Zwei interessante Fundstücke

Zwei ältere Texte, aber doch interessant

Bei diesem Text handelt es sich um eine Kritik des Kompetenzkonzepts, veröffentlicht bei Gesellschaft für Bildung und Wissen

und hier geht es um den Zusammenhang von Lernen und Zeit in einem Interview mit Heinz-Elmar Tenorth, veröffentlicht bei Deutschlandfunk Kultur

Der Verlust des Selbst der Psychologie II

Versuch einer Illustrierung

Die Entwicklung schulischer Inklusion in Hamburg kann zum Teil als Illustrierung des im vorangehenden Beitrag (über Keupp) dargestellten Verlusts des »Selbst der Psychologie«, des Verlusts an Empathie und der Ausbreitung von »Gesellschaftsblindheit« (»soziale Amnesie«)gesehen werden.

Inklusion ist das dominierende Projekt der Politik. Mit ihm sollen alle Gebrechen einer exkludierenden Gesellschaft geheilt werden (siehe auch diesen Beitrag). Unter Verkennung der menschlichen und psychologischen Anforderungen, die ein solches Unternehmen der Zu(sammen)gehörigkeit in Verschiedenheit erfordert, werden Verfahren entwickelt, die mit großem Aufwand Abgrenzungen, Ausgrenzungen und Etikettierungen produzieren, wie man aktuell in der taz lesen kann.

Beratung ist vor und nach dem Test

Angehörige von Abteilungen, die das Wort „Beratung“ in ihrer Bezeichnung führen, sind wesentlich damit beschäftigt, begutachtend, steuernd und kontrollierend tätig zu sein. Sie stellen den Förderbedarf so genannter „Inklusionskinder“ fest. Beratung wird hier offensichtlich als Verarbeitung dessen verstanden, was vor oder nach der Testdiagnostik stattfindet. Was bleibt, ist, dass „Beratung“ über den Test, eine kommende oder gewesene Prüfung definiert ist. Mit dieser Art der Feststellungsdiagnostik sind wir wieder in der Etikettierungsmaschinerie der 60 er und 70 er Jahre des vergangenen Jahrhunderts angekommen. (Bei angehenden Lehrer’inne’n geht man übrigens — zurecht — davon aus, dass eine Eignung für ein Lehramt testdiagnostisch nicht zu vertreten ist. So die Empfehlungen der Expertenkommission zur Reform der Lehrerbildung).
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Mit Kilos gegen Unruhe

Eine Vorbemerkung: Ich hatte mir einige Notizen (nächster Absatz) zum Bericht im Hamburger Abendblatt über die Praxis einer Beruhigung von Kindern durch Sandwesten gemacht, hatte aber anderes zu tun als zu schreiben. Inzwischen ist ein taz-Artikel erschienen, der das Thema vertieft, unter anderem mit einer Wortmeldung von Michael Schulte-Markwort, Klinikdirektor der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Eppendorf. Meinen Zwischenruf bringe ich hier, wie ich ihn ursprünglich geplant hatte. Eine Frage doch noch: Gibt es Anmerkungen aus dem Kreis der Schulpsycholog’inn’en und ReBBz zum Sandwestenthema, oder aus dem einen oder anderen Berufsverband?

Ein Artikel im Hamburger Abendblatt vom 6.12.2017 berichtete über eine Praxis, die es wohl schon länger gibt. Unruhige Schüler bekommen in einigen Schulen (mit Wissen der Schulbehörde) kiloschwere (1 bis 5 Kilo) Sandwesten angeboten. Sie sollen die Kinder zur Ruhe bringen, sie simulierten das beruhigende Handauflegen. Hm. Die Sandwesten ersetzen das Handlauflegen? Macht das nicht doch einen Unterschied? Man kann das auch für einen (weiteren) Rückzug der Pädagogik aus Bindung und Beziehung halten. Zumindest besteht unter den Bedingungen einer kontinuierlichen Politik der Rationalisierung von Schule die Gefahr, dass diese Hilfsmittel als Sparmaßnahme missbraucht werden — auch wenn die einzelne Lehrerin, der einzelne Lehrer das nicht will.
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Begabungsförderung gut und schön – wie wäre es mit einer anderen Sozialpolitik?

