Über den Zusammenhang von technokratischer Steuerung, Gewalt und Stillstand

gilt eben nicht minder, dass die Implementierung managerialer Steuerungsmodelle in die gesellschaftlichen Einrichtungen, also vom Bildungs- und Gesundheitswesen, über Medien, Kultureinrichtungen, Kirchen, Politik, Verbände und Gewerkschaften, eine wesentliche Ursache dafür sein dürften, dass deren Unvermögen, eine Spannung zum herrschenden Regime aufzubauen, inzwischen kaum mehr zu übersehen ist. Ihre Widerstandfähigkeit wurde durch langanhaltende und gründliche Transformationsprozesse fast vollständig getilgt.

Man könnte diesen Glaubwürdigkeitsverlust des Neoliberalismus, der von der Assimilation kultureller Sinnfiguren förmlich lebt, aber selbst keinen Sinn hervorzubringen vermag, eigentlich genüsslich verfolgen, wenn nicht bereits relevante Institutionen des öffentlichen Lebens, die Aufklärung oder gar einen Gegenentwurf leisten könnten, selbst kontaminiert, funktionalisiert und damit korrumpiert, weil bis zur Unkenntlichkeit entstellt, wären.

Die Wissenschaft beispielsweise hat sich im Zuge von Ökonomisierung und Bologna längst von den Leitideen der Bildung und Wahrheitsfindung losgesagt, die Kirchen haben durch Unternehmensberatungen das ökonomistische Regime importiert und konterkarieren die gelegentliche Kapitalismuskritik von den Kanzeln durch Ausbeutung der eigenen Angestellten und manageriales Steuern. Die Gewerkschaften sind längst hierarchische Apparate, …

Beispielsweise verwenden wir viel Energie darauf, die Bologna-Studiengänge endlich zum Funktionieren zu bringen, anstatt, was seit Jahren überfällig wäre, darüber nachzudenken, inwiefern diese Konzeption überhaupt einen Sinn hat oder nicht vielmehr die für Bildung und Emanzipation notwendigen Grundlagen per se zerstört.

Das vollständige Interview mit Matthias Burchardt findet sich hier auf den Nachdenkseiten

Psychologie im Neoliberalismus – Psychologie der Manipulation

Oder schlägt sich die Psychologie, die Psychologin, der Psychologe auf die Seite der Aufklärung?

Der Psychologe Rainer Mausfeld erläutert in einem ausführlichen Interview mit den Nachdenkseiten die psychologischen Mechanismen, die zur Stabilität und Akzeptanz von Gesellschaften und Institutionenvon beitragen, die der großen Mehrheit der Bevölkerung schaden. So ist sie – auch im Bildungs- und Ausbildungsbereich – wesentlich mit der Bildung von Humankapital befasst – und nicht mit Persönlichkeitsentwicklung und Selbstbestimmung und Aufklärung.

Wenn wir nämlich die Dinge besser verstehen, könnte es ja passieren, dass wir beginnen, Fragen zu stellen, die den Status des jeweiligen Establishments gefährden könnten.

Fragmentierung – ob durch bildungsbürgerliches Wissen, durch eine PISA-orientierte Schulausbildung, durch ein “kompetenzorientiertes“ Studium oder durch Medien – ist also in diesem Sinne keineswegs Zufall, sondern ein beabsichtigter Prozess, eine Art Herrschaftsinstrument.

Eine solche Haltung kann sie jedoch nur um den Preis psychischer Deformationen, insbesondere sozialer Ängste und Depressionen, einnehmen.

Das Gespräch bietet viele Anhaltspunkte für Selbstbefragung und Diskussion.

Den Blick auf uns zu richten, bedeutet zugleich zu erkennen – und das ist ganz im Sinne der Aufklärung –, dass wir es sind, die für unser Handeln und Nicht-Handeln und für die Gesellschaft, in der wir leben, verantwortlich sind.

Nudging: Freundlich Hilfe oder Manipulation?

Ein boomender Markt für Psychologie ist das Nuding (Anschubsen). Es kommt in der Regel freundlich oder unbemerkt daher. Aber wie immer in der durchkommerzialisisierten und kontrollierten Welt ist es nicht uneigennützig. Und es setzt auf gegebenen Verhältnissen, die in ihrer Entstehung und Weiterentwicklung nicht in Frage gestellt werden, auf. So stellt es nicht die Frage, ob nicht verbesserte Bildung oder ein anders organisiertes Gesundheitswesen ähnliche Wirkungen haben könnten – und noch dazu einen demokratischen Kollateralnutzen.

