen Wert aufweisen, und dass der fachliche Wert von Maßnahmen wie einem erweiterten Bildungsverständnis und einer partizipativen Bildungssteuerung dem strukturell untergeordnet worden ist.

In den 2000 er Jahren tauchte der Begriff auf. Bertelsmann, Ministerien und Kommunen wollten glauben machen, dass mit ihren Konzepten die Vitalität in die Schulen einkehrt. Landschaften leben, für sie gibt es Karten und Aussichtspunkte, die einen die Eigenheiten und Wege des Landes erkennen lassen. So sollte es mit der Bildung aufwärts gehen.

»Kommunale Bildungslandschaften«, wie auch die Begriffe Verantwortung, Selbständige Schule, Selbstverwirklichung waren tatsächlich „Spins“ aus der Küche der neoliberalen Weltveränderer (manche nennen sie auch Putschisten). Tatsächlich betörten sie nicht wenige Kolleginnen und Kollegen, die glaubten, ihren humanistischen Ideen näherkommen zu können, wenn sie auf diesen Zug aufsprängen. Inzwischen sind die Steuerungstechnokraten fest im Sattel, die Beteiligungsangebote (Mitbestimmungsrechte wurden eingeschränkt) wieder zurückgefahren.

Was vielleicht an Selbständigkeit und Eigenverantwortung gewonnen war (oder den Anschein erweckte, dass es sie geben könte), wurde rasch durch knappe Mittel, Verdichtung der Arbeit, Kontrollaufgaben (über-) kompensiert.

 

„Maulkorb von der Stadt“

Schule der Öffentlichkeit entziehen – wie demokratisch ist das denn?

Die GEW-Hamburg hatte einen Plan. Sie wollte unter Teilnahme von Lehrern, Eltern und Schülern den Stand der Dinge in Sachen Inklusion vor dem Rathaus öffentlich machen. Die Schule in den öffentlichen Raum tragen. Das kann man nachvollziehen – ist doch die Ausstattung  dieser Reform (fraglich, ob es eine Reform zum Besseren ist) umstritten. Ebenso umstritten ist, welches Verständnis von Inklusion die Behörde hat. Und schließlich geht Schule alle an – oder?

So viel Öffentlichkeit ging der Behörde zu weit, obwohl doch bei dem Projekttag auch davon die Rede sein sollte, was alles schon erreicht worden sei. Sie verbot diesen Projekttag. Der Pressesprecher der Behörde sagte laut taz, Schulen dürften selbstverständlich Projekttage durchführen, nur sich eben nicht „politisch betätigen“.

Im Newsletter der Behörde vom 7.10 – ansonsten nicht verlegen um pr-geübtes Preisen der Schulpoltik – war von der Sache nichts zu lesen.

Dank der taz darf man erfahren, was Teil der Kritik sein könnte

Weiterlesen „„Maulkorb von der Stadt““

Wie öffentliche Schulen zielstrebig zu Schulen der Wirtschaft werden

Immer weniger stehen Schülerin und Schüler im Mittelpunkt der sogenannten Bildung. Die Orientierung der Lehrpläne an singulären Kompetenzen und die Vernachlässigung des Nachdenkens über Zusammenhänge, Interessen und emanzipatorische Aufgaben von Bildung schreiten voran.

In einem längeren Artikel führt Magda von Garrel das auf den Nachdenkseiten aus.

Wenn eine Mehrheit der Leiter von Stadtteilschulen in Sorge ist,

sorgt das den Senator Ties Rabe nicht. Sein Lösungsvorschlag: Die Schulleiter sollten ihre Arbeit tun

Vor den Sommerferien veröffentlichten 51 von 59 Schulleitern einen Brief, in dem sie davor warnten, die Stadtteilschulen könnten scheitern.

Hier der Bericht der Welt und hier ein Interview in der Zeit.

Hier eine karge Pressemitteilung, von der man nicht genau weiß, ob sie sich auf die Angelegenheit bezieht.

Nach den Ferien kam die GEW-Vorsitzende Anja Bensinger-Stolze zu Wort.

Man darf vermuten, dass die Schulleiter es sich mit ihrer Wortmeldung nicht leicht gemacht haben. Der Senator ist bekannt dafür, dass er mit Kritikern rabiat umgehen kann. Beteiligung und Fachwissen der Praktiker einzubeziehen, ist seine Sache nicht. Noch dazu, wenn sie sich seinen Großplanungen und seiner Tonnenideologie („Graf Zahl“) nicht beugen.