Die Erfahrung zeigt, dass es beim Thema Begabungsförderung in der Regel nicht allein um Begabungsförderung geht. Mit im Spiel ist ein Ressentiment in der Bevölkerung, vor allem in der Mittelschicht, gut Begabte – und wer ist schon sicher, dass die eigenen Kinder es nicht sind? – hätten das Nachsehen in der Schule. Man kümmere sich um die Problemfälle, aber nicht um die Förderung des eigenen Nachwuchses. Schließlich geht es darum, sich im Rennen der  Konkurrenzgesellschaft einen guten Startplatz zu sichern. Und nicht zu vergessen: Die Wirtschaft will an die Begabungsreserven heran. Hochgebildet, flexibel, anpassungswillig an die Forderungen des Marktes/des Profits.

Unversehens sind wir mit den Normen des Schulsystems und seinen Zwecken konfrontiert. Nach Jahren der Inklusionsumsetzung – nicht selten aufgenommen und erlebt als Belastung für gute Schülerinnen und Schüler – kommt nun die Wiedergutmachung in einem neuen Modellprojekt der Hamburger Schulbehörde: Neue Impulse für die Begabungsförderung an Hamburgs Schulen.

Die Presseerklärung zu diesem Ereignis erweckt den Eindruck, die gut Begabten und Leistungsstarken seien bisher zu kurz gekommen. »Alle Schülerinnen und Schüler, auch die leistungsstarken und hochbegabten, sollen optimal gefördert werden.« Zu oft seien sie »im Unterricht unterfordert, langweilen sich und können ihre Potentiale nicht entfalten.« Und: »Wir wollen für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler … optimale Lernbedingungen schaffen und ihre Begabungen fördern und fordern.«

Weiter, darf man schlussfolgern, seien die durchschnittlich Leistungsstarken und die Leistungsschwachen, ebenso wie die durchschnittlich und schwach Begabten im Vorteil. Die sind nicht unter- oder überfordert, langweilen sich nicht und sie können ihre Potenziale entfalten.

Zwar wolle man keine speziellen Klassen oder gar Schulen für besonders Begabte und Leistungsstarke – aber ein wenig speziell soll es schon sein.

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Regulieren, steuern, optimieren – ist das die Zukunft der Schulpsychologie?

Anmerkungen zur Emotionsregulation

Emotionsregulation. Das muss ein immenser Markt sein, wenn man sich den Auswurf zu Gemüte führt, der einem entgegenschwallt, gibt man den Begriff in die Suchmaschine ein. Der Zugriff aufs Subjekt treibt die Forscherinnen an. Nun im neuen Gewand und – vielleicht – mit noch größerer Präzision, in technischer, dem Anschein nach neutraler Redeweise. Weiterlesen „Regulieren, steuern, optimieren – ist das die Zukunft der Schulpsychologie?“

Liebe Liebhaber des Einheitsabiturs

Da ist sie nun wieder die Zeit, die voller Anspannung sein kann. Die Zeit des Abiturs beschäftigt die Geister. Halten die Nerven das aus oder kann ich entspannt sein? Schüler und Schülerinnen steuern auf einen Wendepunkt in ihrem Leben zu – Schule aus und dann? Und die Eltern fragen sich, was aus der Zukunft ihrer Sprößlinge werden kann. Und alle wissen: hinter dem Tor gibt es ein Land voller Ungewissheit. Überhaupt: Was ist das Abitur wert? Welchen Stellenwert besitzt es im landesweiten und globalen Wettkampf?

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Aus gegebenem Anlass

Offener Brief eines Polizisten: Gedanken zum G20-Gipfel in Hamburg

Die Menschen, die ohne Obdach auf der Straße (er)frieren, oder die, die sich beim Discounter um die Ecke eine Packung Toastbrot und Käse klauen, um den Kindern Brote für die Schule zu machen. Ist es tatsächlich ihr Ernst, solche Schicksale tagtäglich zu dulden, um an zwei Tagen Milliarden von Euro für Ihr belangloses Stelldichein zu verschwenden, die in unseren sozialen Systemen besser angelegt wären?

Und nun werden wieder Millionen von Euro in Sachen Sicherheit in nur ein paar Tagen, für ein Event von ein paar Stunden, verheizt?

Kooperatives Lernen in der Systemfalle?