Gerd Gigerenzer, Psychologe und leitender Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, unterzieht den »libertären Paternalismus« einer umfassenden Kritik (vgl. Review of Philosophy and Psychology, September 2015). So überschätze dieser systematisch die angebliche »Irrationalität« von Menschen. Die von ihm unterstellten »wohlwollenden Entscheidungsarchitekten« seien nicht vor Irrtümern geschützt. Gigerenzer verweist hier auf problematische Nudge-Praktiken im Zusammenhang mit Grippeimpfungen und Brustkrebsvorsorge. Und schließlich gebe es ein empirisch bewährtes und viel zuverlässigeres Mittel, Entscheidungskompetenzen zu fördern und gesundheitsschädliches Verhalten zu begrenzen: umfassende Bildung.

Weitere Überlegungen dazu in diesem Artikel von Michael Zander

Psychologen helfen bei Folter

Wie ein Bericht der Süddeutschen zeigt, sind die ethischen Grundlagen psychologischen Handeln von enormer Bedeutung, wenn eben dieses Handeln nicht in einem Fiasko enden soll. Die Debatten müssen auch im Bereich Schule und Schulpsychologie geführt werden. Psycholog/inn/en sind mit verantwortlich dafür, ob und wie die Adressaten selbständige und mündige Persönlichkeiten werden und ob Adressaten  andere darin unterstützen, dass sich Menschen in diese Richtung entwickeln. Schule ist ein Raum, in dem sich grundlegende Haltungen entwickeln können oder nicht, in ihm erfahren wir viel darüber, wie die Welt ist und wie und wer wir in dieser Welt sein wollen.

Die Gründe, warum es überhaupt zur Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium gekommen war, sind laut APA-Bericht banal: Es ging um Geld, um Prestige und Arbeitsplätze. „Das Pentagon beschäftigt seit jeher viele Psychologen, man wollte es sich mit dem prominenten Arbeitgeber nicht verscherzen“, heißt es in dem Bericht.

Dieses Argument ist auch in nicht-militärischen Zusammenhängen geläufig.

Schulentwicklung gescheitert!

Einem Kollegen aus NRW verdanke ich den Hinweis auf ein sehr interessantes und wie ich finde, wichtiges Buch. Schon 2013 erschien das Buch »Schulentwicklung gescheitert!« von Jörg Schlee. Die angekündigten Themen erinnerten mich an Auseinandersetzungen, die mehr als 20 Jahre zurückliegen. Es waren Auseinandersetzungen, die mir in einer Deutlichkeit wie nie zuvor zeigten, dass es bei der Verbesserung von Schule – die Deutungsmöglichkeiten sind zahlreich – nicht um Austausch, Klärung und Argumente gehen muss. Eine Erfahrung damals: Es gibt Personen, die wirksame Hebel für die Durchsetzung ihrer Interessen und Konzepte haben und die dafür nicht auf Dialog und Debatte angewiesen sind.  Weiterlesen „Schulentwicklung gescheitert!“

Für Beratung wird es eng …,

… zumindest für diejenigen, die unter Beratung eine prozessorientierte, personennahe, ergebnisoffene, weisungsunabhängige Unterstützung verstehen

Wie hier schon mehrfach beschrieben und beklagt ist der obengenannte Beratungsansatz in der Hamburger schulbezogenen Beratung gefährdet. Konzeptionelle Schwächen, fehlendes Wissen über Nutzen und Rahmenbedingungen prozessorientierter Beratung sowie ein der Diskussion unzugänglicher Rausch der Funktionalisierung sind dafür verantwortlich. Ich beschreibe das noch einmal in dem Aufsatz Subjektorientierte Beratung in der Krise

Darin ist noch nicht berücksichtigt, dass  den Beratungsabteilungen der ReBBz mit einer neuen Dienstanweisung die Bearbeitung der Anträge auf Schulbegleitung zugewiesen wurde. Damit liegen die Gewährung oder Nichtgewährung von Hilfen einerseits und freie, unabhängige Beratung andererseits in einer Institution – beratungstheoretisch ein Unding.

Dabei war (und ist, sofern sie noch respektiert ist) unabhängige, weisungsungebundene Beratung gerade auch bei öffentlichen Trägern (jeder sollte sie sich leisten und Zugang zu ihr haben können) ein Fortschritt und gesellschaftlicher Konsens (vgl. Katharina Gröning). Weiterlesen „Für Beratung wird es eng …,“

Krise der Schule und Bildung – nützlich für Kontrolle und Testindustrie?

Schule und Bildung zum Zweck der Erkenntnis und Aufklärung, zur Beförderung von Selbstbestimmung und demokratischer Verfügung scheint aus der Mode gekommen. Aber noch regen sich Stimmen gegen diesen Verfall.

Der Autor von „We feed the world“ und „Let’s make money“, Eugen Wagenhöfer, hat sich jetzt auch dem Thema Schule und Bildung gewidmet. Hier einige Hinweise zu seinem neuen Film „Alphabet“ von 3sat.

Dazu passend die ausführliche Kommentierung eines Lesers der diversen Bildungsstudien auf den Nachdenkseiten (Nr.21)

Ich wundere mich, warum die Bildungspolitik Schulleistungsvergleiche im Stile von PISA nicht kritischer hinterfragt. Auch die Die Kritik ist viel zu zahm. Diese Studien sind m.E. nicht nur wertlos, sondern dysfunktional:

  • Rangplätze, die von der Testindustrie gern verwendet werden, weil sie in den Medienredaktionen begeistert aufgenommen werden, sind völlig sinnlose Messwerte. Würde die Politik sich auf solche “Messwerte” verlassen, wenn es sich um Entscheidungen über die Kostenvoranschläge für neue Schulgebäude handelt? Bringt man dann die Angebote nur in eine Rangreihe? Ist es nicht wichtig zu wissen, welche absoluten Kosten in Euro sich dahinter verbergen? Wir wissen nichts, was bei den Schultests der “mittlerere Rangplatz” wirklich bedeutet. Wenn, wie ich vermute, die Messwerte eng beieinander liegen und vielleicht sogar nicht wirklich fachliche Kompetenzen messen, sondern irgendetwas anderes, dann sollten wir nicht über den Unterricht in unseren Schulen diskutieren, sondern über die Testindustrie. Weiterlesen „Krise der Schule und Bildung – nützlich für Kontrolle und Testindustrie?“

Über das schwierige Verhältnis von Messen und Denken

Der hier empfohlene Artikel – ebenfalls  von der Gesellschaft für Bildung und Wissen geliefert – geht auf den vorangegangenen Artikel ein und setzt sich darüber hinaus mit der Zweifelhaftigkeit von Bildungsprognosen auseinander. Er hat den Titel: Wenn das Messen das Denken ersetzt.

Die in diesem und im vorangehenden Beitrag konstatierte Denkschwäche ist eine Schwäche mit Folgen. Die glatt polierte Oberfläche einer angeblichen Wissenschaftlichkeit ist eine schiefe Ebene, die die Akteure und Absolventen eines solchen Bildungssystems gefügig und ohnmächtig macht, sie ihrer Individualität und Verantwortungsfähigkeit beraubt. Wenngleich wir in ein solches System hineinsozialisert werden (sollen), gibt es keine Automatismen. Kommerzialisierung und Standardisierung von Bildung und Lernen stoßen auf den Eigensinn der Subjekte. Unter anderem kann das zu Demotivation und Lernversagen führen. Wir sollten im Hinterkopf behalten, dass es in solchem Fall nicht nur die Individuen sind, mit denen etwas nicht stimmen könnte – es könnte auch mit der (falschen) Vorstellung im System darüber, wie Lernen geht, zusammenhängen. Wenn Wolfram Meyerhöfer schreibt:

Kompetenzmodelle sind in der Empirischen Bildungsforschung immer Kompetenzstufenmodelle. Das liegt daran, dass das Ziel dieser Disziplin nicht ist, das Lernen zu verstehen und zu verbessern. Man müsste sich dann mit Lernen und Vergessen beschäftigen, mit Interesse und Langweile, mit Nutzen und Nutzlosigkeit, mit der Motivation und der Demotivation durch Schulnoten. Die Empirische Bildungsforschung will das Gelernte vermessen.
könnte es an der Psychologie und Schulpsychologie sein, Beiträge dazu zu leisten, das Lernen zu verstehen und mit der Individualisierung des Lernens vom Subjektstandpunkt ernst zu machen.