Es ist die Politik – oder der Zwang der Verhältnisse

Gerade fand ich einen älteren Artikel auf Bildungsklick. Zwanzig Jahre Kooperatives Lernen nach dem Konzept von Norm Green wurden gefeiert. Der Bericht von Brigitte Schumann zeigt, wie mit viel Engagement von Lehrerinnen und Lehrern, Eltern und vielen anderen ein Versuch der Humanisierung allmählich unter die Räder zu geraten droht. Vielleicht ist er dort auch schon gelandet.

Seinerzeit schien das Kooperative Lernen wie gemacht für den pädaogischen Erneuerungsbedarf und -willen, der nicht wenige Lehrer und Lehrerinnen ergriffen hatte. Die Bertelsmannisierung der Schule schien sogar einen „offiziellen“, genehmigten Rahmen für Neues zu schaffen. Wer wollte, konnte schon damals sehen, dass ein idealistischer Überschuss die reformerische Hand führte. Seine Kehrseite war die Entpolitisertheit gegenüber den Zielen und Zwecken der Schule im Allgemeinen und der bertelsmannschen Konzeption im Speziellen.

Es sind deren Regeln, Stellgrößen etc. die den pädagogischen „Spaß“ verderben und gegen den die Engagierten so unverdrossen, manchmal wohl auch bis zur Erschöpfung und Resignation anarbeiten − weitgehend entpolitisiert, wie es schon seit den 20 er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Tradition ist. Das wäre ein anderes Kapitel. Allerdings: wer von der deutschen Version des Neoliberalismus und seinem Wirken auf Schule nicht reden will, sollte von der pädagogischen Erneuerung durch Kooperatives Lernen schweigen. Oder von Inklusion. Oder von Kompetenzorientierung. Oder …

Brigitte Schumann fordert zurecht einen „bildungspolitischen Transformationswillen“ von einem Ministeriumsvertreter − sollte dieser Wille aber nicht auch von den Beschäftigten gefordert werden? Einschließlich der Analyse dessen, was den Zwang der Verhältnisse ausmacht?

Objekte können kein Potenzial entfalten

Hüther: Das ist einfach, als ob man einen kleinen Hebel umlegt, indem man kein Mitglied der Gemeinschaft, also jetzt zum Beispiel in Ihrem Team, oder aber in der Familie oder in der Schule oder wo immer sie sind, indem keiner den anderen länger zum Objekt seiner – und jetzt kommt es – seiner Bewertungen, seiner Erwartungen, seiner Maßnahmen, seiner Belehrungen und so weiter macht. In dem Augenblick, wo man das tut, kommt es im Hirn desjenigen, der sich da so erlebt, dass er so zum Objekt gemacht wird, zu einer Aktivierung von genau denselben Bereichen, die auch dann aktiviert werden, wenn der körperliche Schmerzen hat.

Wer es ernst meint mit der Umgestaltung der Schule, sollte dieses Interview mit Gerald Hüther lesen.

Der Vormarsch pharmakologischer Verhaltenssteuerung − kein Problem?

Götz Eisenberg konstatiert einen »pharmakologischen Seelenmord«

In der Bildung und in den Berufsverbänden der Psychologinnen und Berater spielt die pharmakalogisch und medizinisch fundierte Verhaltensoptimierung keine Rolle. Diese Form der »Optimierung«  bricht jedoch mit allem, was Bildung und Berufsverbände als Ziel und Zweck von Schule beschreiben. Dennoch halten sich Kritik und Verurteilung in engen Grenzen, sowohl von staatlicher Seite als auch von der Seite der Professionen.

Eltern beschreiten den Weg zu Arzt und Apotheker auch deswegen, weil sie sich selbst an den Modus der pharmakologischen Moderation von Konflikten gewöhnt haben und bei jeder Gelegenheit irgendein Medikament einnehmen. Das als „Unternehmer seiner selbst“ konzipierte Subjekt muss bei Strafe des Untergangs lernen, sein als Störfaktor auftretendes Seelenleben mittels Drogen und Medikamenten zu regulieren und auf Vordermann zu bringen.

Sind die Verstrickung und Verwobenheit, vielleicht auch die mehr oder weniger geahnte Komplizenschaft der Institutionen und Menschen größer als wir wahrhaben wollen? Können wir den »pharmakologischen Seelenmord« hinnehmen, obwohl die vermeintliche Optimierung doch tief in die Körper und Persönlichkeiten eingreift?

Götz Eisenberg breitet unterschiedliche Facetten des Themas aus und regt an, die eigenen und gesellschaftlichen Werte / Leitlinien des Unterrichtens und Beratens zu hinterfragen