Wie die Empirische Bildungsforschung intellektuelle Armut erzeugt

Oder: Wie schlampige Methodenanwendung Erkenntnis verhindert

Deshalb führt der Weg der immer stärkeren Standardisierung von Bildung – getragen von einem nicht hinterfragten Glauben an die mathematische Modellierbarkeit des menschlichen Geistes – das Schulsystem in eine Kultur der intellektuellen Armut.

So lautet das Fazit des Mathematik-Didaktikers Wolfram Meyerhöfer. Anschaulich macht er seine Kritik unter anderem folgendermaßen:

Wenn ein Kochlehrling A einen exzellenten Braten machen kann, ein andererLehrling B hingegen eine wunderbare Quiche, dann kann die Empirische Bildungsforschungnicht einfach das Essen genießen. Die Lehrlinge müssen unbedingt in eine Kompetenzreihenfolge gebracht werden, das ist das zentrale Ziel der Kompetenzmodelle. Dazu lässt man viele Lehrlinge Braten und Quiche herstellen. Wenn viele Lehrlinge einen guten Braten hinbekommen und wenige Lehrlinge eine gute Quiche, gilt der Quiche-Meister B als der bessere Koch. Dieses Ergebnis ist empirisch fundiert und nachgerade objektiv. Wenn Sie also Braten-Fan sind und im Exzellenz-Lokal der Empirischen Bildungsforscher essen, dann zeigt Ihr Unwille gegenüber dem schlechten Braten dem Forscher lediglich, dass der Empirie Ihres Gaumens keinerlei Signifikanz zukommt.

Wer sich nicht mit Geschmacksfragen und Meisterköchen zufrieden geben will, sollte den vollständigen Artikel lesen.

All das ein Hinweis darauf, dass Wissenschaftlichkeit nicht unbedingt Erkenntnis und Problemlösung schaffen, wohl aber Geldbeschaffung für eine gewinnorientierte „Bildungs“industrie. Das wirft die Frage auf, ob solche Forschung und die Anwendung ihrer Ergebnisse überhaupt noch mit dem Grundgesetz und mit den Landesverfassungen vereinbar sind.

Steuerung in der Bildungspolitik

Jochen Krautz im Interview

Wem es tatsächlich um die Weiterentwicklung von Humanität, Demokratie und einer gerechten Wirtschaftsordnung geht, der kann nicht zusehen, dass die Grundlagen dafür derart untergraben werden, wie dies derzeit geschieht. Weder „homo oeconomicus“ noch Erleichterungspädagogik haben etwas mit guter Bildung zu tun, dagegen müsste es gerade von progressiver Seite eigentlich einen Aufschrei geben. Insofern muss man auch all die rot-grünen Landesregierungen schon einmal fragen, welche Ziele sie eigentlich verfolgen. Eine Lösung für die vorhandene Misere versprechen jedenfalls weder Titelinflation noch Ökonomisierung. Was wir stattdessen brauchen, sind Schulen, die ermutigen und – statt auszugrenzen -einbeziehen. Diese Schulen aber, die alle Kinder und Jugendlichen auch zu Leistung und Teilhabe ermutigen, brauchen bessere Ressourcen, mehr Lehrer, mehr Zeit und Ruhe, diese Arbeit auch zu leisten etc.

Das ist nur ein kurzes Zitat aus einem einem längeren Interview, das vor Kurzem auf den Nachdenkseiten  veröffentlicht wurde. Jochen Krautz wurde hier schon öfter erwähnt. Er beschreibt präzise, wie das Schul- und Hochschulwesen mehr und mehr durch angebliche Wirtschaftlichkeit, die sich nicht zuletzt in einer Entwertung von Pädagogik und Beziehungsarbeit ausdrückt, verkommt. Was als unvermeidliche (alternativlose) so genannte Sparpolitik oder Optimierung von Schule und Hochschule daherkommt, ist letztlich die Abschaffung einer Pädagogik und Psychologie, die Menschen als Subjekte und damit als Gestalter ihrer Person und Umwelt betrachtet – stattdessen sollen sie sich darin üben, freiwillig tun, was von ihnen verlangt wird.

Man prüfe, inwieweit die eigenen Arbeitsbedingungen nach solchen Leitlinien „reformiert“ werden. Das Interview mit Jochen Krautz und seine Artikel sind dabei hilf- und lehrreich.